Darauf will ich jetzt die schuldige Antwort geben.
an darf die Entstehung unserer Heimat nicht zu früh ansetzen. Noch um das Jahr Eintausend rauschte, wie aus Ewigkeiten stammend und für die Ewigkeit bestimmt, der immergrüne Mantel unberührten Urwaldes, Miriquidi genannt, von der Rochlitzer und Döbelner Pflege her bis in unsere Heimatgegend und noch darüber hinaus bis ins heutige Böhmerland. Im Frieden dieses geheimnisvollen Domes, der alles überschattete, schlief lange, lange unsere geliebte Heimat, bis endlich das Licht der Geschichte sie aus ihrem Schlummer weckte
as war zur Zeit des Hohenstaufenkaisers Friedrich Barbarossa. Der war die treibende Kraft bei der Besiedlung des ganzen Westerzgebirges. Wir wissen von ihm, daß er oft in Altenburg weilte, wo er seine Hoftage abhielt, so 1165, 1170, 1172, und 1180. Eins dieser Jahre, das Jahr 1170, nehme ich als Zeit der Gründung
unseres Ortes an, nicht früher. Friedrich Barbarossa ging bei dem Besiedlungswerk ganz planmäßig vor. Er nahm Adelsgeschlechter in seinen Dienst und beauftragte sie mit der Durchführung der Besiedlung. Welches Herrengeschlecht bei uns in Schlettau, dem Ausgangspunkt und Mittelpunkt der Kolonisation in unserer Gegend, das zielbewußte Werk in die Hände nahm, das verschweigt uns leider die Geschichte bis zum heutigen Tage noch.
In den Urkunden werden die Schönburger auf Hassenstein in Böhmen als die ersten Inhaber der Herrschaft Schlettau, zu der wir von allem Anfange an gehörten, bezeichnet. Daß vorher noch ein anderes Herrengeschlecht am Werke war, das den eigentlichen Auftrag vom Kaiser empfangen hatte, darüber schweigen sich die Urkunden aus.
ntstanden ist die Herrschaft oder Pflege Schlettau wahrscheinlich auch nicht viel eher als 1170, gewiß nicht eher als 1158. Das waren die Jahre, da die deutsche Kolonisation langsam gegen das Gebirge vorrückte. Spürbar wurde das Vordringen des deutschen Einflusses in den westerzgebirgischen Urwald zum ersten Male allerdings schon im Jahre 1118. Zu dieser Zeit erfahren wir auch etwas von dem Kleingau Zwickau. Er war der erste in den Urwald hineingetriebene Siedlungsteil und ein
Untergau des großen Pleißengaues, der sich hauptsächlich um Altenburg erstreckte.
Ich bezweifle es, daß wir von allem Anfange an etwa zum Kleingau Zwickau gehört oder wenigstens irgendwelche Beziehungen zu diesem Gaue gehabt hätten. Vielmehr bin ich der Meinung, daß die allererste Landschaftsbezeichnung für unser Gebiet keine andere gewesen sein kann als eben die Herrschaft Schlettau.
Von der Burg Schlettau aus begann man, zielbewußt zu kolonisieren, das heißt das Land mit deutschen Bauern zu besetzen. Diese Burg Schlettau muß da natürlich schon dagewesen sein. Sie ist weit älter als die Herrschaft, auch weit älter als das Städtlein, auch weit älter als das Dorf Schlettau, aus dem die Stadt erst hervorgegangen ist.
n ihren ersten Anfängen war die Wasserburg gar keine Burg, sondern nur ein Wegposten, eine Wegsicherung, ein Wachturm, ein Arsenal, ein Kastell, erbaut im Mündungswinkel der Roten Pfütze zur Sicherung des Handelsverkehrs zu dem uralten Sorbensteig, der unsere Gegend berührte. Dieser Wegposten, aus dem dann später die Wasserburg geworden ist, hat sicher mehr denn tausend Jahre auf dem Buckel. Manche Geschichtsschreiber wollen davon wissen, daß dieses Wegkastell schon um 860 bestanden haben soll. Es mag mehr als bescheiden ausgesehen haben. Zur steineren Wasserburg wurde es erst, als die Herrschaft Schlettau um 1156 ins Leben trat. In ihr nistete sich zu dieser Zeit der Grundherr ein, das heißt der Mann, der für das neue Gebiet, das erstehen sollte, Grundherr werden sollte. Wir nennen ihn den „Ritter von Schlettau". Er war es, der das Besiedlungswerk in unserer Gegend leiten und dann die zu errichtende Pflege Schlettau verwalten sollte.
