Quellen :
      „Erzgebirgisches Sonntagsblatt” 1926 Nr. 53 Seite 1 ff.
      „Erzgebirgische Heimatblätter” 1927 Nr. 01 Seite 4 ff.


   Den Klagen, daß es keinen richtigen handfesten Winter gibt, und den Hinweisen, daß es früher ganz anders war, mag im Unterbewußtsein unserer älteren Generationen der unheilvolle Schneesegen des Jahres 1886 zu Grunde liegen. Die Zeit der Erinnerungen etwas verblassen lassen, denn gerade auch vor 40 Jahren klagte man zuerst über den schlappen Wintergesellen, genau wie man es heute noch tut und vor 40 Jahren auch schon getan hatte.

   Als am 11. Dezember 1886 der erste Schneefall jenes Jahres eintrat, gab unsere Zeitung der „Stimmung der Annaberger Geschäftsleute” dahin Ausdruck, „daß die erste Auflage des Schnees sich mindestens vervierfachen müsse, wenn die Wünsche auf ein gutes Weihnachtsgeschäft in Erfüllung gehen sollten”.
   Eine ganze Woche hören die Klagen nicht auf. Es war wieder Tauwetter eingetreten und die Witterung so mild, daß zur Beruhigung derer, welche glauben, daß sich die geographische Lage verrückt habe, Beispiele von abnormen Witterungsverhältnissen angeführt werden.  (nächste Seite)

   Der „Goldene Sonntag” (20.Dezember) brachte endlich wieder Schneefall bei gelindem Frost, so daß das Eintreffen der ersten Schlitten in Annaberg gemeldet werden konnte. Die Geschäftswelt und die Fieranten des Nikolausmarktes durften sich guter Einnahmen erfreuen.
   Aber der Schneefall ging ununterbrochen weiter. Dazu führte ein gewaltiger Sturm die ganze Rauheit eines echten erzgebirgischen Winters so recht zu Gemüt. „Wenn der Himmel nicht bald einhält mit seinem weißen Segen”, schreibt der T.A.W.-Chronist (H d'Altona), „stecken wir über Kurzem bis über die Ohren im Schnee”. Schon jetzt liegt derselbe an einzelnen Stellen meterhoch. Für Fußgänger und selbst an manchen Orten schon für die Geschirre sind viele Wege unwegsam. Dem Ruf der Geschäftsleute nach Schnee folgt nun ein : „Herr, halt ein mit Deinem Segnen!”

   Über die sich immer weiter ausbreitende Schneekatastrophe berichtete unsere Zeitung damals:

Annaberg, 21. Dezember
   Der bedeutende Schneefall verursachte schon am gestrigen Tage auf vielen Linien der sächsischen Staatsbahnen ganz wesentiche Störungen. So werden von den Linien „Chemnitz-Reichenbach” und „Chemnitz-Leipzig” große Verspätungen gemeldet, während die gestern Abend in Chemnitz von Dresden fälligen Züge heute früh noch vergeblich bei Frankenstein in Schneewehen ihrer Weiterfahrt harrten.
 Die jüngste Linie Sachsens, „Wilischthal-Ehrenfriedersdorf-Thum”, mußte bereits aus gleichem Anlasse den Verkehr einstellen und der gestrige letzte von Chemnitz fällige Personenzug traf mit einer 2 und 1/2stündigen Verspätung erst 2 Uhr Nachts hier ein. Schon in Chemnitz kam derselbe 75 Minuten wegen verspätetem Eintreffens der Anschlußzüge später zum Abgang und erlitt weitere Verspätung durch die hauptsächlich zwischen Chemnitz und Flöha zu überwindenden Schneemassen.
   Auch der heutige erste von Chemnitz zu erwartende Personenzug wurde in Zschopau längere Zeit angehalten durch einen sitzengebliebenen vorausfahrenden Güterzug und kam erst 9 Uhr 28 Minuten hier an. Bis heute Nachmittag wartete man in Chemnitz vergeblich auf die Züge von Dresden und Leipzig.
   Bei dem fortwährenden Schneefalle ist kaum zu hoffen, daß heute noch eine Post hier angelangen wird. Die Störung für die Handelswelt, welche hier seit gestern Nachmittag keine Briefe ec. empfangen hat, ist natürlich eine ganz bedeutende.
   Zu den durch die Schneeverwehungen herbeigeführten Störungen gesellte sich heute auf unserer „Flöha-Annaberger Eisenbahnlinie” noch eine der Betriebsverwaltung sehr ungebetener Gast, die Entgleisung eines Güterwagens des um 9 Uhr 40 Minuten hier planmäßig einzutreffenden Güterzuges auf dem Bahnhof Wolkenstein. Es wurden beide Geleise auf dem Bahnhof gesperrt, wodurch sowohl der von hier nach Chemnitz abgelassene, als auch der von dort erwartete Personenzug bedeutende Verspätungen erlitt.
   Ebenso konnte der 11 Uhr 20 Minuten hier abzulassende Personenzug erst nach 45 minütigen vergeblichen Wartens auf den Anschluß von Chemnitz 12 Uhr 5 Minuten hier abfahren.

