Einen hervorragenden Platz in der Wirtschaftsgeschichte unserer Heimat
nimmt die Werkanlage der Firma

„ Friedrich Küttner A.-G. ”

ein.

W  enn ich einen kurzen Abriß der Geschichte dieses Werkes schreiben will, so muß ich an drei Namen anknüpfen. Sie heißen „ Heß ” ( oder Heße ), „ Eisenstuck ” und „ Küttner ”.


------------------------ Heße ------------------------

Hervorgegangen ist dieses große, bedeutsame Unternehmen aus einem ganz kleinen Anfange, wie ihn die Hessesche Zwirnmühle oder Zwirnfabrik darstellt. Im Jahre 1771 hören wir den Namen Johann Christoph Heße zum ersten Male, der dann ein reichliches Jahrzehnt später diese Zwirnmühle gründete. Im Kirchenbuche ( Traureg. II, fol. 42 ) ist zu lesen:

1771: Mstr. Johann Christoph Heße, Inwohner, Schneider und Handelsmann allhier, jüngster Sohn des weyl. Christian Heße, Erbbesitzers allhier. Seine junge angetraute Gattin: geb. Drechßler aus Olbernhau, eines Fabrikanten Rochter.

     10 Jahre später hören wir wieder:

1781: Herrn Johann Christoph Heßens, Hausanseß. u. reisenden Handelsmannes allhier Söhnlein gestorben.

J  ohann Christoph Heße hatt sich also ansässig gemacht. Im Jahre 1780 hatte er sich an der Stelle, wo jetzt der Eingang zum Fabrikkontor ist ( Küttnerstraße 91 ), ein Häuschen erbaut, ohne daß er dazu Genehmigung eingeholt hatte. Unter dem 12. Juli 1785 zeigten „ die Gerichten zu Sehma ” bei dem Justizamt und Amtssteuer-Einnahme an,

„ wasmaßen bereits seit dem Jahre 1780 der Handelsmann Herr Johann Christoph Heß zu Sehma auf dasiger Gemeinde Grund und Boden, u. zwar auf dem mit Commun Bewilligung von den damaligen Gerichten zwischen den in die Oehl und sodann in die untere Mühle gehenden Mühlgraben und den durchs Dorf gehenden Bach liegenden Platze ein neues Mundhaus, 26 Ellen lang und 16 Ellen breit, ohne vorgängige höchste Conceßsin erbauet habe und nunmehro, unter Offerirung eines Erbzinnßers von 5 Groschen und 9 Pfennigen einfachen Qvatember-Beytrags samt allen übrigen Häußler Praestationen, durch die sie, die Gerichten, um fördersamste Auswürkung Landesherrlicher Conceßion geziemend ansuchen laße. ”


D  ie erbetene Konzession wurde nachträglich erteilt durch Urkunde mit Lehnschein vom Amt unter dem 16. April 1790. Die Urkunde trägt die Unterschriften von Amtmann u. Accis-Inspektor, Christian Heinrich Hermann, Amtmann Christian August Gottschald und Amts-Rentverwalter Carl Heinrich Amadeus Liebe. Gleichzeitig mit Johann Christoph Heß erhielten 1790 folgende Leute Baugenehmigung:


1) Christian Gottlieb Bauer (oder auch Carl Gottlieb Bauer) für das heutige Wilhelm-Haus, Ortsliste N° 61.
2) Carl Gottlob Löffler für das jetzt abgebrochene Hecht-Eduart-Haus in der Mittelstraße, hinter der Bäckerei Curt Riegels.
3) Carl Christian Hunger für das heutige Grundstück Ortsliste 59. (verst. Zwirnerin Gertrud Süß, dann Rudolf Hermann Albrecht).
4) Johann Christoph Burkert, wahrscheinlich für die Wirtschaftsgebäude des Gutes N° 2 (Gerhard Heß).
5) Christoph Heinrich Schwipper (auch Christian Heinrich Schwipper) für das jetzt abgebrochene Hermann-Roscher-Haus, das in der Nähe des oberen Spritzenhauses und der Holzbearbeitungsfabrik von Otto Bretschneider stand.

I  n all diesen Fällen handelte es sich um eigenmächtige Erbauung und nachträgliche Genehmigung durch ein „ Hohes Geheimes Finanz-Collegium ” mittels „ Rescripts ” vom 11. Januar 1790 an das Grünhainer Amt. Vorher hatte auch schon das „ Ober-Steuer-Collegium ” seine Stellungnahme zu erkennen gegeben. In der Zuschrift des Amtes Grünhain an der unter N° 1) genannten Christian Gottlieb Bauer heißt es u.a.


E  „s wird an Chr. G. Bauer die Concession zu Erbauung eines Mundhauses dergestalt erteilt, daß derselbe den Bau, wo solches nicht bereits geschehen, ungehindert verführen, und solange zu Sehma ermangelnde oder caduce Schocke nicht existieren, mit Abentrichtung einiger Schocke, dem höchsten Generali vom 2. Okt. 1764 gemäß, zwar verschonet bleiben möge, dargegeben aber schuldig und gehalten seyn solle, von gedachten seinem Hause, und zwar von Zeit des Auf- und Ausbaues deselben an gerechnet, 1 gr. 6 Pfg. terminlichen Quat.-Beytrag zur Local-Einnahme, 8 Gr. jährlichen Erbzinnß zu Michaelis in das Rentamt samt allen übrigen Häußler-Praestationen behörig abzuentrichten.”


J  ohann Christoph Heße ließ sich die Einrichtung seiner Zwirnmühle oder Zwirnfabrik sehr angelegen sein. Solche Zwirnmühlen, mit denen sehr feiner Zwirn fabriziert werden konnte, gab es nur in Holland. Heß unternahm, ans Reisen gewöhnt, die weite Reise nach den Niederlanden, um die Bauart der Mühlen und die Verfertigung des Zwirns im geheimen abzusehen. Es gelang ihm dies auch, und nach seiner Rückkehr baute er im Jahre 1783 die erste Zwirnmühle in Sachsen, die also hier in Sehma stand. Alte Akten berichten übrigens von einem Mechaniker in Sehma, der eine neue Maschine für den Klöppelzwirn erfunden hätte, wodurch die Klöppelei in unserer Gegend einen bedeutenden Auftrieb erhielt. Ob damit etwa Heße gemeint ist? Er war allerdings kein Mechaniker, sondern Schneider. Ich habe den Namen des Mechanikers aber nirgends finden können. Als seine Zwirnmühle vollendet war, zeigte sie Heße einigen Spitzenhändlern. Alle überzeugten sich, daß mit dieser Maschine ein zarter, besonders für Klöppelspitze geeigneter Zwirn hergestellt werden konnte. Den ersten Versuch mit diesem Zwirn machte die Spitzenhändlerin Stieler in Bernsbach. Diese ließ eine arme Tagelöhnerin aus ihrem Orte, sie hieß auch gerade Stieler, drei Ellen Spitze zu einem Paar Manschetten und Busenstriefen klöppeln, wofür sie 9 Taler Arbeitslohn erhielt. Es waren gar feine Spitzen, in die das kurfürstliche-sächsische Wappen mit der größten Kunstfertigkeit eingeklöppelt war. Nach dem Urteil aller sachverständigen Kenner war dieses erste Werk aus dem Hesseschen Zwirn so schön und prächtig geraten, daß diese Spitze der besten Brabanter vollkommen gleichwertig war.


D  ie kurfürstlich-sächsische Regierung freute sich über das Heßesche Unternehmen und förderte es auf jede Art und Weise. Das kam auch darin zum Ausdruck, daß sie den Zwirnfabrikanten durch die „ Commerzian-Deputation ” aus der Prämienkasse 1000 Taler Vorschuß auszahlen ließ zur Erweiterung und Vervollkommnung seiner Idee. Dieser Vorschuß wurde unverzinslich gewährt, jedoch folgende Bedingungen daran geknüpft:


1.) Rückzahlung beginnend nach 5 Jahren mit 200 Taler jährlich.
2.) Gerichtliche Verpfändung seines Wohn- und Fabrikgebäudes.
3.) Hesses verbindliche Erklärung, daß er alljährlich den Umtrieb seiner Fabrik bei der
     kurfürstlichen Landes-Ökonomie-Manufaktur und Commerzian-Deputation gänzlich
     bescheinigen ließ und für den Fall, daß er dergleichen Bescheinigung nicht
     bewerkstelligen oder die Fabrik nicht fortsetzen noch erweitern würde, daß er
     sich da, die sofortige Eintreibung des Vorschusses bzw. des noch vorhandenen
     Restes gefallen lassen wolle.