uch von einem Burgvogt des böhmischen Königs will die Geschichte wissen, der in der Wasserburg seinen Sitz gehabt haben soll. Diese Behauptung ist nicht von
der Hand zu weisen. Denn unsere Herrschaft Schlettau war im frühen Mittelalter böhmisch, jedoch nicht gleich von Anfang an. Das Königreich Böhmen griff in dieser Zeit über den Kamm des Gebirges herüber und reichte noch über Schlettau hinaus, bis zum Stockholz in der Nähe der Finkenburg.
Diese Zugehörigkeit der Herrschaft Schlettau zu Böhmen bestand aber nicht — wie bereits angedeutet — von allem Anfange an, sondern sie ist erst von den
Schönburgern in die Wege geleitet worden. Die Schönburger haben sich wahrscheinlich freiwillig in die Lehnshoheit Böhmens begeben. Sie hatten damals außer ihrer Herrschaft Schlettau noch eine Reihe von Besitzungen südlich des Erzgebirgskammes, mit denen sie ohnehin unter der Krone Böhmens standen, und sie sagten sich, daß sie sich in den Wirren dieser Zeit unter dem Schuze Böhmens am sichersten und geborgensten fühlen könnten. Ich habe es schon ausgesprochen, daß die Schönburger gar nicht die ersten Herren unserer Herrschaft gewesen sein können.
in anderes Herrengeschlecht hat hier bei der Besiedlung seines Amtes gewaltet, ein Geschlecht, dessen Name bis heute noch in tiefes Dunkel gehüllt ist. Mehrere
namhafte Geschichtsforscher nehmen aber an, daß es die Burggrafen von Altenburg waren, die von Friedrich Barbarossa den Auftrag zur Kolonisation in unserem
Gebiete bekommen haben und die damit auch die ersten Inhaber unserer Herrschaft Schlettau geworden sind. Das ist umso wahrscheinlicher, als die Burggrafen von Altenburg im Mittelalter auch einmal die Herrschaft Belberg (das ist nach heutiger Schreibweise Pöhlberg!) inne hatten. Mit der Annahme, daß die Burggrafen
von Altenburg die allerersten Herren unseres Gebietes gewesen sind, ist auch zugleich die Wahrscheinlichkeit ausgesprochen, daß unsere Herrschaft Schlettau
überhaupt von der Altenburger Pflege aus besiedelt worden ist.
on dem Gebiete an der mittleren Zwickauer Mulde wissen wir es bestimmt, daß die Besiedelung vom Altenburger Land aus erfolgt ist. Von unserer Gegend verlautet
darüber in den Urkunden nichts. Aber ich halte das für unseren Ort und für unsere ganze Pflege, zu mindestens für Sehma und für Schlettau noch, für sehr wahrscheinlich. Schlettau und Sehma sind in unserer Herrschaft zu allererst und allem Anschein nach zeitlich sehr bald nacheinander entstanden, wenn sie nicht gar einem einzigen Gründungsakte ihre Entstehung verdanken. Ich denke hierbei an die Tatsache, daß der östlichste Stadtteil unserer guten Muhme Schlettau den Namen „Kleine Sehma" trägt. Dreimal tritt hier der Name „Sehma" auf: Kleine Sehma, Sehma und Rothsema. Das deutet doch sicher auf eine
innige Verbindung zwischen Schlettau und Sehma hin, die in der Gleichzeitigkeit ihrer Gründung ihre Ursache hat. Sehr bald darnach mag Walthersdorf gegründet worden sein, sodann Königswalde, von dem allerdings bloß die Seite links der Pöhla, die sogenannte Amtsseite, zur Herrschaft Schlettau gehörte. Endlich sind es Cranzahl und Cunersdorf, die wahrscheinlich als Restsiedlungen von Sehma das
Licht der Welt erblickt haben. Bei Cunersdorf ist der Charakter als Restsiedlung von Sehma bestimmt der Fall. Da ergibt es das Siedlungsbild.
lle diese ersten Siedler in unserer Herrschaft Schlettau waren, wie wir bestimmt annehmen dürfen, und zum mindestens was die Kolonisten in Schlettau und Sehma
angeht, „T h ü r i n g e r - L a n d e s - K i n d e r ”. Diese Erkenntnis hat sich mir erst in den letzten Jahren, nach vielem vergeblichen Suchen und Forschen, geradezu aufgedrängt und hat mir manche Zweifel behoben, die mich früher immer noch quälten.