Annaberg, 22. Dezember
Der Schnee hat uns vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Die Eisenbahnzüge vermitteln den Verkehr auf keiner Linie mehr. Die Aussicht auf Ankunft des Chemnitzer Nachmittagszuges ist eine sehr geringe. Von Annaberg ist bis jetzt heute nur der 9 Uhr-Zug nach Chemnitz abgelassen, heute früh blieb die Maschine im Schnee stecken.
   Bis heute Mittag waren in Chemnitz - seit vorgestern Abend - keine Züge von Dresden und Leipzig angekommen. Seit gestern früh ist hier keine Post - abgesehen von der per Schlitten aus Geyer pp. beförderten - angelangt.
   Der Schnee liegt in den Straßen bis zu drei Meter Höhe. Die städtische Behörde ist bemüht, Den Forderungen nach Wegschaffung des den Straßenverkehr hemmenden Schnees nachzukommen und sucht zu dem Zwecke Arbeiter, welche sich im Stadtbauamt zu melden haben. Es mangelt jedoch an Arbeitskräften.
   Eine drastische Selbsthülfe verschaffte sich gestern Abend ein Herr, der sich mit einer Schneeschaufel bewaffnete und sich auf seinem Ausgange selbst durch Wegschaufeln des Schnees Bahn machte. Nach Lage der Sache ist zu erwarten, daß diesem Beispiel bald Andere folgen.
   Noth lehrt beten und schaufeln. Einzelne Wege sind nicht zu passieren. Wie hier sind auch die Straßen der Nachbarorte und die Chausseen im Schnee vergraben. Die Anfahrt aus der Umgebung ist darum eine geringe. Die Geschäftsleute sehen sich leider in ihren Einnahmen schwer geschädigt, auch das Geschäft des Großkaufmannes erleidet durch die Stockung im Verkehr herbe Einbußen.

Chemnitz, 22. Dezember
„In Chemnitz und Umgebung ist alles verschneit”. In der Nähe des Aue-Adorfer Bahnhofes ist ein Mann verschneit. Derselbe ist noch nicht aufgefunden. - Die Straßenbahn hat des Schnees wegen den Betrieb eingestellt. Der Verkehr auf dem Weihnachtsmarkt ist wie erstorben.

Freiberg, 22. Dezember
Des riesigen Schneefalls wegen sind die Schulen hier geschlossen, Beerdigungen können nicht stattfinden.