J  ohann Christoph Heße stand hier in den 80er Jahren und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in hohem Ansehen. 1782 war ihm am Kinde und mit dem Kinde die Frau gestorben. Im folgenden finde ich 1786: Herr Johann Christoph Heße, ansäßiger Handelsmann und Zwirnfabricator allhier. Hier erscheint er als Pate bei den Töchterchen des Cunersdorfer Gemeindemüllers Christian Friedrich Große, zusammen mit dem Spitzenhändler Scheinert und der jüngsten Tochter des Schulmeisters Johann Gottfried Uhlmann. Gevatterschaften hatten in früherer Zeit eine ganz andere Bedeutung als heute. Sie waren gewissermaßen das Kriterium der sozialen Stellung. 1780 hatte Heße bei seinem eigenen Kinde zu Paten genommen: den Erb- und Lehnrichter zu Cunersdorf, den Erbrichter zu Königswalde und die Gattin des hiesigen Pfarrers Härtel.


D  er weitere Geschäftsgang in der Zwirnmühle scheint aber nicht mehr so günstig gewesen zu sein, wie dies vorher erwartet wurde. Heße sah sich 1795 genötigt, mit neun ansehlichen Handelshäusern in Annaberg in Fühlung zu treten. Die Unterhandlungen führten schließlich dazu, daß am 2. März 1795 im Amte Grünhain mit Stollberg vor dem Amtmann Christian Gottlieb Kempe zwischen Heße und dem Standrichter Christian Jacob Eisenstuck in Annaberg ein Kauf zustande kam. Für das  „ Kaufportium ”  von 1000 Talern der Verkäufer dem Käufer „ erb- und eigentümlich das Hessesche Wohn- und Fabrikgebäude, auch Maschinen und Gerätschaften und Mobilen, samt denen darzu geschlagenen Commun- und Bleichgärten und dem besage Contracts vom 6.12.1779 vom Erbgericht abgelassenen Röhrwasser mit allen darauf haftenden Recht und Gerechtigkeiten, Nutz und Beschwerungen. ”

Eine wichtige Bestimmung des Kaufvertrages war die, daß Heße auch unter den neuen Verhältnissen dem Unternehmen erhalten blieb. Er wurde als Fabrikmeister angestellt und beibehalten. Als solcher tritt er uns 1802 im Kirchenbuche entgegen;

1802: Herr Johann Christoph Heße, Inwohner und Fabrikmeister bei hiesiger Klöppel-Zwirn-Fabrike.
1802: Herr Johann Christoph Heße, Fabrikmeister bei der allhiesigen Klöppel-Zwirn-Fabrik, ein Wittwer. Heiratete die Jungfrau Christiane Concordia Hungerin, Johann Christoph Hungers, Gartenhausbesitzers, auch General- und Landaccis-Einnehmers, Mühlmachers und Adjuvanten allhier eheliche andere Tochter.
1806: Herr Johann Chrsitoph Heße, Fabrikmeister bey allhiesiger Zwirnmühle.
1816: Herr Johann Christoph Heße, Fabrikmeister bei allhiesigen Klöppel-Zwirnfabrike, gest. 3. Mai 1816. 75 Jahr, 7 Mon. Altersschwäche und Entkräftung. Beigesetzt mit Rede am Altar.
1818: Seine Witwe, Frau Christiane Concordia geb. Hungerin heiratet wieder einen Annaberger Bürger, Maurermeister Mälzer. Kb. 274.
1796: Ms. Christian Conrad Heße, der freyen Künste beflißener auf dem Annaberger Lycaso, des Herrn Johann Christoph Heßens, Fabrique Meister in allhiesiger Zwirnmühle ehelicher einziger Sohn, juvenis. Aufgeführt als Pate bei „ weil. Johann August Drechsler, Hammer- und Zeugschmidt und Haußanseßiger allhier. ” Dessen Ehefrau geb. Auerbauch.


------------------------ Eisenstuck ------------------------


U  nter dem bedeutenden Annaberger Industrieführers, dem Bürgermeister Eisenstuck, nahm das Werk einen großen Aufschwung. In einer alten Handschrift finde ich den Satz: „ Für den nöthigen Spitzenzwirn, den man jedoch auch aus der Drehbacher Gegend und aus den Niederlanden bezieht, hat die Eisenstuckische Handlung eine eigene Fabrik zu Sehma ”. Und an dieser Spinnmühle oder Spinnfabrik kam noch eine Spinnschule hinzu, die Eisenstuck zur Vervollkommnung des Klöppelgarns angelegt hat. Wieder lasse ich einen alten Bericht sprechen: . . . „ Auch Getreide und Bretterhandel, Nägelschmiederei und Lohnfuhrwesen wurde betrieben. ”. . .

Frühzeitig aber schon bürgerten sich die ersten Anfänge der später so stark ausgeprägten Textilindustrie im Tale der Sehma ein. Es wurde geklöppelt und gesponnen und Sehma errang bald einen guten Ruf durch seinen Klöppelzwirn, der dem feinsten Klöppelzwirn aus Holland an Güte und Haltbarkeit nicht nachgestanden haben soll. Zu danken hatte er diesen Ruhm dem Annaberger Bürgermeister Eisenstuck, einem der größten erzgebirgischen Spitzenherren seiner Zeit, der zur Vervollkommnung des Spinnens von Klöppelgarn in Sehma eine Spinnschule anlegte. Mit der Schule war eine Spinnfabrik verbunden, aus der die einheimischen Spinnerinnen westfälisches Garn zum Spulen erhielten.

Das Gespinnst kommt dann, so berichtet Schumann in seinem - „ Vollständigen Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen - 11.Bd., S.59 - auf die von Wasser getriebene Zwirnmühle, die das Spinnen verrichtet, und dabei nur zwei Mädchen acht haben, daß sie ( die Mühle ) den Faden nicht zerreist, oder sonst Fehler mache.”

Ich möchte auch noch die nächsten Sätze anführen:

„Sehma liefert auch noch feine Spitzen, welche besonders von Annaberg aus debitiert, (d.H. vertrieben) werden. Doch gibt es auch im Orte einige Spitzenhändler und die hübschen Wohnungen derselben sowie einige Kaufleute, Frachtfuhrleute usw. geben dem Dorfe ein gefälliges, wohlhabendes Ansehen.”

A  uch erwähnen die alten Berichte schon eine besondere Bleichmethode, die hier in Sehma gebräuchlich gewesen ist. Man errichtete auf den Bleichen (Bleichplätze) Pulte, auf die die Stücke gespannt wurden, so daß die Sonnenstrahlung fast senkrecht auf sie trafen und der Bleichvorgang so wesentlich beschleunigt wurde.

E  s war nicht zu verkennen Daß das Wirken Eisenstucks und seiner Nachfolger aus der Familie der Spinnfabrik einen außerordentlichen Auftrieb gab. Auch für die Entwicklung des ganzen Ortes war der Einfluß deutlich zu spüren. Im Jahre 1801 zählte man in Sehma 526 Einwohner. Das ist übrigens die erste Zahl, die auf amtlichen Angaben beruht, nicht bloß eine geschätzte oder errechnete Einwohnerzahl. Im Jahre 1818 waren es schon 650 Einwohner, für die damalige Zeit eine beachtliche Zunahme.

Wenn einer etwas schafft,
so nimmt man es ihm auch gar nicht über,
wenn er selber weiß,
was er zuwegegebracht hat.

A  ls der Bürgermeister Christian Jacob Eisenstuck am 13.06.1804 das Sehmaer Unternehmen seinen beiden Söhnen und dem Schwiegersohne übergab, konnte er stolze Worte prechen. Die beiden Söhne und der Schwiegersohn waren:
1.) Herr Johann Christian Eisenstuck, Stadtberichter und Senator zu Annaberg
2.) Herr August Eisenstuck, Kauf- und Handelsherr zu Annaberg
3.) Herr Christian Gottlieb Hänel, Kauf- und Handelsherr zu Annaberg

D  er Vater sagte:
„Ich habe die Zwirnfabrik zu einer ganz vorzüglichen Vollkommenheit zu bringen versucht und ich habe nun den Wunsch, daß diese dem Vaterlande so nützliche Fabrik auch nach meinem Tode in ununterbrochenen Flor erhalten werde. Diese Fabrik solle zu allen Zeiten die Eisenstuckische Zwirnfabrik genannt und unter diesem Namen fortgeführt werden. Und der in dieser Fabrik gefertigte Klöppelzwirn soll auf dem äußeren Papiere mit dem angebogenen Zeichen bemerkt werden.”


L  ehenträger bei diesem Kaufe war Mstr. Johann Traugott Scheinert. Er mag die stolzen, aber berechtigten Worte Eisenstucks mit gehört haben. Er wußte nur zu gut, daß dem Selbstgefühl des Bürgermeisters die Ehrfurcht und die Verehrung der Ortseinwohner entsprach. Es kann nur Ausdruck grenzenloser Ergebenheit und tiefer Dankbarkeit für Arbeit und Brot gewesen sein, wenn sich ältere Leute um 1800 herum oft mit den Worten voneinander verabschiedeten - „Behüte dich der reiche Eisenstuck.”