Bisher haben wir immer von „thüringisch-fränkischen Kolonisten" gesprochen, die sich in unserer Gegend „auf wilder Wurzel" eine Heimstatt schufen. Nun aber können wir es bestimmter sagen, nicht mehr: Thüringer oder Franken, sondern mit ziemlicher Bestimmtheit: „T h ü r i n g e r , u n d z w a r a u s d e r G e g e n d v o n A l t e n b u r g” . Wir müssen dem noch weiter nachgehen. Wir wissen aus der Kolonisationsgeschichte, welch überaus wichtige siedlungsgeschichtliche Rolle gerade der Verkehr spielt, und wir sehen die Ursache für die immerhin zeitige Bauernkolonisation so hoch oben im Gebirge im Vorhandensein eines bereits vor der Besiedlung bestehenden Wegesystems. Ich will und kann sie nicht alle nennen, diese alten Straßen,
die in ihrer äußeren Beschaffenheit nicht viel besser waren als unsere heutigen Holzabfuhrwege. Aber das will ich feststellen: Straßenmittelpunkt des gesamten Gebietes zwischen Saale und Elbe, war in dieser alten Zeit immer A l t e n b u r g , der Hauptort des Pleißengaues. Anschluß nach Altenburg hatte auch der uralte Erzgebirgssteig, der aus der Freilandschaft um Zwickau kam, die wie eine Kulturoase in slawischer Zeit am weitesten in den Miriquidi südwärts ragte. Aus diesem Erzgebirgssteig — wir nennen ihn auch Sorbensteig — ist dann die bekannte und geschichtlich denkwürdige Straße geworden, die wir gemeinhin als die „A l t e Z w i c k a u e r S a l z s t r a ß e” bezeichnen.
u Handelsstraßen waren die Slawensteige herausgewachsen besonders zu der Zeit, als die mitteldeutschen Salzhändler anfingen, mit Böhmen in Geschäftsverbindung zu treten. Es hatten sich in der Hauptsache drei Salzstraßen herausgebildet. Die, die für uns in Betracht kommt, die Zwickauer, führte über die Preßnitzer Gebirgsniederung, den Preßnitzer Paß. Sie war die verkehrsreichste, weil der Preßnitzer Gebirgseinschnitt der bequemste Übergang über das Gebirge war, obwohl er nicht der tiefste ist. Dieser Pfad hat schon in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts bestanden. In tausendjähriger erzgebirgischer Geschichte hat er immer die Rolle eines Völkertores gespielt, durch das sich ein vielgestaltiges Leben bewegte, und der
uralte Zwickauer Saumpfad ist Träger und Schauplatz großer und bedeutsamer Ereignisse gewesen.
ür unser Gebiet um Schlettau herum wurde diese Straße zur „A n m a r s c h s t r a ß e der S i e d l e r o d e r K o l o n i s t e n” . Wir kennen diese Straße und auch ich habe gerade mit dieser Straße, die geschichtlich bedeutsam ist, viel Bekanntschaft gemacht. Mein ganzes Leben hat sich in Orten an dieser Straße abgespielt, ohne daß ich damals geahnt hätte, wie bedeutsam sie für mich einmal werden würde. Sie führt von Leipzig, der mittelalterlichen Metropole des Nordens — eigentlich schon von Halle — ausgehend, schließlich nach Prag, der Metropole des Südens. Wichtige Stationen an dieser Straße sind: Altenburg, Zwickau — hier überschreitet sie die Mulde — dann Zschocken, Hartenstein,
Lößnitz, Zwönitz, Elterlein, die Finkenburg, Schlettau, Sehma, Kühberg, der Blechhammer, der Weiße Hirsch, Preßnitz, Reischdorf, Kaaden, endlich die mittelalterliche Erzbischofsstadt Prag, Böhmens Hauptstadt. Noch einen Ort gelüstet es mich an dieser Straße zu nennen, einen Ort, der gerade uns Sehmaer besonders interessiert. In der Altenburger Gegend, zwischen Altenburg und Gößnitz, liegt zu beiden Seiten der Zwickauer Landstraße ein sonst unscheinbares Dörfchen, aber mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte. Ich bin in jüngeren Jahren mehr als einmal durch dieses Dorf gegangen, ohne mir viel dabei zu denken. Heute aber klingt sein Name mir freundlich in die Ohren, wenn er
auch ein klein wenig anders geschrieben wird als der Ort, der mir zu meiner zweiten Heimat geworden ist. Dieses Altenburger Dörflein heißt „Zehma”.
