Ortsförderer
    Arbeitgeber
         Wirtschaftspionier
              Sehma und die Küttners


Unser Heimatort Sehma hat sich im 19.Jahrhundert vom Bauerndorf zu einem Industriedorf gewandelt. Einen entscheidenden Anteil daran hatte die Fa. Friedrich Küttner. Seine Geschichte ist somit ein Teil der Geschichte Sehmas.

So ist es doch interessant, einmal zu verfolgen, wie aus einem Kleinbetrieb mit zwei kleinen hölzernen Zwirnmaschinen mit Weifen und einer Spulmaschine, welche durch ein hölzernes Wasserrad angetrieben wurden, eine im In- und Ausland angesehene Firma entstand.

Das Geheimnis des Erfolges bestand darin, daß die Firma als eine der ersten ein neues zukunftsweisendes Produkt in den Handel brachte, die Kunstseide. Mit dem Aufblühen der Spitzenklöppelei im Erzgebirge entstand ein beträchtlicher Bedarf an Leinenzwirnen, die man damals aus England und Belgien beziehen mußte. Christian Jakob Eisenstuck, ein alteingesessener Annaberger Unternehmer, erwarb das in Sehma am Mühlengraben gelegene, mit einer kleinen Wasserkraft versehene Zwirnereigrundstück nebst Bleichgarten von dem damaligen Besitzer Johann Christoph Heß. Eine hiesige Produktion dieser Klöppelzwirne lohnte sich, da der Import durch die damaligen Verkehrsverhältnisse schwierig und daher teuer war.

Christiane Sophie Küttner, Gattin des Friedrich Christian Küttners, erwarb mit seiner Genehmigung am 31. Juli 1820 diese kleine Zwirnerei und legte damit den Grundstein der Firma Küttner.

Als sein ältester Sohn, Friedrich Wilhelm Küttner, nach zwölfjähriger Abwesenheit aus Rußland zurückkehrte, übergab er ihm am 18. Mai 1837 das Geschäft. Seine Auslandserfahrungen halfen ihm, das Geschäft trotz der Wirren der Revolutionsjahre 1848/49 voranzubringen.

Anfang der fünfziger Jahre erfolgte ein erster Anbau, um neue Maschinen aufstellen zu können für die Produktion baumwollener Garne und Zwirne für die aufstrebende Posamentenindustrie im Erzgebirge. Mit der Einführung des Reifrockes, der sogenannten Krinoline, machte sich die Vergrößerung der bisher kleinen Rasenbleicherei durch eine chemische Dampfbleicherei nötig. 1862 erfolgte die handelsgerichtliche Eintragung der Firma Fr. Küttner auf dem Gerichtsamt zu Annaberg. Nach dreiunddreißigjähriger Tätigkeit, in welcher er auch viele Jahre hindurch das Amt des Gemeindevorstandes ehrenamtlich verwaltete, starb Friedrich Wilhelm Küttner infolge einer Erkältung, die er sich auf einer Reise zugezogen hatte, am 19. März 1870. Seinem Willen gemäß übernahm sein dritter Sohn, Friedrich Richard Küttner, der nach seinem Militärdienst in den Jahren 1870/71, den Jahren des Deutsch-Französischen Krieges, am 13. April 1872 seine Tätigkeit aufnahm. In den Kriegsjahren lag die Geschäftstätigkeit fast vollständig brach, belebte sich aber danach sehr schnell. Die im Erzgebirge blühende Seidenschnur- und Posamentenindustrie benötigte neue Materialien. Rohstoffe wie Mailänder- und Chinaseide waren gefragt. Wesentliche Vergrößerungen machten sich in den Jahren 1878, 1880, 1882 und 1902 notwendig.