I  n den Händen der altberühmten Firma Eisenstuck & Co., Manufakturen- und Spitzenhandlung in Annaberg, blieb die Fabrik bis zum Jahre 1820. Laut Kaufvertrag vom 31. Juli 1820 ging die Zwirnerei an diesem Tage an Frau Christiana Sophia Küttner geb. Wagler über, die Gattin des damaligen Leiters dieser Fabrik, Christian Friedrich Küttner.


------------------------ Küttner ------------------------


ieser 31. Juli 1820 ist darum der eigentliche Geburtstag der Firma.

„ Friedrich Küttner A.-G. ”

heute

Garnveredlungswerke Sehma, Volkseigener Betrieb

D  ie „Frau Küttnerin” gab 450 Taler für das „auf Gemeinde Grund und Boden befindliche Mundhaus nebst vorhandenen Maschinen, Gerätschaften und Mobilen, auch die dazu geschlagenen communlichen Bleichgärten, ingleichen den über dem Bach und Straße an den Begüterten Karl Gotthilf Hessens Feldrand gelegenen überbauten Keller, auch Röhrwasser lt. Contract vom 06.12.1779 vom Erbgericht abgelassenen Röhrwasser.”
Die maschinellen Einrichtungen, die die Käuferin übernahm, waren einfach genug. Sie bestanden aus zwei hölzernen Zwirnmaschinen mit Weifen und einer Spulmaschine, welche durch ein hölzernes Wasserrad angetrieben wurden. Die 450 Reichstaler waren so zu bezahlen:
250 beim Kauf und dann jährliche Raten zu 20 Talern ab Michaelis 1821.

E  s macht sich aber nötig, die Confirmation diese Kaufvertrages noch anzufügen. Sie lautet:
„ Endgesetzten Tage sind vor mir an geordneter Amtsstelle allhier in Person erschienen, Herrn Stadtrichters Johann Christian Eisenstucks, Herrn Christian Gottlieb Hänels und Herrn August Gottlob Eisenstucks, Kauf- und Handelsherren zu besagtem Annaberg, Verkäufern an einem, Frau Christiana Sophia Küttnerin aus Sehma, mit ihrem Ehemann Herrn Christian Friedrich Küttnern, Abkäuferin an anderen Theile, und als ihnen der eingereichte Kauf-Aufsatz vorgelesen worden, haben sie zu solchem durchgängig sich bekannt, die Unterschriften recognosciret und dessen genaueste Erfüllung angelobet, inmaßen den auch derer Herrn Verkäufern Herr Mandatarius an der verkauften Klöppelzwirn-Fabrick die Lehn in Amtshand niedergeleget und wegen der noch zu fordern habenden 200 Reichstaler die Hypothek an solchen sich vorbehalten nicht weniger nebst Abkäuferin um Confirmation des Kaufs, Bekennung der Lehn und Consens in die vorbehaltene Hypothek geziemend gebeten.
Wenn nun hierbay sich kein Bedenken gefunden; Als ist Amtswegen der abgeschloßene Kauf in quantum confirmiret, in die der rückständigen 200 Reichstaler Kaufgelder halber constituirte Hypothek consentiret und Abkäuferin der erkaufte Klöppelzwirnfabrick mit allen Ein- und Zubehörungen, nachdem sie Adam Gottlieb Mannen zu Sehma zum Lehnträger bestimmt, in Lehr und Würden gereichet, hierüber aber gegenwärtige Urkunde unter meiner eigenhändigen Mannens Unterschrift und vorgedruckten größerem Amts Insiegel ausgefertigt, auch davon dem Amts Handelsbuche des Dorfs Sehma de Anno 1816 Fol. 85b um Nachricht willen beglaubte Abschrift einverleibet worden.

So geschehen Amt Grünhayn den 23. August 1820.

Königl. Sächs. bestellter Amts Verweser allda

L.S.         Christian Friedrich Klebart.

In fidem copiae

Klebart

ad Act. jur. et Not Inmatr. ”


W  enn hier von einem Lehnträger die Rede ist, so ist das der Geschlechtsvormund der Käuferin, Mühlenbesitzer Adam Gottlieb Mann.

I  m Kirchenbuche lernen wir Christian Friedrich Küttner bereits 1804 kennen. Ich füge noch einige Einträge hier an:

1804: Christian Friedrich Küttner, Oberbleicher bay allhiesiger Zwirn Fabricke, jüngster Sohn des Johann Gottlob Küttner, erbansäßigen Berghauers und Grubensteigers in Bärenstein. Es heiratet Christiana Sophia, jüngste Tochter des Herrn Christian Thomas Wagler, Erb- und Lehrrichters zu Cunersdorf.

Verh. in Bärenstein 2. Juli 1804. Kurz vor Beginn des 19. Jahrh. war Christian Friedrich Küttner nach Sehma gezogen.

1804: Christian Friedrich Küttner, Oberbleicher bay der hiesigen Zwirn-Fabricke. Ehefrau Christiana Sophia Waglerin von und in Cunersdorf (wohnt noch zu Hause). Sohn Friedrich Wilhelm, geb. 12. Okt. früh 5 Uhr. Seine Paten waren Kauf- und Handelsleute in Annaberg:Schubert, Napholz und Meyer.

1811: Christian Friedrich Küttner, Oberbleicher bay allhiesiger Zwirnmühle und Adjuvant.

1816: Herr Christian Friedrich Küttner, Fabrickmeister bay der Klöppel-Zwirnfabricke.

Christian Friedrich Küttner, der erst Oberbleicher war, ist also nach dem Tode Heßens an dessen Stelle getreten: Ein paar Jahre später erscheint er dann selbst als Fabrikant.

1822: Herr Christian Friedrich Küttner, Hausansäßiger und Zwirnfabrikant und Adjuvant.

1827: Carl Friedrich Horn, Einwohner und Zimmermann allhier, heiratet die älteste Tochter des Christian Friedrich Küttner, hausansäßigen Zwirnfabrikanten und Adjuvanten des Musikchors allhier. Carl Friedrich Horn ist später ansässiger Bürger in Annaberg.

1831: Gotthold Heinrich Horn, Maurer allhier, vierter Sohn Carl Gottlieb Horns, Zimmermanns allhier, heiratet die dritte Tochter des Herrn Friedrich Christian Küttner.

1836: Herr Carl Jacob Leyn, Vicarius an der hiesigen Schule, des Carl Gottlob Leyn, gewesenen Bürgers und Hammerschmidts zu Jöhstadt einziger Sohn erster Ehe und des Herrn Johann Andreas Müller, emeretierten Thor-Accis-Einnehmers in Marienberg Pflegesohn, heiratete die jüngste Tochter des Herrn Christian Friedrich Küttner, Besitzer der hiesigen Zwirnfabrick.

A  us den Kirchenbüchern geht auch hervor, daß die Küttner aus Bärenstein stammen. Auch die Amtshandelsbücher weisen das aus. Im Gerichtsbuch Schwarzenberg Nr. 57 findet sich 1645 ein Hans Küttner am Behrenstein. Das ist ein Erbkauf 1 Stück Raumb von seinem Vater George Küttner allda verzeichnet. Das Taufregister 1673-1755 nennt 1680 einen Gottfried Kütner, Pachtmüller am Beerenstein.

1681: George Küttner am Stahlberge.

1686: Christoph Küttners jun. Kauff umb Hanß Küttners, Inwohners am Behrenstein Stücke Wießackers drittel theil Stücklein Feld von meinem Raum am Stahlberg.

D  ie letzte Jahreszahl, die ich aus dem Leben Christian Friedrich Küttners oben anführte, war 1836. Ein wichtiges Jahr war dann 1837, von dem ich hernach zu berichten haben werde. Sodann sind es noch zwei bedeutsame Jahre:

1844: Herrn Christian Friedrich Küttners, Zwirnfabikanten und Einw. Ehefrau Christiana Sophia, geb. Wagler gestorben am 21. Dez. 1844 im Alter von 61 Jhr. 8 Mon. 13 Tg. an Lungenentzündung. Geb. 8.4.1783 in Cunersdorf. Hinterläßt den Witwer und noch 7 Kinder, nämlich 4 Söhne: Friedrich Wilhelm, Friedrich August, Friedrich Lebrecht, Friedrich Adolph und 3 Töchter: 2 an je einen Horn und 1 an Leyn verheiratet.