Chemnitz, 22. Dezember
„Der Hauptbahnhof ist verschneit”. Nachdem gestern Abend ½10 Uhr von der Annaberger Linie ein Extrazug, bestehend aus zwei Maschinen und zwei Packwagen, von denen der eine mit 40 Passagieren besetzt war, sich durch den Schnee mit Mühe und Noth bis hierher durchgekämpft hatte, war der Verkehr nach allen Richtungen auf der Nordseite des Bahnhofes eingestellt.
   Auf der Südseite wurde um Mitternacht noch ein Zug in der Richtung nach Glauchau abgelassen. Er sollte trotz seiner zwei Maschinen mit fünf Wagen nicht weit kommen. Vor Hohenstein gebot ihm der Schnee energisch halt. Gegen Morgen arbeitete er sich endlich bis Hohenstein durch, zwei Wagen mußte er aber entgleist im Schnee zurücklassen.
   Als dieser Zug vom hiesigen Bahnhof fort war, trat auch auf der Südseite desselben Ruhe ein. Alle zehn Linien waren zu. Auf dem Bahnhof selbst sah es traurig genug aus. Alle Gleise tief mit Schnee bedeckt. Die Maschinenhäuser zugeweht.
   Nach und nach arbeiteten sich die Maschinen aber doch heraus. Es wurden sofort Schneezüge arrangiert, die den Schnee aus dem Bahnhofe schafften. Sechs Züge verkehren ununterbrochen.
   An Arbeitern fehlt es nicht, alles greift zu. Über 500 Mann arbeiten an der Schneebeseitigung, und trotzdem wurden bis gegen Abend nur die Hauptgleise frei. Die Nebengleise sind noch zu. An ein Rangiren der Güterwagen ist nicht zu denken.
   Nachmittags um ½2 Uhr gelang es, von Glauchau her einen Extrazug hier einzubringen. Ein Gleis ist fahrbar bis Zwickau. Es wird nunmehr wenigstens der Betrieb bis Zwickau offen gehalten. Darüber hinaus kann der Verkehr vor morgen früh nicht eröffnet werden. „Zwickau-Hof” ist noch gesperrt. „Zwickau-Aue”, „Adolf-Eger-Oelsnitz”, wahrscheinlich auch „Oelsnitz-Plauen” werden morgen früh frei. „Eger-Hof” ist offen. Auf der Linie „Chemnitz-Aue-Adorf” werden die Züge von morgen früh ab wieder verkehren, nachdem die drei Züge, welche bei Lößnitz auf der Strecke lagen, heute Nachmittag flott geworden sind. Der gestern Abend hier fällige Personenzug traf von dort erst heute Abend ½8 Uhr ein.

Station Annaberg ließ früh 9 Uhr 12 Minuten einen Personenzug ab. Er durchbrach mit zwei Maschinen die mächtigen Schneewehen bei Hilbersdorf und kam ½3 Uhr hier an. Damit ist der Betrieb auf der Annaberger Linie wieder eröffnet. Von Mittweida traf ½6 Uhr Abends der seit vorgestern noch fehlende Riesaer Personenzug mit 15 Berliner Anschlußpassagieren ein.
   Zwischen hier und Mittweida wird der Betrieb vorläufig eingleisig wieder aufgenommen; hinter Mittweida sind beide Gleise noch unbefahrbar. Station Hainichen schickte heute Abend noch einen Personenzug herein, bis dahin verkehren wieder Züge, darüber hinaus noch nicht. Die Strecke „Leipzig-Gößnitz” ist eingleisig frei, ebenso „Leipzig-Wurzen”. Die Sekundärbahn „Wilischthal-Ehrenfriedersdorf” und „Hainsberg-Kipsdorf” lassen ihre Züge wieder verkehren. An der Freimachung der übrigen Linien wird mit allen Kräften gearbeitet, zum Theil mit Hülfe von Militär.

Annaberg, 23. Dezember
So ist es denn seit gestern Nachmittag durch den andauernden Schneefall, welcher verflossene Nacht sich in einem Schneesturm verwandelte, dahin gekommen, daß die meisten Linien des sächsischen Eisenbahnnetzes den Verkehr theils vollständig oder doch theilweise einstellen mußten.
   Es werden totale Verwehungen von den Hauptlinien gemeldet, während die bereits gestern als unfahrbar bezeichneten Linien „Chemnitz-Riesa”, „Chemnitz-Dresden” und „Chemnitz-Leipzig” ebenso wie die diversen Nebenlinien auch heute den Verkehr noch nicht wieder aufnehmen konnten.
   Auch unsere „Chemnitz-Annaberger Linie”, welche sich seit einer Reihe von Jahren von derartigen Störungen freigehalten, mußte diesmal unterliegen. Gestern Abend konnten die beiden letzten von Chemnitz nach hier abzulassenden Personenzüge nur als combinirter Zug verkehren und traf derselbe mit 2 Maschinen 10 Uhr 5 Minuten hier ein.
   Der 5 Uhr nach Weipert fällige Zug mußte ebenso wie der 9 Uhr 12 Minuten nach Chemnitz abzufertigende Zug ganz ausfallen. Heute früh war an den Abgang der ersten Züge hier gar nicht zu denken.