ch stehe nicht an zu erklären, daß dieses Zehma im Altenburgischen für den Mutterort unserer lieben Heimat Sehma halte, die sich jetzt anschickt, Heimatfest und Schulfest zu begehen. Aus diesem Orte Zehma und vielleicht noch aus einigen Nachbarorten dieser Gemeinde kamen einst — um 1170 — die Kolonisten, die sich bereit erklärt hatten, die Fahne des Reiches nach dem Südosten zu tragen, hinein in den finsteren Erzgebirgs-Urwald, wo dann deutsche Waldhufen mit den langen Gutsstreifen vom Bache aus zur Höhe streben sollten. Das Dorf Zehma im Altenburgischen ist eine slawische, nämlich sorbische Gründung und hatte im frühen Mittelalter auch eine slawische Bevölkerung aufzuweisen, über den slawischen Ortsnamen brauchen wir uns da auch garnicht zu wundern. Die Zehmaer von heute machen sich auch über die Bedeutung ihres Ortsnamens garnicht so viel Kopfschmerzen, wie wir Sehmaer von heute das tun und wie ich das besonders von mir sagen kann in den Jahren daher, seit ich mich mit der Ortsgeschichte befasse. Wenn ich die altenburgischen Zehmaer darüber befragt habe, was ihr Ortsname zu bedeuten hätte, so sagten sie ganz einfach: „Das hängt mit dem Geschichte derer von Zehmen zusammen". Wir erzgebirgischen Sehmaer aber quälen uns ab und haben für unseren Ortsnamen schon die mannigfachsten Erklärungen und Deutungen ausfindig gemacht. Wir sagen uns: Ortsnamen sind doch niemals zufällige Schöpfungen. Sie gehen entweder auf die Namen ihrer Gründer zurück, z. B. Erdmannsdorf, Jahnsbach, oder sie hängen mit der Lage des Ortes zusammen, z. B, Zschopau an der Zschopau. In den weitaus meisten Fällen aber sind es vertraute und liebgewonnene Namen der Heimat, die die Kolonisten aus ihrem mutterländischen Heimatboden mit in die Fremde nahmen und sie ihrer neuen Niederlassung beilegten. So — denke ich — liegt auch bei uns der Fall. Dann wäre unser Ortsname Sehma nicht wie wir bisher annahmen, ein Orientierungsname, sondern ein Traditionsname.
er Vollständigkeit halber möchte ich aber doch die einzelnen Versuche kurz registrieren, wie man im Laufe der Zeit der Bedeutung unseres Ortsnamens auf die
Spur kommen wollte: Erste Deutung: Sehma bedeutet: Flachsort. In der Tat hat der Flachs in unserer Heimat in früheren Zeiten eine große Rolle gespielt. Die alten Flachsbrechhäuser sind noch nicht ganz vergessen. Zweite Deutung: Sehma bedeutet: Binsenbach. Die dieser Bedeutung beipflichteten, meinten, der Ort hätte seinen Namen nach dem durchfließenden Bache erhalten. Der Erste, der dieser Deutung verfallen war, war der Annaberger Geschichtsschreiber Jenisius. Jenisius irrte aber mit seiner Namenserklärung; denn unser Bach hieß in früheren Zeit garnicht „Sehma". Er trug die verschiedensten Namen. Die Auffassungen des Geschichtsschreibers Jenisius wurde zu einer Zeit auch von dem Hauptstaatsarchiv in Dresden anerkannt. Die dieser Bedeutung das Wort redeten, brachten auch das Sehmaer Ortssiegel damit in Verbindung, das sie als zwei gekreuzte Sensenklingen ansahen. Die Sensenklingen sollten hinweisen auf das alljährlich notwendige Abmähen der Binsen, wodurch das Versumpfen des Flusses verhütet werden sollte. Sie sollten aber auch auf die reiche Heuernte in unserer Flußaue hindeuten. In unserem Bauerndorfe war in frühester Zeit die Gras- und Viehwirtschaft bedeutender als die Ackerwirtschaft, der Getreidebau. Die Sensenklingen unseres Gemeindewappens — oder besser: unseres Bildsiegels — wurden, in späterer Zeit aber oft auch als Pflugschar und Hohlpflugschar gedeutet. Dieses Bildsiegel, das im Jahre 1719 unter dem Erbrichter Christian Röscher (1714—1734) entstanden ist und dann lange Zeit in Vergessenheit geraten war, war aber nicht das erste Ortssiegel unserer Gemeinde. Schon 1520 begegnet uns ein solches, das zwei gekreuzte Hechelmesser zeigte, die den bedeutenden Flachsanbau in unserem Dorfe zur Darstellung bringen sollten. Das 1719er Dorfsiegel mit den beiden Sensenblättern ist erst im Jahre 1909 durch den damaligen verdienstvollen Gemeindevorstand Albert Laux (1903—1919) wieder ans Tageslicht gezogen worden.