1857: Herr Christian Friedrich Küttner, ansäßiger Einwohner, Zwirnfabrikbesitzer (nämlich in Ruhestand) Cantoreimitglied, Witwer, gest. am 10.Mai 1857 im Alter von 78 Jhr. 6 Mon. 6 Tg. an Brustentzündung. Geb. in Kühberg am 4. Nov. 1778 Hinterl. 6 Kinder:

geb. 1804 Friedrich Wilhelm, Gemeindevorstand in Sehma

geb. 1811 Frau Horn in Buchholz

geb. 1816 Friedrich August in Buchholz

geb. 1816 Frau Leyn in Kleinolbersdorf

geb. 1822 Friedrich Lebrecht in Lößnitz

geb. 1824 Friedrich Adolph in Schloß-Chemnitz

U  rsprünglich hatte der Gründer unserer Küttnerwerke 8 Kinder. Also ein reicher Kindersegen. Große Reichtümer zu sammeln, daran war natürlich nicht zu denken. Nur langsam war er vorwärts gekommen. Als angesehener Sechziger übergab er am 18. Mai 1837 das Geschäft seinem ältesten Sohne Friedrich Wilhelm der nach zwölfjähriger Abwesenheit aus Rußland zurückgekehrt war.

D  er Kauf selbst hatte eigentlich schon am 31. März 1837 stattgefunden. Die Belehnungs urkunde trägt aber das Datum des 18. Mai 1837. Nach früheren Abmachungen hatte bei dem Verkaufe die Firma Johann Christian Eisenstuck u. Co das Vorkaufsrecht. Sie hatte aber darauf verzichtet, und so konnte das Unternehmen der Familie Küttner erhalten bleiben. Friedrich Wilhelm Küttner wird in dem Kaufvertrage mit seinen Vater genannt: Zwirnfabikant und Musikus. An einer anderen Stelle fand ich den Ausdruck „ Musikbeflissener ”. Musik war in der Tat seine Pasion. Nicht nur, daß er in der Kantoreigesellschaft eine große Rolle spielte, er war auch sonst die stärkste Stütze des Kantors. Wie oft saß er selbst auf der Orgelbank. Aber nicht bloß kirchlich war er stark interessiert. Auch der Gemeinde lieh er seine wertvollen Gaben und Kräfte. So war er Gerichtsbeisitzer, Gemeindeältester und dann eine ganze Reihe von Jahren, bis in die 60er Jahre hinein, kenntnisreicher und geschickter Leiter der Gemeindeschicksale. Es hat mir immer Freude gemacht, von ihm verfaßte Schriftstücke und Entscheidungen zu lesen.

A  us dem Verkaufe Christian Friedrich Küttners vom Jahre1837 ist noch mancherlei zu berichten. 450 Taler betrug der Kaufpreis, den Friedrich Wilhelm Küttner zu bezahlen hatte, davon 225 Taler in bar. Die Alten behielten sich die Grasnutzung von beiden Gärten 5 Jahre lang vor, reservierten sich außerdem den unentgeldlichen freien Hausraum in der Wohnstube und Schlafkammer. Die Alten wollten auch weiter mitarbeiten, wollten jede Woche 1 Taler und freie Beköstigung am Tische des Käufers haben. An Lasten mußte der Käufer für das Wohnhaus mit eingebauter Klöppel- und Nähzwirnfabrik übernehmen:
1 Gr. 6 Pfg. einfaches Quatember-Contigent,
8 Gr. Erbzins und 8 Pfg. peinliche Kosten ans Königliche Rentamt,
dazu 8 Gr. Häuslerzins für den Bauplatz in die Communkasse, nebst anderen
steigenden und fallenden geistlichen und weltlichen Abentrichtungen.

U  nd über das Inventar, daß dem Käufer übergeben wurde, ist in dem Kaufvertrag auch etwas gesagt:

2 Handmaschinen, 1 dergl., so ins Wasser gerichter werden kann, 3 Spulenzeuger mit Zubehör, 200 Stück hölzerne Spulen, 1 Weife, 1 Zwirnwaage, 1 Zwirnkästchen, 1 Zwirnschrank, 12 Pfund eingesetztes messinges Gewicht, 1 hölzernes Gestell zum Zwirnaufhängen, 1 Netzkanne, 2 Zwirnpressen, 1 Garn- und Papierschere, 1 Wäschemangel, 1 Heuwagen.

S  chlicht und einfach mutet das alles an, was wir da hören von der Einrichtung einer Zwirnfabrik der damaligen Zeit, die doch noch gar nicht so weit zurückliegt. Einfacher wars vieleicht noch in der anderen Zwirnfabrik, die es damals im Dorfe gab. 1835 wird noch die Zwirnfabrik des „Carl Wilhelm Schmiedel” erwähnt, die sich wahrscheinlich im Grundstück Karlsbader Str. 24 befand (Landwirt Hugo Weigelt).

Ü  brigens fiel die Übergabe der Zwirnfabrik an Friedrich Wilhelm Küttner in eine Zeit, in der das Geschäft in dieser Branche wenig Freude machte. Im Grundzinsregister von 1838 lesen wir folgende Sätze:

„Durch ein späteres Zurückgeben steht auch die sub 5 vorstehend erwähnte Klöppelschule mit Zwirnfabrik auf einem sehr niedrigen Fuße, indem gegenwärtig die an der Sehma erbaute Zwirnmühle in Stillstand gekommen ist und nur noch mit einer Handmühle der Klöppel- und Nähzwirn dort gefertigt wird.

Die früher damit verbundene Klöppelschule, welche von dem Bürgermeister Eisenstuck in Annaberg durch den sub I N° 80 erwähnten Heße angelegt worden war, ist aber gänzlich eingegangen.”


I  ch habe den Eindruck, daß noch 1838 die gesellschaftliche Lage der Firma Küttner bald wieder gebessert haben muß. 1842 hören wir zunächst einmal, daß sich Friedrich Wilhelm Küttner verheiratete.

1842: Herr Friedrich Wilhelm Küttner, ansäßiger Zwirnfabrikant allhier, des Herrn Christian Friedrich Küttner ansäßiger Zwirnfabrikant allhier, ehelich ältester Sohn, heiratet die älteste Tochter des Herrn August Friedrich Georgi, Handelsmannes in Bärenstein.

1842: Friedrich Wilhelm Küttners, Zwirnfabrikanten allhier Ehefrau: Ernestine Wilhelmine, geb. Georgi, erstes Kind geboren: Friedrich Lebrecht Rudolph.


D  as ist der spätere Mühlenbesitzer Rudolph Küttner, Karlsbader Straße 21 C. Aber 1862 und 1870 wird noch Rudolphs Vater Friedrich Wilhelm Küttner Mühlenbesitzer und Zwirnfabriksbesitzer genannt. Unter Rudolph Küttner ist die „Mittlere Mühle” am 7. Oktober 1893 abgebrannt.

Rudolph Küttner ist am 1. Februar 1910 in Sehma gestorben.

1845: wird Friedrich Wilhelm Küttner Zwirnfabrikant, Hausbesitzer, Gemeindeältester, Gerichtsbeisitzer und Cantoreimitglied genannt.

1847: Herr Friedrich Wilhelm Küttners, Zwirnfabrikant, Hausbesitzer, Cantoreimitglied und der Zeit Gemeindeältester in Sehma, Ehefrau, geb. Georgi von Bärenstein, 4. Kind Friedrich Richard geb. am 31. Dezember 1847 abend 10 Uhr.


V  on ihm werden wir noch zu berichten haben. Er ist am 31. Juli 1929 gestorben.

1853: Herr Friedrich Wilhelm Küttner, ansäßiger Zwirnfabrikant, Gerichtsbeisitzer, Gemeindevorstands und Cantoreimitglied


I  n diesem Jahre 1853 lernen wir ihn also als Gemeindevorstand kennen. Und er war das, immer wieder durch das Vertrauen der Gemeinde dazu berufen, eine ganze Reihe von Jahren durch. Auch seine Fabrik hatte er vorwärts gebracht. Die von ihm im Auslande gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen hatte er in seinem Geschäfte auf das weitestgehende verwertet. So entwickelte sich sein Betrieb gegen Ende der 40er Jahre immer mehr und mehr, trotz der Revolutionsjahre 1848/49, die auch hier nicht ganz spurlos vorübergingen.

A  nfangs der 1850er Jahre, nachdem wieder geordnete Verhältnisse im Lande eingezogen waren, sah er sich in der Lage, die Fabrikanlage durch einen Anbau zu vergrößern, um neue Maschinen aufstellen zu können, zumal sich die Aufnahme des Handels mit baumwollenen Garnen und Zwirnen für die in unserer Gegend sich stark entwickelnde Posamentenfabikation als notwendig heraustellte.

Anfang der 60er Jahre, als der Reifrock, die sogenannte Krinoline, Mode wurde, machte sich die Vergrößerung der bisher kleinen Rasenbleicherei durch eine chemische Dampfbleicherei nötig, die auf eine Produktion von 5000 Pfd. eingerichtet wurde.