   Der Bahnhof war so total verweht, wie es hier noch nie der Fall gewesen. Es war unmöglich, die Lokomotiven nur aus dem Maschinenhause fahren zu lassen. Von Chemnitz wurde bereits früh gemeldet, daß der ab dort nach hier abzulassende erste Zug ausfallen müßte. Erst nach mehrstündiger anstrengender Arbeit konnten unter Heranziehung genügender Hülfskräfte die Hauptgleise und Weichen so weit frei gemacht werden, daß um 9 Uhr 15 Minuten der erste Zug nach Chemnitz abfahren konnte.
   Seine Fahrt scheint aber eine äußerst schwierige gewesen zu sein, denn nach mehrmaligem Steckenbleiben zwischen „Wilischthal” und „Zschopau” und zwischen „Hennersdorf” und „Erdmannsdorf” traf derselbe erst gegen 2 Uhr Nachmittags in „Flöha” ein und setzte seine Fahrt nach „Chemnitz” fort. Seit dieser ersten Fahrt ruht auf der ganzen Linie Alles.
   Nach „Weipert” ist bis auf Weiteres gar keine Aussicht auf Wiederaufnahme des Zugverkehrs.

Leipzig, 23. Dezember
Der Schneefall hat aufgehört, der Bahnbetrieb ist theilweise eröffnet, während der völlige Verkehr vielleicht morgen hergestellt wird. - Die Bahnlinien von „Berlin” nach „Leipzig” und „Dresden” über „Zossen” sind gegenwärtig offen. Über „Leipzig” und „Dresden” hinaus ist der Verkehr noch gesperrt. Die Züge auf der „Thüringer Linie” und der „Anhalter Bahn” über Halle verkehren bis „Erfurt”.

Riesa, 23. Dezember
Der Verkehr von hier ist auf einem Gleis frei nach „Leipzig” und „Dresden”, ferner bis „Döbeln” und „Röderau”. Die Linie „Elsterwerda-Berlin” ist gesperrt, ebenso die Linie „Lommatzsch-Nossen”. Nach „Chemnitz” ist die Bahn über „Döbeln-Hainichen-Roßwein” offen. Von „Dresden” kam heute Nachmittad ein Extraschiff mit Postsachen.
   Auf den offenen Linien ist der Verkehr nicht fahrplanmäßig möglich. Die Verbindung mit der Umgebung ist äußerst erschwert, theilweise ganz unmöglich. Der Paketverkehr auf der Post ist noch sistirt. Die Temperatur war gestern und heute mild, seit heute Mittag haben wir starken Westwind mit Schneetreiben. Neue Störungen sind leicht möglich.

Annaberg, 24. Dezember
Eine freundlich lächelnde Weihnachtssonne hatte heute Vormittag sogar zeitweilig um die prächtige Winterlandschaft den Strahlenmantel geschlagen. Dann aber gegen Mittag fiel neuer Schnee.
   Die Luft ist lau, Aussichten für das Schlittenvergnügen in den Festtagen sind noch günstig,  hoffentlich versteigt sich der linde Charakter der Witterung nicht bis zum Tauwetter, da in dem Falle uns der Winter das Weihnachtsvergnügen der Schlittenpartien stören würde, wie er manchem einen Strich durch die Weihnachtsgeschäftsrechnung gemacht hat.





   Bis zum Schluß der Redaktion waren die über „Leipzig” und „Dresden” und von da kommenden Posten - also seit Montag - nicht eingetroffen.


Die Störung im Handel und Wandel
ist eine empfindliche. Die Enttäuschung nach Eintreffen jedes Chemnitzer Zuges eine große. Die eingegangenen Nachrichten ließen darauf schließen, daß die Bahnlinien seit gestern Nachmittag passirbar sind, und so durfte mit einer gewissen Berechtigung dem Eintreffen der Posten entgegengesehen werden. Nun, „Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden”, wenn die Gelder, Pakete und Briefe denn auch diesmal post festum kommen, um so größer wird die Freude sein, daß sie überhaupt noch eintrafen.

In den Straßen der Stadt,
deren einige durch seitens der Stadt angestellte Arbeiter von den verkehrshemmenden Schneemassen befreit werden, wird allmählich wieder die Passage gewonnen. Leider reichen die wenigen zur Verfügung stehenden Arbeiter nicht aus, den Schnee zu beseitigen. Die Bahn absorbirt so viel Arbeiter für ihre Schneearbeiten, daß für die Stadtarbeiten wenig zu finden sind.
   An der „Annaberg-Weiperter Bahn” nahmen die 300 engagirten Arbeiter die Schaufel erst zur Hand, nachdem ihnen der höhere Tageslohn von 2 Mark zugesichert war. Auch die Landstraßen werden zum Fest meistens fahrbar.


