Ritterliches Vorwerk - Hofegut - Pragergut  ?

entnommen den Niederschriften von Friedrich Mahn


Aus Freigütern sind hie und da Rittergüter hervorgegangen.  Nicht ohne Grund befanden sich Freigüter meist in solchen Gegenden,  wo die Herrschaft ihr Schloß,  ihre Burg und ihre Jagdwälder und vielfach auch wertvolle Berg- und Hüttenwerke hatte.

Dies alles gab Anlaß zu häufigen Herrschaftsbesuchen.  Solche mag auch das „Hofegut” in alten Zeiten viel gesehen haben,  wenn es nicht gar selbst ständiger oder wenigstens vorübergehender Edelsitz gewesen ist.  Irgend eine besondere Beziehung zum ritterlichen Hofe in Schlettau lag für unser „Hofegut” auf jeden Fall vor.  Zumindest war es ein ritterliches Vorwerk.  Da diese bäuerlichen Anwesen den übrigen Bauerngütern und dem Sitze des Grundherren vorgelagert waren,  hießen sie ursprünglich Vorwerke.  Auch die den grundherrlichen Burgen zu Füßen liegenden herrschaftlichen Wirtschaftshöfe trugen diesen Namen.
Später kam dafür der Name „Rittergut” auf.

Man sieht also hier wieder,  daß das „Hofegut” einstmals die Aussicht,  die Anwartschaft gehabt hat,  ein Rittergut zu werden.  Die ganze Herrschaft ging schon frühzeitig aus ritterlichen Händen in die des Grünhainer Klosters über.  Ein großer Teil dieser Vorwerke ist um 1500 nicht mehr in der Hand der Grundherren gewesen.

Vorwerke waren auch Bauernhöfe,  die zumeist wehrhaft gemacht worden waren,  Gebäude mit dicken Steinmauern ringsherum.  Da die Vorwerks- und Rittergutsbesitzer als Angehörige des Lehnheeres auf den Ruf des Landesherren Kriegsdienste zu leisten hatten,  umgaben sie ihren Hof mit festen Mauern,  damit ihre Angehörigen zu Kriegszeiten durch beauftragte Knechte ausreichend geschützt werden konnten und gesichert waren.

Das unser ehemaliges Pragergut - Hofegut - einst durch eine Wehranlage gesichert gewesen sein könnte,  das geht uns leicht in den Kopf.  Trutzig steht es noch heute da oben auf luftiger Höhe über dem Dorfe.  Man braucht nur einmal das Bild auf sich wirken zu lassen,  das sich einem bietet,  wenn man auf der gegenüberliegenden Seite die Schlettauer Straße hereinkommt.  Da erscheint einem das Gut wie eine Fliehburg.  Als solche mag es auch im Falle äußerster Bedrängnis die letzte Zufluchtsstätte für Mensch und Tier,  für Bauern des Ortes,  für ihr Vieh und ihr Hab und Gut gewesen sein.  In der Tat redet man auch allen Ernsten davon,  daß das Hofegut im Hussitenkriege diese Rolle gespielt habe.

Von hier oben aus konnte ja auch die Straße gut übersehen werden,  sowohl nach vorwärts als auch rückwärts,  nach Westen wie nach Osten.  Das Gut liegt gerade gegenüber von der Viehtrifft,  die zwischen den Gütern der Ortslisten N° 52 und N° 53 verläuft und die in alter Zeit den Zugang von Schlettau her nach unserem Orte Sehma darstellte,  wenn nicht der andere Zweig der Straße benutzt wurde,  der beim Gute Ortslisten N° 65 hereinkam und in die heutige kurze Straße einmündete.  Es besteht sogar die Möglichkeit,  daß von hier oben aus in ruhigen Zeiten „Funksprüche”,  so würde man heute sagen,  nach dem Schlosse in Schlettau gegeben wurden.

Solches geschah in der Nacht durch Feuerbrände.  Hoch auf trieb dann der Wind die sprühenden Funken,  und der Schein versetzte die Bauern in Angst und Schrecken.  Wie kommt man auf die letzte Vermutung?  Man habe an irgend einer Stelle,  man vermag es nicht mehr zu sagen,  das Hofegut als „Brandvorwerk” verzeichnet gefunden.  Vielleicht hieß dann der Berg,  auf dem unser Gute steht,  in alter Zeit gar einmal der „Brandberg”?  Wäre es an dem,  dann hätte die Vermutung den bestimmten Anspruch auf Richtigkeit.

Aber nicht nur im Kriege mag die Wehranlage des „Hofegutes” ihre Bedeutung gehabt haben.  Auch in normalen Zeiten wollten sich der Mensch und sein Vieh schützen,  nämlich gegen räuberische Überfälle.  Es hat den Anschein,  als ob gerade unser Westerzgebirge in frühgeschichtlicher Zeit eine Zufluchtsstätte für allerhand Raubgesindel gewesen sei.  Der „Böhmische Wald”,  so hieß bekanntlich unser Erzgebirge im ganzen Mittelalter,  als der Name „Miriquidi” verklungen war,  stand noch im 14.Jahrhundert in schlechten Rufe.