Im Jahre 1862 erfolgte die handelsgerichtliche Eintragung der Firma Friedrich Küttner auf dem Gerichtsamte Annaberg. So waren es lauter Jahre gesegneten Erfolges gewesen, Jahre, in denen er sowohl in der Gemeinde als auch bei den Behörden wegen seines ehrenhaften und biederen Charakters eine ganz besondere Achtung und Anerkennung erfuhr.

M  itten in seiner rastlosen Aufbauarbeit wurde Friedrich Wilhelm Küttner seinem Werke und seiner Heimatgemeinde entrissen. Am 19. März starb er nach kurzem Krankenlager infolge einer Erkältung, die er sich auf einer Reise zugezogen hatte.
Das Kirchenbuch sagt darüber folgendes:

1870: Herr Friedrich Wilhelm Küttner, Zwirnfabrik- und Mühlengutsbesitzer in Sehma, ein Ehemann, 65 Jhr. 5 Mon. 7 Tg. alt, Schleimschlag infolge Brustentzündung. Hinterläßt seine Ehefrau und 5 Kinder, 3 Söhne und 2 Töchter:
     Friedrich Lebrecht Rudolph, geb. 11.09.1842;
     Selma Aurelia, geb. 24.12.1845;
     Friedrich Richard, geb. 31.12.1847;
     Helene Pauline, geb. 09.12.1850;
     Karl Emil, geb. 16.01.1855, gest. 27.06.1898

S  o, wie ich unter Christian Friedrich Küttner noch einen Zwirnfabrikanten genannt habe, der im Orte eine selbständige kleine Fabrik hatte (Carl Wilhelm Schmiedel, 1835 genannt), so gabe es auch außer Friedrich Wilhelm Küttner noch einen im Orte, der als Zwirnfabrikant und Handelsmann in dem alten Bauer-Gottlob-Hause in der Nähe des heutigen Kinogebäudes, 1864 namhaft gemacht. Er ist bereits bei den Handelsleuten mit aufgeführt worden.

Desweiteren sind es noch einige Namen, die ich hier anfügen möchte. Ob es sich hierbei um Angehörige der Küttnerfabrik oder der Kunzefabrik oder um selbständige Unternehmen handelte, ist nicht zu erfahren gewesen:

1845: Samuel Imanuel Viehweger, verabschiedeter Militär, Spinnmeister und Fadenfabrikant, Einwohner in Sehma, gebürtig aus Burkhardtsdorf.

1849: Herr Joseph Maßarey, Seidenfärber und der Zeit Einwohner in Sehma, ein Witwer, röm.-kath. Confession. Er ist Sohn eines Seidenfärbers aus Wien, heiratete hier die älteste Tochter des weil. Mstr. Andreas Kupfer, gewesenen Fleischhauers und Fleischbankpächters hier.


A  ls Friedrich Wilhelm Küttner 1870 starb, sollte seinem Willen gemäß sein dritter Sohn
Friedrich Richard Küttner
sein Nachfolger in der Führung der Firma werden. Das Kirchenbuch nennt ihn wiederholt „ Wilhelm Richard ” statt „ Friedrich Richard.” So 1868.

1868: Herr Wilhelm Richard Küttner, Kriegsreservist und Cantoreimitglied, des Herrn Friedrich Wilhelm Küttner, Fabrik- und Mühlenbesitzers und Cantoreimitgliedes dritter Sohn.

1870: Wilhelm Richard Küttner, Königl. Steuereinnehmer und Kriegsreservist in Sehma, des Herrn weil. Friedrich Wilhelm Küttner, Fabrik- und Mühlenbesitzers in Sehma Sohn.


W  ir lernen hier also Richard Küttner als Steuereinnehmer kennen. Es handelt sich wahrscheinlich um die Schlachtsteuer, die lange bei der Familie war.

1872: Richard Küttner, Zwirnfabrikbesitzer.

1873 Friedrich Richard Küttner, Landwehrmann, Fabrikbesitzer und Kantoreimitglied, heiratet Anna Adelinde, geb. Dehnel von Sehma am 14. Oktober 1872.


A  ls Friedrich Richard Küttner die Fabrik übernehmen wollte, da brach gerade der Deutsch-Französische-Krieg aus, und Richard Küttner mußte sich auch dem Vaterlande zur Verfügung stellen. Deshalb verzögerte sich die Übernahme bis zum 13. April 1872.

Hatte das Geschäft während des Siebziger Krieges vollständig brach gelegen, so begann es bald darauf, sich neu zu beleben. Schon nach wenigen Jahren machte sich eine Vergrößerung notwendig. Richard Küttner erweiterte das Geschäft durch Aufnahme der verschiedensten Rohstoffe, darunter auch Mailänder und Chinaseide, die für die im Erzgebirge blühende Seidenschnur- und Posamentenfabrikation lohnende und gesuchte Artikel waren. Wesentliche Vergrößerungen des Unternehmens brachten die Jahre 1878, 1880, 1882 und 1902. In den Jahren 1895/96 waren umfangreiche Erneuerungsarbeiten der Wasserkraft erforderlich. Trotzdem konnte das neue eiserne Wasserrad die notwendige Kraft nicht schaffen, so daß die zur gleichen Zeit eingeführte elektrische Beleuchtung des Werkes sich nur durch Aufstellung von Akkumulatoren, die des Nachts gespeist werden mußten, erreichen ließ. Deshalb ging man schon 1902 zu Dampfkraft über. Die erste Dampfmaschine, die aufgestellt wurde, hatte eine Normalleistung von 120 PS. Die Wasserkraft wurde nur noch zur Versorgung der Fabrik mit elektrischem Lichte benutzt.

D  em äußeren Fortschritt in der Einrichtung der Fabrik entsprach aber auch die Leistungsfähigkeit des Werkes. Neben Baumwolle wurde Seide aufgenommen und um 1890 herum auch Kunstseide, das damals noch neue Material für die Posamentenindustrie.

Die Firma Friedrich Küttner war eine der ersten, die in richtiger Erkenntnis dieses neue Material die Kunstseide in ihr Handelsgeschäft aufnahm und darin wohl das weitaus größte Geschäft in unseren sächsischen Vaterlandes machte. Anfangs wurde sie zwar zunächst nur als Handelsartikel geführt.

Im Jahre 1903 aber fing Richard Küttner an, sie selbst zu verarbeiten, sie zu „veredeln”, d.h. sie im gezwirnten und gefärbten Zustande, besonders für Stickereizwecke, auf dem Markt zu bringen. In Verbindung hiermit steht die Gründung einer Agentur in Plauen i. V., die den Vertrieb der Kunstseide übernahm. Sie wurde im Jahre 1908 in eine Filiale umgewandelt.

Z  wei Jahre vorher, am 30. Juni 1906, hatte sich Richard Küttner, nach 35jähriger erfolgreicher Tätigkeit ins Privatleben zurückgezogen. Er zog nach Dresden und übergab die Fabrik seinem dritten Sohne Hugo Richard. Dieser baute das Geschäft im Geiste und im Sinne seiner Vorgänger aus der Familie weiter aus.

Aber er hat das besondere Verdienst, die vorher noch verhältnismäßig kleine Fabrik in einem Großbetrieb umgewandelt zu haben. Unter ihm ist die Firma Küttner zu den ersten und bedeutendsten Unternehmen ihrer Branche aufgerückt.

Hugo Richard Küttner

wurde am 17. März 1879 in Sehma geboren. Nach Beendigung seiner kaufmännischen Lehrzeit schickte ihn sein Vater zu weiterer Ausbildung nach England, während der zwei Jahre ältere Sohn Max in Frankreich einer gleichartigen Erweiterung seiner Kenntnisse und Vertiefung seiner Bildung teilhaftig wurde. Nach seiner Rückkehr aus England trat Hugo Küttner in das elterliche Geschäft ein, und am 3. Januar 1900 erhielt er, zugleich mit seinem Bruder, Prolura. 1906 wurde er Alleininhaber.

I  m Laufe der Zeit erfreute sich die Kunstseide für Stickereizwecke immer größerer Beliebtheit. Die Mode war ihr günstig gesinnt, und ihre Aufnahme wurde bald eine allgemeine. Um bei den immer mehr steigenden Bedarf an gezwirnter und gefärbter Kunstseide den Anforderungen gerecht werden zu können, entschloß sich Hugo Küttner im Jahre 1907, die Leistung der Fabrik durch einen größeren Anbau zu erhöhen, wobei sich eine Erneuerung der Dampfkraft- und Kesselanlage nötig machte.

D  as der Kunstseide die Zukunft gehören würde, hatte Hugo Küttner mit weitschauendem Blicke bald erkannt. Darum rief er in den Jahren 1908/09 in Pirna a.d. Elbe eine Kunstseidenspinnerei ins Leben, wo nach den neuesten Verfahren beste Kunstseide hergestellt wurde. Ja, dieses Pirnaer Werk überflügelte bald das unsere, so daß die hiesige Fabrik bald nur ein verhältnismäßig geringer Teil des viel größeren Pirnaer Schwesternwerkes wurde.