Halle, 26. Dezember
Die „Mannsfelder Bergwerksbahn ist total verschneit”, jede Kommunikation und Zufuhr von Cokes zwischen den einzelnen Werken hat aufgehört. Aber auch ganze Werke sind so verschneit, daß der Betrieb ganz eingestellt werden mußte, so daß 6000-7000 Mann feiern.

Annaberg, 27. Dezember.
Nach dem wildem Aufruhr der Winterelemente brachten die Feiertage uns ein herrliches Winterwetter, dessen Lockung zu Schlittenpartien recht viele Folge leisteten. Beide Festtage sahen „das gesamte Beamtenpersonal der Post in angestrengtester Tätigkeit”.
   Galt es doch, die bis zum Nachmittag des Freitag vom Schnee zurückgehaltenen Postsendungen, die nun in einer ungeheuren Sündfluth über die Postangestellten hereinbrachen, an die Adressaten abzuliefern, sodaß unsere Postbeamten von oben herab bis zum letzten Hülfsausträger mit einem anerkennungswerthen Eifer bestrebt waren, durch schleunige Expedition der anlangenden Sendungen das wieder gut zu machen, was der Schnee an der Weihnachtsfreude verdorben hatte.
   Ein heftiger Sturm, der noch jetzt das Szepter führt, scheint wieder, wie die Verspätung einiger Eisenbahnzüge zeigt, etwas lähmend auf den kaum freigewordenen Verkehr einzuwirken. Auf Bahnstrecken, welche bis zum ersten Feiertage sämtlich vom Schnee befreit waren, mag der Sturm wieder etlichen Schnee geweht haben. Die Kalamität im Verkehr ist jedoch im wesentlichen gehoben, so groß sie auch war.
   In den Pakkereihen größerer Postanstalten hatten sich die Pakete zu unglaublichen Haufen angesammelt, so daß in „Leipzig” keine Pakete mehr angenommen wurden.
   Besonders stark war die Inanspruchnahme des Telegraphen, welcher zum Theil den brieflichen Verkehr besorgen mußte und überall mit einer Exaktheit arbeitete, die so recht den Werth des elektrischen Drahtes dem Publikum vor Augen führte.
   Noch immer treffen Nachrichten über Unglücksfälle infolge des heftigen Schneefalles ein. Nach den bisherigen Mitteilungen sind allein in Sachsen 50 Personen im Schnee erfroren.
   Die Einbuse des Weihnachtsgeschäftes stellt sich an manchen Stellen so bedeutend dar, daß eine längere Zeit dazu gehören wird, den Schaden vergessen zu machen.
   Der seit voriger Nacht herrschende Sturmwind hat auch unsere Annaberg-Weiperter Eisenbahnlinie gezwungen, den Verkehr wegen totaler Schneeverwehung zwischen „Cranzahl” und „Königswalde” wieder einzustellen, nachdem heute früh der erste abgelassene Zug nur mit größter Anstrengung die Station „Weipert” auf seiner Hinfahrt erreichte.
   Auf der Rückfahrt mußte derselbe bei „Königswalde”, wo er eingeschneit festsaß, erst ausgeschaufelt werden und traf mit ½stündiger Verspätung hier ein. Auch die Linie „Niederwiesa-Hainichen” hat seit heute früh aus gleichem Anlasse den Verkehr eingestellt.

Annaberg, 27. Dezember
Vom Glück im Unglück kann ein Arbeiter sprechen, welcher dieser Tage, im Begriff, das Dach eines Hotelanbaues vom Schnee zu befreien, in seinem Eifer dem Dachrand zu nahe trat und in den Hof hinabstürzte. Die Schneehaufen, auf welche er fiel, nahmen ihn jedoch so weich auf, daß der Mann mit der Schippe in der Hand und der brennenden Pfeife sich erhob und sich wieder auf das Dach begeben konnte, indem er trocken meinte „'s is när gut, das es Schnee war un kee Rus, sonst hätt iech mich noch erst waschen müssen!”

Annaberg, 28. Dezember,
Die Schneeverwehungen, welche seit der Nacht von Sonntag auf gestern herrschen, machen eine Wiederaufnahme des fahrplanmäßigen Verkehrs der Eisenbahnzüge unmöglich. Gestern blieben wieder verschiedene Züge im Schnee stecken, so daß auf vielen Linien Verspätungen eintraten und einzelne ausfallen müssen. Einzelne Strecken, z.B. „Frankenberg-Hainichen”, sind unpassierbar, ebenso „Annaberg-Weipert”, „Nossen-Freiberg”. Bei längerer Dauer des Unwetters ist eine Wiederholung der kaum überwundenen Kalamität im Verkehr nicht ausgeschlossen.