Das war bezeugt durch eine Urkunde aus dem Jahre 1320.  Da konnte die Kirche von Tierfeld bei Hartenstein den ihr auferlegten Bischofzins in Höhe von 8 Mark nicht aufbringen.  Es wurden nur 2 Mark an das Bistum Naumburg abgeliefert.  Die geringe Leistung wurde durch folgende Bemerkung begründet:  „Mehr kann nicht gegeben werden,  weil die Güter in wüstem Zustande sind,  da die Kirche am Böhmischen Walde gelegen ist,  wo schlechte und verworfene Menschen leben,  Diebe und Straßenräuber,  die alle umliegenden Orte ausplünderten”.

Konnte man unter solchen Verhältnissen es den Bauern verargen,  wenn sie sich gegen solche räuberischen Überfälle zu sichern suchten?  Denn auf sie hatte es das Räubergesindel doch in erster Linie abgesehen.  Den Grundherren,  die auf festen Ritterburgen saßen,  konnte es wenig oder nichts anhaben.  Es hat zwar viele Geschichtsforscher gegeben,  die die Ansicht vertraten, daß das mittelalterliche Recht den Bauern auf den Dörfern irgend eine Sicherung ihres Hofes nicht gestattet habe.

Unser Gut, auf der Höhe nach Cunersdorf zu,  muß schon zu Luthers Zeit seiner einstigen Bedeutung entkleidet gewesen sein;  denn unser ältestes Amtserbbuch vom Jahre 1546 weiß von alledem nichts,  und auch im heutigen Flurbilde unserer Heimat hat weder ein Vorwerk noch ein Freihof irgendwelche Spuren hinterlassen,  die auf den einstigen Wehrcharakter noch hindeuten könnten.  Es sind ja auch viereinhalb Jahrhunderte darüber hingegangen,  seitdem etwa Wall und Graben,  Brücke,  Tor und manches andere den einstigen Zwecken nicht mehr zu dienen brauchten.  Und in dieser langen Zeit mag gar vieles verschwunden sein,  was ehedem war.  Man glaube sogar,  daß das Verschwinden all dessen,  was den Wehrcharakter unseres „Hofegutes” ausmachte,  noch viel weiter zurückverlegen zu müssen.  Schon im 14. Jahrhundert wurden die Lehnsheere durch Söldnerheere ersetzt.  Damit verlor der Ritterstand seine ursprüngliche Bedeutung.

Und doch gibt es beim Hofegut noch einiges,  was man mit der Vergangenheit desselben in Verbindung bringen könnte.  Im Garten,  südwestlich vom Hause,  sieht man noch ganz deutliche Spuren eines Dammes,  die entwerder auf einem ehemaligen Graben oder auf einem einstigen großen Teiche hinweisen könnten.

Der damalige Besitzer des Gutes,  Herr Richard Prager,  dachte an einen Teich.  Ob und inwieweit dieser mit der ursprünglichen Wehr in Verbindung gestanden hat,  oder als reiner Fischteich bzw. Pferde- Schwemmteich angelegt worden ist,  das vermag natürlich heute niemand mehr zu sagen.  Außer diesen deutlich sichtbaren Spuren eines Dammes sind es aber auch noch Mauerreste,  die man aufgedeckt hat und die mit größter Wahrscheinlichkeit von alten Teilen des Hofegutes herrühren.

An der Tatsache,  daß das Hofegut in alter Zeit eine besondere Bedeutung gehabt haben muß und daß es eine alte Wehranlage gewesen sein dürfte,  kann wohl heute niemand mehr vorübergehen.  Die Geschichte dieses Gutes steht an Alter der ritterlichen Burgen wenig oder überhaupt nicht nach.

Freilich entbehren solche bäuerliche Wehranlagen gänzlich des glänzenden Schimmers und des romantischen Zaubers,  der die herrschaftlichen Festen auf steilem Fels oder düsteren Wasserburgen von jeher umweht hat.  Diese Art von Wehranlagen verkriechen sich in stille Bauerndörfer,  zum Teil sogar in abgelegene Winkel der Landschaft.  Die Heimatforschung hat ihnen deshalb bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.  Man sah sie einfach nicht,  wenigstens erkannte man ihren Sinn nicht!

Freihöfe und Vorwerke sind verschwunden und vergessen!

Wenn es außer dem Erbrichter- und dem Hofegute auch noch andere Güter gab,  die hinsichtlich ihrer Größe aus dem Rahmen der übrigen Güter herausfallen,  so handelt es sich wahrscheinlich um Güter,  bei denen die Erstansiedler entweder den Wunsch nach einem größerem Besitztum geäußert haben,  oder bei denen die Kolonisten besonders angesehene und zahlungskräftige Leute waren,  die in jener Zeit der großzügigen Landrohdungen mehr Grund und Boden bekamen als die anderen.

Das Hofegut war ein wichtiger Anlaufpunkt des Klosters Grünnhain und später des Amtes Grünhain.  Hier wurden die Abgaben der Bauern,  der sogenannte „Zehnte” (Abgabe in Mineralien) für das Kloster bzw. das Amt Grünhain,  zur Abholung der Amtsleute aus Grünhain bereitgestellt.

Friedrich Mahn
Direktor der
Friedrich-Richard-Schule
von 1912 bis 1938


bearbeitet von pks
Okt. 2010


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