Dritte Deutung: Sehma bedeutet Simondorf. Diese Deutung knüpft an die Sage vom Ritter Hermann auf dem Sommerstein bei Hermannsdorf und an seine drei Söhne: Simon, Konrad und Walther. So schön diese Sage auch ist, so ist doch der Hergang ganz unwahrscheinlich. Die Gründung von Hermannsdorf ist von einer ganz anderen Stelle aus erfolgt als die der anderen drei Orte. Vierte Deutung: Sehma bedeutet: fester Boden, im Gegensatz dazu: Schlettau: Moorgrund, salziges Wasser. Diese Deutung ist unsere letzte Weisheit gewesen.
chließlich sind nun alle diese Deutungen garnicht mehr so von Belang; da wir nun wissen, woher unser Ort seinen Namen hat, nämlich von dem Mutterorte im Altenburgischen, woher die Siedler zu uns kamen, gerufen von dem Bewohner der Schlettauer Wasserburg, dem Ritter von Schlettau, dessen Namen uns die Geschichte wohl niemals ganz enthüllen wird. Und wir hätten ihn doch so gern gewußt; denn er war doch unser erster Grundherr, eingesetzt von dem Burggrafen zu
Altenburg, dessen Namen uns gleicherweisen ein Geheimnis geblieben ist. Er war einer von den kleinen Vasallen, dem niederen Adel, den „milites agraric", d. h.
Ackersoldaten. Als er aber den Auftrag von seinem Herrn erhielt, bäuerliche Kolonisten herbeizurufen, hatte er sich schon die Gewohnheit des höheren Adels beigelegt und war auch in seinem Ansehen und seiner Würde zu dieser höheren Stufe emporgestiegen.
s war nun ganz natürlich, daß sich der Ritter mit seinem Rufe an das Gebiet wandte, woher ihm der Auftrag gekommen war, ins Altenburgische. Ob er sich selbst aufs Pferd setzte und dahin ritt, wir wissen es nicht. Es besteht auch die Möglichkeit, daß er seinen Werber dahin sandte, der hernach die Rolle des Lokators übernehmen sollte. Jedenfalls kam die Einladung an die jungen Bauernsöhne, die in ihrer Heimat, wo schon eine Übervölkerung eingetreten war, den Ruf nach einem neuen Betätigungsfelde im Gebirge gern vernahmen. Es waren junge tatenhungrige Menschen, die die Kunde traf. In dem von den Sorben gegründeten Gebiete um Zehma im Altenburgischen waren seit der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts viele Deutsche seßhaft geworden, die wahrscheinlich aus Rheinfranken zugewandert waren, so daß auch in Zehma die Hauptmasse der Bevölkerung schon Deutsche waren.