Im Jahre 1895 wurde der Antrieb von der Wasserkraft auf die Elektrizität umgestellt und die elektrische Beleuchtung des Werkes eingeführt. Mit Hilfe des großen eisernen Wasserrades konnte die benötigte Energie für Antrieb und Beleuchtung nicht gewonnen werden. So ging 1902 eine Dampfmaschine mit einer Normalleistung von 120 PS in Betrieb. Die Wasserkraft wurde nur noch zur Erzeugung der Energie für die Beleuchtung benützt. 1890 führte man in ersten Versuchen die Kunstseide in die Posamentenindustrie ein. Die Fa. Küttner nahm als eine der ersten Firmen den Handel damit auf.

Als im Jahre 1906 Hugo Friedrich Küttner, 3.Sohn Friedrich Richards, die Firma übernahm, erfolgte ein weiterer rasanter Aufstieg der Firma.

In den Jahren 1908–1909 baute er ein Kunstseidenwerk in Pirna auf.

1910 brachte er die erste brauchbare Viskoseseide auf den Markt.

Am 1. Dezember 1911 richtet Hugo Küttner eine Seidenwickelei in Neudorf ein, in der etwa 100 Arbeitskräfte beschäftigt wurden.

Im Jahre 1920 beging die Fa. Küttner ihr hundertjähriges Bestehen. Aus dem auf handwerklicher Basis arbeitenden Kleinbetrieb war eines der führenden Textilunternehmen Deutschlands geworden. Sie beschäftigte nun 400 Arbeiter und 150 Heimarbeiter.

Die beiden Unternehmen in Sehma und Neudorf wurden der Neuzeit entsprechend eingerichtet und auch in hygienischer Beziehung mit allen Neuerungen ausgestattet. Sie wurden zum Schutze gegen Feuergefahr mit allen modernen Feuerlöscheinrichtungen versehen. Außerdem besitzt die Firma Küttner umfangreiche Beamten- und Arbeiterwohnhäuser.

Im gleichen Jahr 1920 wurde die Küttnerstiftung ins Leben gerufen.

1922, als die Spindelfabrik von „Eduard Seifert” in Neudorf Konkurs anmeldete, war es wieder Hugo Küttner, der hilfreich in die Presche sprang, um Arbeitsplätze zu erhalten. Er stellte die Produktion voll auf die Spinnflügelproduktion um, baute sogar komplette Textilmaschinen und richtete 1925 eine Schmiede ein. Im Jahre 1933, nach einer Firmenkrise, übergab er die Firma seiner Tochter Marga Treitschke.

1924 kreirte Hugo Küttner, als größter Anteilseigner, seiner Tochter Marga eine Kabine der Seilschwebebahn mit ihren Namen in Oberwiesenthal zum Geschenk.

1924/25 wurde ein zweites Werk in Pirna errichtet. Zeitweise beschäftigte Küttner 50% der Arbeitnehmer Pirnas. Der Höhepunkt war 1928 erreicht, als er 5688 Arbeiter und An- gestellte hatte.

Neben seinen vielen Stiftungen, wie „Kirchgemeindehaus”, „Gemeindehaus” mit Feuerwehr - Kindergarten - Altersheim und Freibank, die „Friedrich-Richard-Schule”, den „Bahnhof”, „110.000 RM Spende” an die Gemeinde und vielen anderen, war er auch wichtigster Arbeitgeber in unserem Sehmatal und weiteren Orten. Küttner beschäftigte hier zeitweise 1200 Arbeiter.

Die Fa. Küttner galt als ein sozial eingestelltes Unternehmen. Neben ständigen sozialen Verbesserungen erhielt 1925 der Betrieb eine firmeneigene Verkaufsstelle, es wurden Betriebsküche, Pausenräume, Umkleideräume mit Duschräume eingerichtet.

Als am 22. August 1934 die Sport- und Schwebebahn-Verkehrs-Aktiengesellschaft (SUSVAG) Oberwiesenthal Konkurs anmelden mußte ersteigerte Hugo Küttner die Seilschwebebahn, modernesierte sie und steigerte die Fahrgastzahlen, so daß im Jahre 1940 die Fahrgastzahl von 100.000 erreicht wurde.