   Der Schneefall der letzten Tage hat, abgesehen von der schweren Beeinträchtigung, die er mittelbar und unmittelbar jeder gewerblichen Thätigkeit und vor allem Dingen dem Handel und Wandel gebracht hat, ein Schaden, der sich in Ziffern nie auch nur annähernd wird schätzen lassen, namentlich auch den Aufwand außerordentlich bedeutender Summen nothwendig gemacht, um die Bahnlinien und öffentlichen Straße wieder fahr- und gangbar zu machen.
   Der Schaden wird gerade hier in unserem Sachsen besonders groß sein, weil der Schnee fast gleichmäßig in allen Theilen des Landes gefallen ist und kein Land der Erde ein so tüchtiges Eisenbahn- und Straßennetz hat, als gerade unser liebes Vaterland Sachsen.
   Der Staat unterhält neben den Gemeinden dermalen über 3700 km öffentliche Wege, hiervon naherzu 3000 km Kunststraßen.
   Und trotz der gewaltigen Ausdehnung des Straßennetzes kommt ihm an Umfang das Eisenbahnnetz unseres Vaterlandes fast gleich. 2200 km Bahnen verschiedener Art befinden sich dermalen im Betrieb des Landes. Und alle diese Straßen und Bahnen haben mehr oder weniger unter dem Schneewetter der letzten Tage zu leiden gehabt. Da ist es denn klar, daß die für
   das Auswerfen von Schnee
im Staatshaushaltsplan vorgesehenen Summen, 10.200 Mk. bei der Eisenbahnverwaltung und 100.000 Mk. bei den Straßen, für dieses Jahr wenigstens, nicht ausreichen werden, und so wird denn insbesondere die Eisenbahn zu dem großen Schaden, der ihr aus der Unterbrechung des Verkehrs und dadurch bedingten Ausfall der Einnahmen erwachsen ist, auch noch den höheren Aufwand für das Auswerfen von Schnee etc. zu tragen haben.
   Das auch die Gemeinden in gleicher Weise mannigfacher Schaden erwächst, daß insbesondere die im Haushaltsplane unserer großen Städte, die für solche Fälle vorgesehenen großen Summen nicht ausreichen, sondern überschritten werden dürften, ist selbstverständlich und macht das Übel nur noch schlimmer. Der Schaden, den das Schneewetter der letzten Tage verursacht hat, ist eben ein ganz ungeheurer und mag leicht eine halbe Million Mark im ganzen Lande betragen.

Annaberg, 29. Dezember.
Die bis gestern Abend herrschenden Schneewehen, denen in der Nacht ein von gelindem Frost abgelöstes Tauwetter folgte, haben wieder arge Verkehrsstörungen im Gefolge gehabt. Von den sächsischen Staatsbahnen waren gestern Nachmittag durch den Schnee gesperrt:
1. Niederwiesa-Frankenberg-Hainichen   2. Nossen-Freiberg   3. Marienberg-Reitzenhain   4. Neustadt-Dürröhrsdorf   5. Zittau-Großschönau   5a. Reichenau-Markersdorf   6. Annaberg-Weipert   7. Zwickau-Falkenstein   8. Löbau-Oberrodewitz-Zittau   9. Scheibe-Warnsdorf   10. Freiberg-Bienemühle   11. Stollberg-Egidien   12. Wüstenbrand-Lugau   13. Herlasgrün-Falkenstein
Die heute hier angekommenen Züge sind rechtzeitig eingetroffen.

Buchholz, 30. Dezember.
Große Schneemassen stürzten gestern von dem Dach eines Hauses in der Karsbader Straße und verschütteten die Insassen eines aus Thum stammenden Schlittens so vollständig, daß derselbe aus dem Schnee herausgeschaufelt werden mußte. Von der Wucht des Schneesturzes zeugt der Umstand, daß der Schlitten zum Theil zertrümmert wurde.