Es waren 27 junge Bauernsöhne aus Zehma und Umgebung, die sich zur Auswanderung bereit erklärten und die nun mit Weib und Kind die Reise ins „Niemandsland"
antreten wollten. Der Abschied von der geliebten Heimat fiel ihnen zunächst nicht schwer. Ihre Herzen erfüllte ja eine große Freude und eine schöne Hoffnung: freie Bauern auf eigenem Grund und Boden wollten sie doch werden. Die Zeit dazu war nicht ungünstig, unter den Hohenstaufen weit besser als etwa 100 Jahre zuvor. Ehe sie sich, aufmachten, erkoren sie den Tüchtigsten und Mutigsten zu ihrem Reiseführer. In der neuen Heimat, die sie im Geiste schon sahen, sollte er als ihr „Richter" seines Amtes walten. Einen zweiten Führer und Berater hatte ihnen, der Grundherr, der Ritter von Schlettau, für den Zeitpunkt ihrer Ankunft im Gebirge schon zugesagt. Es sollte der „Lokator" sein, der Unternehmer, der Siedelmeister.
r war schon als Werber bei ihnen im Altenburgischen gewesen und hatte schon mit ihnen die Bedingungen festgelegt, unter denen die Besiedlung vor sich gehen sollte.
Nicht lange darnach sehen wir den Kolonistentrupp gebirgswärts auf dem Marsche. Sie sind schon ein tüchtiges Stück vorwärts gekommen. Über Zwickau holpriges Straßenpflaster rumpelten sie, die 27 derben Planwagen, hochbepackt und schwerbeladen, auf denen die Auswanderer ihre ganze Habe mit sich führten: Truhe und Schrank, Topf und Krug, Ackergerät und Handwerkszeug, Vorräte an Nahrung, als kostbarsten Besitz aber das heimische Saatgut, das sie dem Boden der neuen Heimat anzuvertrauen gedachten. Gezogen wurden die schweren Wagen von breitstirnigen Rindern, die von den jungen, kräftigen Frauen des Trupps gelenkt und mit lautem Zuruf ermuntert wurden. Nebenher ritten die stattlichen Männer auf schweren Gäulen, ein mancher von den Männern semmelblond, wie eben echte Altenburger sind. Ihre Augen ruhten mit Wohlgefallen auf dem wertvollen Milchvieh, das zwischen den Wagen getrieben wurde. Als wachsame Hut schritten vor und hinter dem Zuge Reisige mit Schwert und Hellebarde.
un hatten unsere Altenburger schon „Burgstadel" bei Eiterlein erreicht, wo
einst auch eine Geleitsburg gestanden haben soll. Als sie das hinter sich hatten
und von der Finkenburg her der kleinen Wasserburg ansichtig wurden, da belebten
sich die Züge der Ermüdeten. Aller Augen leuchteten erwartungsfroh. Nun lag ja
die letzte Tagesstrecke der langen Wanderung vor ihnen. Die Männer stimmten das
Wanderlied an, das sie an jedem Morgen auf der Landstraße hatten erschallen
lassen, wo es am Schlusse tröstend heißt: „Da ist ein bessres Stehn!" Mit diesem
Sange erreichte der Zug die Wasserburg selbst. Hier lenkte ihn der Lokator auf den
Weg, der von der heutigen „Kleinen Sehma" aus nach Südosten zu bergaufwärts
führt.
So kamen sie bergauf auf die Höhe beim heutigen „Neu-Amerika". Nach einem
Berge zeigte der Führer, der sich in seiner Sargform vor sie hinstellte, dem Bärenstein.
ann sollte es hinunter gehen in die Tiefe, ins unwirtliche Land. Manchem mag es
da bei dem Gedanken an den Sargberg etwas schwer ums Herz geworden sein.
Aber bald hob sich die Stimmung wieder. Der Lokator sprach zu ihnen von einem
Bache, der für sie zur Lebensader werden sollte. Nun fürchteten sie die Wildnis nicht
mehr, auch nicht die Mühsal, die ihnen bevorstand. „Dort ist ja ein besseres Stehn!",
so klang es durch ihre Seele.
Der Zschapelwald, der heutige Buchholzer Wald, nahm nun den Auswandertrupp
auf, und nicht lange dauerte es, da ratterten die schweren Wagen die steile Höhe
herunter, die wir alle kennen, vorbei an der heutigen May-Gärtnerei und dem
Mauersberger Gute (Ortsl.-Nr. 65). Vom gegenwärtigen Buchholzer Weg aus gelangten
sie in die heutige Kurze Straße. Wo heute das Haus der Frau Frieda Müller
steht (Ortsl.-Nr. 58), da durchschritten sie in einer Furt die Sehma, die sich an dieser
Stelle nicht so wild gebärdete. Dann war es auf der anderen Seite des Baches nur
noch eine kurze Strecke, die sie zurücklegen mußten. Jetzt nun, ja jetzt war der Augenblick
gekommen, wo von den Lippen des Lokators das ersehnte Wort kam: „Wir
sind am Ziel! Hier werden wir unsere Hütten bauen!" Erleichtert atmeten sie alle auf.