Unsere Sehmaer Fabrikanlage diente nur als Kunstseiden-Zwirnerei, -Spulerei und -Färberei. Aber wichtig blieb unser Werk doch insofern, als es als Verkaufszentrale seine Handelsbeziehungen mit aller Welt knüpfte.

P  irnas Spinnerei war anfangs für das sogenannte Chardonnet-Verfahren eingerichtet worden. Dieses Verfahren ist genannt nach dem französischen Grafen Hilario de Chardonnet, der im Jahre 1884 wegen seines Patents viel genannt wurde, das die erste praktische Verwirklung der Kunstseide brachte und die Grundlage für das Aufblühen der Kunstseidenindustrie schuf.

D  er junge französische Graf war Schüler des berühmten Pasteur am Pariser Polytechnikum gewesen. Pasteur war damals gerade mit dem Studium der Krankheiten des Seidenwurms beschäftigt. Die nahe Berührung, in die Chardonnet dabei mit diesem Insekt kam, regte seine erfinderischen Kräfte an. Er sah, daß die Seidenraupe auf den Blättern des Maulbeerbaumes und der Eiche lebte, daß der gummiartige, als Seide bekannte Stoff aus zwei winzigen Öffnungen ausgeschieden wurde und daß dieser „Gummi”, sobald er der Luft ausgesetzt wurde, sich sofort in der Form eines feinen Fadens verfestigte.

Chardonnet versuchte nun, dieses Verfahren der Natur mit mechanischen Mitteln nachzuahmen. Der Hauptbestandteil der Blätter war Zellulose, und es handelte sich nun darum, die Zellulose in einen löslichen Stoff umzuwandeln, diese Lösungen durch kleine Öffnungen zu pressen, wie es der Seidenwurm tat und sie dann wieder auf irgendeine Weise in eine unlösliche Form zu überführen. Nach diesem Prinzip ging Chardonnet vor und gelangte durch streng wissenschaftliche Folgerungen zum Ziel.

Bei dem ersten Verfahren, das er sich patentieren ließ, gewann er die Zellulose aus Holzschliff, der aus Maulbeerbaumstämmen verfertigt war. Den Holzschliff verwandelte er in Nitrozellulose, die aufgelöst und durch Öffnungen in erhitzte Luft gepreßt wurde. Dadurch erhielt die Nitrozellulose Fadenform. Die Fäden aber waren sehr leicht entzündbar und so wurde die Herstellung von der Französischen Regierung zunächst verboten. Nachdem die Fäden von dem gefährlichen Salpeter befreit und die technischen Schwierigkeiten im großen beseitigt waren, konnte zur Fabrikation des neuen Erzeugnisses geschritten werden.

Chardonnet rief 1891 die erste Kunstseidenfabrik in seiner Heimat Besancon ins leben. Mit der gewaltigen Zunahme der Herstellung von Jahr zu Jahr ging die Verbesserung des Verfahrens und die Veredelung des Erzeugnisses Hand in Hand.


N  ach diesem Chardonnet-Verfahren war die Spinnerei in Pirna eingerichtet worden. Nach Vollendung der Anlage ergab es sich aber, daß die Entwicklung schon weit darüberhinaus war, daß sich im Welthandel die Viscose-Kunstseide den Verrang vor der Chardonnet-Seide erobert hatte, nicht allein wegen ihrer geringeren Gestehungskosten und ungefährlicheren Herstellung, sondern auch wegen ihrer anerkannten Schönheit. Schnell entschlossen wurde die schon in Betrieb gesetzte neue Anlage auf das Viscoseverfahren umgestellt.

Gewiß eine enorme technische Umwälzung! Denn fast sämtliche Spezialmaschinen und Apparate mußten wieder entfernt und durch neue ersetzt, die Bauten erweitert und die Dampfkesselanlagen vergrößert werden. Aber schon Mitte 1910 konnte die neue Küttnerfabrik als die älteste deutsche Viscosespinnerei mit einer guten Viscose-Kunstseide auf dem Markte erscheinen und von da ab begannder Siegeszug der Küttnerseide, der „Kasana” auf dem Welt-Kunstseiden-Markt. Kaum ist einem Artikel ein größerer Erfolg beschieden gewesen als dieser Kunstseide, die sich in Gemeinschaft mit den besten Konkurrenzmarken in der kurzen Zeit, wenn man von den Kriegsjahren absieht, fast alle Gebiete der Textilindustrie erobert hat.

D  urch die großen Erfolge auf dem Gebiete der Viscose-Kunstseiden-Fabrikation ermutigt, gliederte Hugo Küttner mehrere Jahre später seinen Werken in Pirna eine neue Spinnerei an, in der nach dem Kupfer-Ammoniak-Verfahren gesponnen wurde. Seitdem ist auch in dieser neuen Anlage die Produktionskapazität infolge des stark steigenden Bedarfs nach Küttner-Kupferseide-Zellvag (Zellvag d.i. Zellstoff-Verwertungs-Aktiengesellschaft, also Kunstseide aus Baumwollabfällen und einer Kupfervitriol-Lösung. Viscose dagegen aus Zellstoff oder Zellulose) dauernd vergrößert worden.

Dieses feinfädige, unendlich weiche, der Traneseide ähnliche Gespinnst wurde dann bald mit Vorliebe zur Herstellung hochwertiger Damenstrümpfe verwendet, die den reinseidenen sowohl was Haltbarkeit beim Waschen anbetrifft, als auch an Glanz kaum nachstehen. Überall in der Damenwelt sind heute diese Strümpfe bekannt und beliebt. Auch wird aus Küttner-Kupferseide elegante Damenwäsche fabriziert, die sich beim Tragen als mehr hygienisch erwiese hat.

M  it der gewaltigen Ausdehnung der Spinnerei-Anlagen in Pirna hat auch die Erweiterung des Veredelungswerkes im Stammhaus Sehma gleichen Schritt gehalten. Im Jahre 1913 erfuhr diese, unsere Küttnerfabrik, durch Neubau eine weitere wesentliche Vergrößerung in heimatlicher Bauweise, in deren unteren Teilen neuzeitliche Aufenthaltsräume für die Arbeiter mit geräumigen Kantinenbetrieb untergebracht wurden. Diese letztere Entwicklung habe ich selbst mit eigenen Augen beobachten dürfen. Die Fabrik dehnte sich vorallem nach Norden zu weit aus. Wenn Großes entstehen soll, müssen wir freilich oft Kleines, an dem vielleicht unser Herz hängt, preisgeben. Es hat mich damals (1924) geschmerzt, daß im Zuge dieser Entwicklung ein Stück Alt-Sehma weichen mußte. Damals kaufte der unternehmenslustige weitblickende Chef der Firma alle die kleinen Häuslein im nördlichen Teile der Mittelstraße auf, so z.B. das Hecht-Eduard-Gütel, das Albin-Bauer- und das Richard-Hunger-Häusel. Sie standen dort, wo die Mittelstraße in die Karlsbader Straße ausmündet. Wir wissen es noch, wie eins nach dem anderen von der Bildfläche verschwand und wir waren traurig darüber. Es schien damals, als ob auch die Häuslein gegenüber ihre letzten Tage gesehen hätten, so z.B. „Emil Reichelt OL 44B, Walter Süß OL 44C, Paul Schmiedgen OL 44D.”

Aber das Schicksal ging an ihnen gnädig vorüber, wenn sie auch im Schatten des daneben aufgestandenen Riesen ein bescheidenes dasein führen müssen. Aber das ist der Zug der Zeit: „Das Alte stürtzt, muß oft stürzen, wenn Neues, Größer geboren werden soll.” Nach Inbetriebnahme des neuen Anbaues erhöhte sich die Arbeiterzahl auf etwa 400. Außerdem fanden entsprechend der jeweiligen Geschäftslage bis zu 150 Heimarbeiter lohnende Beschäftigung. Die Zahl der zur Zeit des Fabrikjubiläums im Jahre 1920 im Sehmaer Werk laufenden Spindeln betrug etwa 20000.

In enger Beziehung zum Sehmaer Werk stand ein Betrieb in Neudorf, dem 1. Dezember 1911 eingerichtet worden war. Es war eine Seidenwickelei, in der etwa 100 Arbeitskräfte beschäftigt wurden. Diese Fabrikanlage in Neudorf ist allerdings schon im Jahre 1919, mit dem Ende des ersten Weltkrieges, wieder in anderen Besitz übergegangen.

