20 Jahre späterein Jubiläumsbesuch in ihrer alten Schule Margot Langbein verw. Dieckmann - Erinnerungen an eine engagierte Lehrerin
Von der demokratischen Schulreform bis zur Politisierung der Bildung |
Ein ehrender Nachruf auf unsere verehrte Schulleiterin |
Sie zog als junge Witwe ins Erzgebirge. Ihr Mann fiel als Soldat im zweiten Weltkrieg, während
An der Schule arbeiteten hervorragende Lehrer, die wie sie durch den Krieg geformt waren und die voller Verantwortungsbewußtsein die ihnen anvertrauten
Schüler lehrten und erzogen. Sie bewältigten die mißlichen Umstände - Hunger und fehlende Lehrbücher. Mit Margot Dieckmann wurde wieder ein musisches
Klima an der Schule geschaffen, wie es in Sehma durch Kantor Oskar Ruckdeschel üblich war. So wurden die Schulentlassungsfeiern zu kulturellen Höhepunkten.
Margot Dieckmann spielte Geige, im Unterricht, zu Schulfeiern und im Kirchenorchester. Das war später ein Grund, warum man sie nicht wieder in den
Schuldienst aufnahm.
Gegenüber der Schule lag die Praxis des hervorragenden Arztes Dr. Kurt Langbein (Sauerbruch Schüler). Durch fehlende Medikamente konnte er seine eigene Frau
nicht retten und verlor damit die Mutter seiner sieben Kinder. Nur ein Sohn war älter als zehn Jahre. Es kam zur Begegnung der beiden Menschen, und Margot
Dieckmann wurde Margot Langbein und übernahm die Verantwortung für nunmehr neun kleine Kinder. Sie besaß das nötige Gefühl und, durch den Beruf gefördert,
das Organisationstalent für den Umgang mit vielen Kindern. Die kleinen Halbwaisen fanden in ihr wieder eine Mutter.
Damit schied sie aus Zeitgründen aus dem Schuldienst aus. Es blieb ihr dadurch erspart, als gläubige Christin der sich verschärfenden politischen Lage zum
Opfer zu fallen. Das geschah ihr erst später, als ihr Mann nach nur sechs Ehejahren verstarb, war sie gezwungen, für die noch zehnköpfige Familie den Unterhalt
zu verdienen. Der Satz für Halbwaisenrente betrug zu dieser Zeit 35 Mark, was auch bei sparsamster Haushaltsführung nicht zum Leben reichte. Margot Langbein
wurde nicht wieder in den Schuldienst eingestellt. In der Leitung der Volksbildung hatten sich die Verhältnisse verschärft. Der blutig niedergeschlagene
Aufstand von 1953 war das Aus für alle diejenigen, denen man beim Aufbau des Sozialismus mißtraute. Dazu gehörte Margot Langbein. Als man schließlich ihre
Kinder am Besuch der Oberschule hinderte, da sie Arztkinder und keine Arbeiter- und Bauernkinder waren und nicht an der Jugendweihe teilgenommen hatten,
verlegte sie ihren Wohnsitz 1956 wieder nach Essen.
Eigentlich würde hier mein Wissen um das Schicksal meiner geliebten und verehrten Lehrerin enden, da ein Kontakt über innerdeutsche Grenzen schwierig war.
Aber wir luden Margot Langbein zum 20jährigen Schuljubiläum unseres Jahrgangs als unsere ehemalige Lehrerin nach Sehma ein, und sie kam. Zusammen mit unserem hochverehrten Klassenleiter Hans Richter bereicherte sie unser Treffen. Sie stand wieder in der Sehmaer Aula vor nunmehr gestandenen Männern und Frauen und
schlug den Bogen in unsere schwere Kinderzeit. Wieder nahm sie die Geige und spielte, begleitet von Alfred Brand, am Klavier eine Beethoven-Sonate.
Es gab viel Ärger danach, weil wir das Auftreten von Margot Langbein vorher nicht beantragt hatten und sie somit illegal in der Sehmaer Schule als sogenannte Klassenfeindin auftrat. Dieser Irrsinn wurde nochmals praktiziert, als man sie 1987 nicht zum 100. Jubiläum der Sehmaer Schule einlud.
Ihr Leben war auch ohne diese Ehrung ausgefüllt. Alle ihr anvertrauten Kinder ließ sie studieren. Sie trat in Essen wieder in den Schuldienst ein und wurde
festes Mitglied des Lehrerorchesters, mit dem sie wenige Wochen vor ihrem Tode noch zwei Wochen zu einem Gastspiel in China weilte.
Ich habe sie noch einmal gesehen, als sie zur Konfirmation eines Enkelkindes in Cranzahl weilte. Im Verlaufe dieses Aufenthaltes besuchte sie mich in meiner
Wohnung. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, als meine noch immer verehrte und gebliebte Lehrerin mehrere Stunden mit mir über ihr Leben plauderte.
Ich sah sie wieder, wie sie vor meiner Klasse den Geigenbogen hob und mit warmer, voller Stimme das Lenausche Lied von den drei Zigeunern sang.
Eines hat sie in ihrem Berufsleben unglücklich gemacht. Es war die Zeit, als sie an einer Gesamtschule arbeiten mußte. Diese Form der Bildung und Erziehung
junger Menschen lehnte sie strikt ab. Der Kontakt zwischen Lehrer und Schüler sei in dieser Bildungsfabrik zerstört. Die Persönlichkeit des Lehrers verliere
damit ihre erzieherische Funktion. Bildung wird anonym, Vorbildwirkung entfällt, weil der Schüler den Lehrer nicht mehr kennt.
Mit 74 Jahren schloß Margot Langbein ihre immer wachen Augen. Alle neun Kinder kamen zur Trauerfeier. Ihr Orchester spielte ihr zur letzten Ehre. Auf ihrem
leeren Stuhl lagen Blumen. Mit ihr schied ein Mensch aus dem Leben, wie er heute gebraucht würde: selbstlos, hochbegabt, immer einsatzbereit. |
Ich danke der Verfasserin, für das Bereitstellen dieses Beitrages |