Wissen wir denn, wo die Stelle ist, wo unser Kolonistenzug auf einem schnell bereitgestellten
Platze seine Wagenburg zusammenfuhr zum Schutze gegen Raubtiere
und als Heimstätte für eine kleine Zeit? Unsere Sehmaer werden denken, es ist der
heutige Erbgerichtsplatz. Das ist aber gewiß nicht der Fall.
as wir heute noch Erbgericht nennen, wenn es auch schon längst diese Rolle
nicht mehr spielt, das war auch in unserer ältesten Sehmaer Zeit nicht Erbgericht.
In diesen Anfangszeiten unserer heimatlichen Geschichte hatten wir gar keinen
„Erb"-Richter, sondern nur einen sogenannten „Setz"-Richter, der in jedem beliebigen
Gute wohnen konnte und immer nur auf Zeit mit diesem Amte betraut wurde.
Wir hatten in diesen ältesten Zeiten unserer Geschichte auch kein „Erb"-Gericht,
sondern ein „walzendes" Gericht. Unser ältestes Gericht soll das heutige Thiele-Gut
im Unterdorfe (Ortsl.-Nr. 80) gewesen sein. Das steht aber nirgends aufgeschrieben,
ist aber durch die Überlieferung von Mund zu Mund von Jahrhundert zu Jahrhundert
getragen worden und so auf unsere Tage gekommen.
Diese Lesart gibt Glauben, und dies umsomehr, als die Alten auch davon erzählt
haben, daß dieses Thiele-Gut einst einen Saal gehabt haben soll und zweistöckig
gewesen sein soll. Nach einer Brandkatastrophe, die dieses Gut heimgesucht hat,
ist es dann so schlicht wieder aufgebaut worden, wie es sich uns heute präsentiert.
Überdies hat dieses Gut als Sitz des ersten Setzrichters noch das für sich, daß es
eben an der alten geschichtlichen Straße liegt, die für die Entstehung unserer Heimat
bedeutungsvoll geworden ist.
nd diese alte Zwickauer Salzstraße geht unterhalb des Gutes vorüber, das auf einer
Anhöhe liegt. Dort treffen wir auf einen alten bedeutsamen Flurnamen, der uns
heute noch geläufig ist: die „Huhle", wie unsere Leute sagen, die „Hohle", wie der
Flurname auf der Karte steht. Hier in der „Hohle", unmittelbar hinter der Martin
Jungkschen, heute Schmidtschen Gärtnerei (Ortsl.-Nr. 78) suchen wir die Stelle, wo
einst unsere aus dem Altenburgischen kommenden jungen Bauern am Ziele ihrer
weiten Reise waren.
Hier, unter den breiten Kronen der mächtigen Urwaldriesen, entwickelte sich bald
ein munteres Leben. Alle Hände hatten gleich voll zu tun. Der Frauen Sache war es,
Nahrung für Mensch und Tiere bereit zu stellen, während die Männer sich am Bache
zu schaffen machten, wo sie das dichte Gestrüpp und die hochgewachsenen
Binsen längs des einen Ufers beseitigten. Wie notwendig war ja eine Zugangsstelle
zu dem unbedingt notwendigen Wasser! Als das getan war, senkte sich der Abend
hernieder, der erste Abend in der neuen Heimat.
lles sehnte sich nach Ruhe. In und zwischen Wagen ruhten die Wandermüden,
derweil einige wackere Männer Wache hielten. Kaum hatte die Morgensonne ihre
ersten Strahlen in das feuchte Waldtal geschickt, da erwachten alle zu wichtigem
Werke. Axtschläge erschollen, Sägen kreischten. Krachend stürzten die ersten Urwaldriesen
zu Boden. Rodehacke und Spaten halfen Raum schaffen für ein besseres
und geräumigeres Lager.
Nun erst konnte die eigentliche und planmäßige Siedlungsarbeit beginnen.
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