Die beiden Unternehmen in Sehma und Neudorf wurden der Neuzeit entsprechend eingerichtet und auch in hygienischer Beziehung mit allen Neuerungen ausgestattet. Sie wurden zum Schutze gegen Feuergefahr mit allen modernen Feuerlöscheinrichtungen versehen. Außerdem besitzt die Firma Küttner umfangreiche Beamten- und Arbeiterwohnhäuser. Der Gesamtgrundbesitz betrug in Sehma im Jubiläumsjahr 1920 etwa 14000 qm.

I  ch habe schon wiederholt das Jubileumsjahr der Firma Küttner erwähnt. Am 31. Juli 1920 konnte die Firma auf ein hundertjähriges gesegnetes Bestehen zurückblicken. Es war ein schönes Fest, an dem die ganze Gemeinde herzlichen Anteil nahm, denn sie wußte, was man der Familie Küttner zu verdanken hat. Sowohl der damals 73jährige Seniorchef Richard Küttner, als auch der 41jährige Chef Hugo Küttner waren seitens der Behörden, der Presse, der Industrie- und Handelsvertretungen, der Angestellten und Arbeiterschaft des Werkes Gegenstand herzlicher Ehrungen. Dankbar wurde auch des Gründers der Firma, Christian Friedrich Küttners, gedacht, der sich hundert Jahre vorher dessen wohl kaum bewußt gewesen ist, welche Ausdehnung seine kleine Zwirnmühle dereinst gewinnen und zu welcher Bedeutung die von ihm gegründete Firma im Wirtschaftsleben der engeren und weiteren Heimat einst gelangen würde. Aus der durch ein Wasserrad im Sehmabach betriebenen kleineren Spulerei und den beiden hölzernen Zwirnmaschinen, die die erzgebirgische Spitzenklöppelei mit Leinenzwirnen versorgten, wurde ein Weltunternehmen, aus den bescheidenen Fabrikanten von ehemals Industrieführer mit einer Verantwortung für tausend und mehr Arbeiter.

So sahen wir an diesem Ehrentage das Küttnerwerk in unserer Heimat mit der ihm angeschlossenen Spinnereien in Pirna als Mittelpunkt einer noch nicht abgeschlossenen, aber verheißungsvollen Entwicklung.

„Möge dem Werk Hugo Küttners aber und seiner Väter, die es gründeten und im Geiste unserer engeren erzgebirgischen Heimat fortführen, eine weitere gedeihliche Zukunft beschieden sein!”

Das war der Wunsch, mit dem wir von diesem Festtage schieden.



E  in knappes Jahr später war uns wieder ein Küttnertag beschieden. Am Dienstag, den 14. Juni 1921 vormittags 11 Uhr fand in Gegenwart des hochherzigen Stifters, des Fabrikbesitzers Hugo Küttner und seiner Gattin die Weihe des neu errichteten Kinderheims in der Fabrikstraße statt. Damit war ein Werk zur Vollendung gekommen, das in mannigfacher Beziehung für unsere ganze Gemeinde von Bedeutung war und wohl auch bleiben wird. Nicht bloß den einen gemeinnüzigen Zwecke sollte dieses Haus dienstbar gemacht werden, der sich in dem Worte „Kinderheim” aussprach, nein welcher Art diese Zwecke sind, das kommt in dem Unternamen zum Ausdruck, die in der überragenden Überschrift „Küttner-Stiftung” jeden vorübergehenden grüßen.

Wir lesen da:  „Kinderhort”,  „Altersheim”,  „Feuerwache”,  „Freibank”.  Wenn bis zum heutigen Tage noch nicht alle, der an der Außenseite angegebenen Zweckbestimmungen voll zur Auswirkung gekommen sind. Zum Beispiel Altersheim, so liegt das an der Ungunst der Zeiten, die über uns hereingebrochen sind, insbesondere auch der damit verbundenen Wohnungsnot. Dieses neue Kinderheim birgt eine ganze Reihe von guten und schönen Wohnungen, die sofort belegt werden mußten und unsere Gemeindeverwaltung weiß es, wie gerade auch Hugo Küttner viel dazu beigetragen hat, der seit dem ersten Weltkriege herrschenden Wohnungsnot in unserem Orte zu steuern.

W  enn ich an dieser Stelle noch einen Blick hineintun soll, in dieses 1921 zur Weihe gekommene Kinderheim, so muß ich im Erdgeschoß das Freibanklokal mit Kessel und Verkaufsstand erwähnen, sowie die Feuerwache, wo die Geräte der Freiwilligen Feuerwehr samt der kurz vorher von Hugo Küttner ebenfalls gestifteten Motorspritze ihre neue, geräumige Unterkunft gefunden haben. Daneben sind es noch Vorratsräume, die im Erdgeschoß untegebracht werden mußten, weil, wegen des Felsengrundes, die Keller fortfallen mußten.

Im ersten Stockwerke sind es mehrere Räume, in denen seinerzeit von der Gattin Hugo Küttners ins Leben gerufene Kindergarten Unterkunft gefunden hat. Zwei Zimmer, die durch eine zusammenlegbare Holzwand geschieden werden können, sind da zu einem kleinen Saale vereint, der den Kleinen reichlichen Platz zu frohen Spielen bietet.

Sinniger Schmuck an Decken und Wänden - Bilder aus der Märchenwelt - deuten an, daß dieser Raum vornehmlich den Kleinen gehören soll. Daneben soll er aber auch zu Sitzungszwecken gebraucht werden.

I  n der Weihefeier selbst sprach Gemeindevorstand Schneider im Namen des Gemeinderates dem edlen Stifter den tiefgefühlten Dank der gesamten Gemeinde aus für diese abermalige hochherzige Stiftung, womit er erneut seiner Liebe zur Heimatgemeinde einen so beredten Ausdruck gegeben und sich dadurch immer und immer wieder als Wohltäter unseres Ortes erwiesen habe. Nach Architekt Weißflog und Feuerwehrhauptmann Emil Gahler, der den Stifter unter Überreichung eines Ehrendiplomes zum Ehrenmitglied der Freiwilligen Feuerwehr ernannte, kam schließlich Hugo Küttner selbst zu Wort, der seinen Willen dahin kundgab, daß dieses neue Haus nicht bloß ein Haus für Kinder, sondern ein rechtes Gemeindehaus sein solle, in gleicher Weise dienstbar der Gemeinde, der Schule und der Kirche. Unter ihrer „Tante”, der Kindergärtnerin Lilly Göbel, traten dann noch die Kinder auf und erfreuten durch muntere Spiele, wofür sie auch mit Kaffee und Kuchen belohnt wurden.

Dieses Kinderheim, so sagen wir immer, eigentlich müßten wir, gemäß der Aufschrift „Küttner-Stiftung” sprechen, sollte also eigentlich ein Gemeindehaus darstellen. Die Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß dieses in den Jahren 1920 und 1921 errichtete schöne Gebäude lediglich dem Kindergarten, der Feuerwehr und der Freibank diente und daß es zweckmäßige Wohnungen für die Kindergärtnerin, später für die Gemeindeschwester und andere Ortseinwohner enthielt. Dazu kam noch, daß Hugo Küttner einige Jahre darauf 1924 und 1925 ein besonderes „Kirchgemeindehaus”, gegenüber der Pfarre erbaute. Dieses wurde zwar nicht der Kirche zugeeignet, sondern es blieb Eigentum der Firma Küttner, jedoch mit der Maßgabe, daß darin ein schöner, geräumiger Kirchgemeindesaal der Kirchgemeinde zur Verfügung gestellt wurde. Weiter erhielten darin der „Kantor” und der „Kirchner” Dienstwohnungen, ersterer jedoch gegen Mietentschädigung. Die Kirche freute sich dieser neuen Errungenschaft von ganzen Herzen. Wiederholt hatte sie ja schon von seiten Friedrich Küttners, wie auch von seiten Hugo Küttners besondere Gunstbeweise erfahren, sei es in Gestalt von Legaten oder nahmhaften Kapitalzuwendungen, oder sei es durch eine großzügige Orgelerneuerung.

V  orher noch, in den Jahren 1922 und 1923 hatte der Wohltäter unserer Gemeinde, Hugo Küttner, sich selbst ein unvergängliches Denkmal gesetzt in Gestalt unserer herrlichen „Friedrich-Richard-Schule”. Ich selbst habe allergrößte Ursache, seinen Namen in Dankbarkeit laut zu erwähnen. Der mir schon vor dem Fabrikjubiläum im Jahre 1920 gegebene Zusage, daß er auch die Schule nicht vergessen wolle, ist Hugo Küttner treu geblieben, wenn ich auch mehrere Jahre warten mußte. Unvergesslich sind mir die Tage der Schulweihe, der 25. und der 26. August 1923.