Annaberg, 7. Januar.
Den heftigen Schneewehen, welche am Mittwoch wiederum verschiedene Stockungen im Eisenbahnverkehr zur Folge hatten - der Eisenbahnverkehr zwischen „Cranzahl” und „Weipert” stock seit Mittwoch - folgte eine milde Winter-Temperatur, welche gestern als am Hohenneujahrstage zahlreiche Schlitten auf die Landstraßen und von den Nachbarortschaften in die Stadt trieb.
   Auf dem Schutzteich, woselbst gestern Nachmittag nach den Klängen der Concertmusik dem Eissport gehuldigt wurde, hatte sich eine reges Leben entfaltet und sah man noch in den späten Abendstunden die Schlittschuhläufer sich ihrem munteren Vergnügen hingeben.

Buchholz, 6. Januar.
„Fangen die Tage an zu langen, kommt der Winter erst gegangen”, dieses altbewährte Sprichwort hat sich auch dieses Jahr bewahrheitet.
   Die ungeheueren Schneemassen, welche die Wege ungangbar machten, haben sich endlich zu fester, schöner Bahn in Fesseln schlagen lassen, der furchtbare Sturm hat einer ruhigen, milderen Luft Platz gemacht und der umwölkte Horizont strahlt in heiterer winterlicher Bläue. Was vor dem Fest unmöglich war, bringt uns die ruhige Nachzeit.
   Wir haben endlich Schlittschuhbahn. Von Groß und Klein langersehnt, wurde sie von den beiden gleich froh begrüßt. Auf der künstlich überwässerten Wiese des Herrn Bäckermeister Sühnel hier kann man von früh bis spät Abends eine fröhliche Schaar leichtbeschwingter Läufer sich tummeln sehen. Am meisten besucht sind jedenfalls die Sonn- und Feiertags abgehaltenen Concerte, wo der muntere Rhythmus fröhlicher Weisen auch Ungeübteren zu Hülfe und Anspornung kommt.

Cranzahl, 6. Januar.
Das Unwetter der Tage vor dem Hohenneujahr erlaubte den Eisenbahnverkehr auf der „Annaberg-Weiperter Linie” nur bis Mittwoch Mittag und konnte nur mit großen Beschwerden ermöglicht werden.
   Mittwoch früh 6 Uhr, bei der Ankunft des ersten Zuges, mußten unsere Schneeschurer schon wieder an Ort und Stelle sein. Der am Mittwoch Nachmittag 5 Uhr von Annaberg nach Weipert abgegangene Zug konnte nur den Bahnhof „Cranzahl” erreichen.
   Als der Zug von Cranzahl nach Weipert abgegangen war, wurde ihm nach kurzer Fahrt von den Schneewehen energisch Halt geboten. Er konnte weder rückwärts noch vorwärts, sodaß sofort nach einer anderen Lokomotive telegraphiert werden mußte. Nach 9 Uhr kam auch die Hülfe in Cranzahl an.
   Erst als der Zug ausgeschaufelt und die Wagen einzeln auf dem Bahnhof zu Cranzahl von der Hülfsmaschine zurückgeschafft worden waren, konnte nach 11 Uhr der Zug die Rückfahrt nach Annaberg wieder antreten.

Annaberg, 7. Januar.
Der Schneesturm am gestrigen Abend verwehte die Wege ärger als seine Vorgänger. Fünf von Weipert kommende beladene Kohlenschlitten mußten infolge dessen in „Pleil” im Freien stehen gelassen und heute morgen ausgeschaufelt werde.


Kuriosum
„Die Besteigung des Fichtelberges galt vor 40 Jahre (1886) als ein Ereignis”, welches registriert zu werden verdiente, wie nachstehende Notiz zeigt:

Oberwiesenthal, 7. Januar.
Die erste diesjährige Besteigung des Fichtelberges wurde am gestrigen Hohenneujahrstag von drei auswärtigen und drei hiesigen Herren unternommen.
   Der Aufstieg geschah auf dem direkt hinaufführenden Weg, an dem völlig vereisten Springbrunnen vorbei und nahm, trotzdem der Schnee theilweise bis 1½ m hoch lag und die Tragfähigkeit desselben im Walde eine geringe war, nur 1½ Stunden in Anspruch.
   Den Anblick der Scenerie auf dem Berge selbst, sowie der Ausblick in die Ferne wurde von den Unternehmern als ein großartiger geschildert, sodaß dieselben hochbefriedigt von dem Erfolg ihrer Tour den Abstieg bewerkstelligten.


          Abschrift unter Beibehaltung der Originalschreibweise


          bearbeitet von pks