Fortan hieß die Seilschwebebahn „Fichtelberg-Schwebebahn”, diese wurde dem Betrieb seiner Tochter Marga Treitschke angegliedert, 1938 vom Vater als Hochzeitsgeschenk ihr übereignet und war bis zum 30. Juni 1946 in ihrem Besitz.

Als dann 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, Schritt für Schritt auch das Sagen in seinen Betrieben erzwangen, Hugo Küttner in Schutzhaft nahmen, er seine Unternehmungsführung verlor und seine Betriebe nicht mehr betreten durfte, hatte das Ende seiner Unternehmen begonnen.

Unser Altchronist Friedrich Mahn schreibt dazu:


Da aber lauerte das Verhängnis: Er fand nicht das rechte Verhältnis zum Nationalsozialismus. Er stand in Opposition zu den von 1933 bis 1945 herrschenden Gewalten. Da wurde ihm die Betriebsführereignung aberkannt. Man sah ihn nicht mehr in seinen Fabriken, obwohl sie ihm noch gehörten, wenigstens der Aktiengesellschaft, deren weitaus meiste Anteile er auf sich vereinigte. Als aber dann im Mai 1945 der Umschwung kam, hätte er auch für sich einen Umschwung seiner Lage, seiner Verhältnisse zu dem von ihm geschaffenen großen Werke erwarten dürfen.

An jenem unruhevollen, schwärzesten Tage der deutschen Geschichte, wo Deutschland zusammenbrach und bedingungslos kapitulieren mußte, fuhr er, der sonst in glücklicheren Tagen einen wertvollen Kraftwagen benutzte, auf dem Gefährt der wirtschaftlich Schwächeren, dem Fahrrade, von einem Besuche bei Verwandten kommend, durch das zerstörte Dresden. Er war innerlich tief erregt, was in seinem Inneren vorging, wer vermag es zu sagen. Dazu war es der erste warme, ja heiße Tag nach einer kühlen, niederschlagsreichen Wetterperiode. Mitten in dem Gewirr des Straßenverkehrs stürzte er entseelt vom Rade. Ein Herzschlag hatte dem 66jährigen ein jähes Ende bereitet.

Wie ein Namenloser ruht Hugo Küttner nun draußen auf einem der Dresdner Friedhöfe, ärmer begraben, denn der ärmste Mann unseres Dorfes.



Nach Jahren des Verschweigens (DDR-Zeit) der wahren Einstellung Hugo Küttners zum Nationalsozialismus und dem stillschweigenden Übergehen seiner Leistung in unseren Ort und für das gesamten Sehmatal, haben Chronisten, auch hier in Sehma, für Aufklärung in Zeitschriften und im Internet gesorgt, so daß es hohe Zeit ist, ihm und den gesamten Wirtschaftspionieren Küttner ein ehrendes Gedenken zu widmen.

♦    In Pirna wurde nach der Wende auf dem ehemaligen Werksgelände eine Straße nach Hugo Küttner benannt.

♦   Das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e.V. vergab 2011, anläßlich der Eröffnung des neuen Technikum-Gebäudes in ihrem 20. Jubiläumsjahr und in Anerkennung der Lebensleistung dieses Pioniers der deutschen Chemiefaserindustrie, dem Technikum den Namen „Technikum Hugo Richard Küttner”.

♦   Mit dem heutigen Tage - 17. Januar 2015 - werde ich verstärkt für ein ehrenhaftes Gedenken an „Hugo Richard Küttner” in seinem Heimatdorfe Sehma, seiner einstigen Wirkungsstätte, hinarbeiten.



Quellen:
          Helfried Schmiedel im Sehmataler Anzeiger 1994 N°4 bis N°6
          pks - weitere Unterlagen
           Aufzeichnungen Friedrich Mahns
           Friedrich Richard Küttner - Lebenserinnerungen
           Küttner in Wikipedia
           Die Unternhemerfamilie Küttner - Seite 4



bearbeitet von pks


Sitemap            650-Jahrfeier