Trüb und schwer lastete die Zeit auf uns, Franzosen und Belgier an der Ruhr, dazu die Inflation, die Handel und Wandel lähmte, aber uns Sehmaer waren doch mitten in all dem Ernst und Leid ein paar Tage der Festfreude beschieden. Großes war trotz allem erreicht:

Eine neue Schule stand stolz und majestätisch da, ein ragendes Ehrenmal für den Wohltäter unserer Heimat, ein Kunstwerk erlesenen Geschmacks, innen wie außen, ganz abgesehen davon, daß wir Sehmaer nicht einen einzigen Pfennig dafür aufzuwenden brauchten.


I  ch habe in diesen Tagen der Schulweihe, auch vorher schon und lange nachher noch, von auswärtigen Besuchern und Bewunderern unserer Heimatschule oft genug zu hören bekommen:

„Ja, was wißt denn Ihr Sehmaer? Was wißt Ihr von den Nöten und Sorgen und Schwierigkeiten anderer Orte? Ihr habt Euren Küttner! Und der hilft!”


D  as kam mir immer vor wie eine Parallele zu dem Gruße der Alten in der Heimat hundert Jahre vorher:
„ Behüte dich der reiche Eisenstuck! ”


A  ls es ich vor der Schulweihe von 1923 darum handelte, der neuen Erziehungs- und Unterrichtsstätten einen Namen zu geben, da wußte der edle Stifter keinen besseren und passenderen, als den seinen alten und ehrwürdigen Vaters Friedrich-Richard, der bereits im 76. Lebensjahre stand. Wenige Jahre darauf konnte der Seniorchef, viel geehrt und gefeiert, seinen 80. Geburstag begehen. Es war zum Sylvestertage 1927. Seine paar letzten Lebensjahre waren getrübt durch viele Leiden. Da ihm ein weiches Gemüt eigen war, saß er oft unter bitteren Tränen. Und dann kam der Tod zu ihm als Freund.

Am 31. Juli 1929 des Morgens in aller Frühe senkten sich die Schatten des Todes herab auf den nahezu 82jährigen. Am Sonnabend darauf, dem 3. August 1929, wurde der treue, hochverdiente Mann zur letzten Ruhe bestattet. Der ganze Ort stand an diesem Sommertage im Zeichen der Trauer um diesen obererzgebirgischen Großindustrieellen, dessen Arbeit viel für die Entwicklung unserer engeren Heimat bedeutet hatte. Im Gotteshaus, zu dem der Entschlafene immer ein inniges Verhältnis gepflegt, dem er einst ein Bildfenster gestiftet und hernach namhafte Geldzuwendungen gemacht hatte, sprach Pfarrer Führer über das schöne Bibelwort:

„Haltet mich nicht auf;
denn der Herr hat Gnade zu meiner Reise gegeben!
Laßt mich; daß ich zu meinem Herrn ziehe!”

(1.Mos. 24,56)

D  a zog Richard Küttners Leben noch einmal an uns allen vorüber, seine berufliche Tüchtigkeit, sein gemeinnütziges Wirken, sein gesegnetes Leben!

Seiner Heimat diente er insbesondere auch als Gemeinderatsmitglied, als Schul- und Kirchenvorstandsmitglied. Im Kirchenvorstande war er lange Jahre stellvertretender Vorsitzender. Vom Gotteshause gings zur Küttnerschen Familiengruft. Da ruht er nun aus, von seinem Erdenmühen und seinem unablässigen Arbeitseifer der früheren Jahre, von seinem tätigen Lieben und seinen geduldigen Leiden.


E  s war klar, daß auch unsere „Friedrich-Richard-Schule” eine Trauerfeier veranstaltete, für den Mann, der einst, am 30. Juli 1907, anläßlich eines Schulfestes unserer Schule eine herrliche Schulfahne gestiftet hatte, die die Inschrift trägt:

„Fürchtet Gott! Lernet Weisheit! Übet Tugend!”

W  ar schon die Schulfahne, unser Heiligtum, unser Kleinod, das äußere Zeichen der Zusammengehörigkeit zwischen dem Hause Küttner und unserer Heimatschule, so war es dann, von der Schulweihe 1923 ab, der Name der neuen Schule fast noch mehr: „Friedrich-Richard-Schule”. Es ist sein Name, den unsere Schule trägt! Viel Liebe hat sie von seinem Hause erfahren. Darum konnte es nicht anders sein, als daß ich an diesem Abend des 23. August 1923 in der Trauerfeier über das Wort spreche: „Die Liebe höret nimmer auf!” Äußerlich schlicht und anspruchslos, innerlich fein und vornehm, eine Persönlichkeit, die in einem langen, gesegneten Leben vielen zum Segen geworden ist. So steht Richard Küttners, des Verklärten, Bild vor uns und wir schreiben darunter: „Unvergesslich, unvergänglich! Die liebe höret nimmer auf!”

„Wer liebend wirkt, bis ihm die Kraft gebricht.
Wer segend strirbt, oh den vergißt man nicht!
Wer den Besten seiner Zeit genug getan.
Der hat gelebt für alle Zeit!”


I  ch sage in dieser Trauerstunde: „Wenn einst die Geschichte diese verdienten Männer der Heimat verzeichnen wird, dann wird bestimmt der Name eines Friedrich Richard Küttner mit in der vordersten Reihe stehen.” Wohlan denn, so laßt uns einen Namen hierher schreiben zum ehrenden Gedächtnis:
Friedrich Richard Küttner
und dicht daneben soll der seines dritten Sohnes stehen, der Name
Hugo Küttner.


E  ine tiefe Tragik liegt über dem Leben Hugo Küttners. Im Sturmeslauf war es aufwärts gegangen. Was er machte, das geriet wohl. Er hatte sich ein Unternehmen geschaffen, von dem man glaubte, daß es nicht zu erschüttern sei.

Da aber lauerte das Verhängnis: Er fand nicht das rechte Verhältnis zum Nationalsozialismus. Er stand in Opposition zu den von 1933 bis 1945 herrschenden Gewalten. Da wurde ihm die Betriebsführereignung aberkannt. Man sah ihn nicht mehr in seinen Fabriken, obwohl sie ihm noch gehörten, wenigstens der Aktiengesellschaft, deren weitaus meiste Anteile er auf sich vereinigte. Als aber dann im Mai 1945 der Umschwung kam, hätte er auch für sich einen Umschwung seiner Lage, seiner Verhältnisse zu dem von ihm geschaffenen großen Werke erwarten dürfen.

An jenem unruhevollen, schwärzesten Tage der deutschen Geschichte, wo Deutschland zusammenbrach und bedingungslos kapitulieren mußte, fuhr er, der sonst in glücklicheren Tagen einen wertvollen Kraftwagen benutzte, auf dem Gefährt der wirtschaftlich Schwächeren, dem Fahrrade, von einem Besuche bei Verwandten kommend, durch das zerstörte Dresden. Er war innerlich tief erregt, was in seinem Inneren vorging, wer vermag es zu sagen. Dazu war es der erste warme, ja heiße Tag nach einer kühlen, niederschlagsreichen Wetterperiode. Mitten in dem Gewirr des Straßenverkehrs stürzte er entseelt vom Rade. Ein Herzschlag hatte dem 66jährigen ein jähes Ende bereitet.

Er wurde begraben, aber nicht hier in seiner Heimat, seiner Familiengruft und nicht mit einer würdigen Trauerfeier, wie sie seinem ehrwürdigen Vaters bereitet worden war. Nicht einmal einen Sarg konnte man ihm in diesen Tagen des Wirrwarrs beschaffen. In einem Tuche gewickelt, wurde seine Leiche mit anderen zusammen, die in diesen schmerzensreichen Tagen in so qualvoller Häufung dahin gingen, dem Schoße der Erde übergeben. Kaum das die allernächsten Angehörigen bei der Trauerfeier zugegen waren. Eine Benachrichtigung der auswärtigen Verwandten war bei dem Darniederliegen jeglichen Post- und Eisenbahnverkehrs schlechterdings unmöglich. Sein Bruder Max hier erfuhr die Trauerkunde erst volle zwei Wochen später.

Wie ein Namenloser ruht Hugo Küttner nun draußen auf einem der Dresdner Friedhöfe, ärmer begraben, denn der ärmste Mann unseres Dorfes.


Sic transit gloria mundi!



A  uch was meine Schöpfung anbelangt, so ist alles anders gekommen als man erwartet hatte.




W  enn auch das hiesige Küttnerwerk nicht von der sogenannten Demontage betroffen wurde, das Pirnaer Hauptwerk ist es im hohen Maße. Es muß wieder von vorn anfangen und es ist heute schon wieder in kraftvollem Aufbau begriffen. Aber auch am hiesigen Werk ist die schwere Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Das Augenfälligste daran ist die Änderung der Firma in „Garnveredlungswerk Sehma, Volkseigener Betrieb”

Friedrich Mahn
Direktor der
Friedrich-Richard-Schule
von 1912 bis 1938

bearbeitet von pks




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