Der Versuch eine Schulleiterin aus dem Schuldiest zu entfernenein zeitgeschichtliches Originalprotokoll” Elternversammlung vom 18.11.1946 in Oelmann‘s Gasthof” |
Protokoll über eine Elternversammlung am Montag, dem 18.11.1946 abends 8 Uhr in Oelmann‘s Gasthof (Saal). |
Einberufen von der Schulleiterin der Volkschule zu Sehma, Frau Margot Dieckmann. Tagesordnung: 1.) Rechenschfatsbericht der Schulleiterin, Frau Dieckmann 2.) Evtl. Stellungnahme des Herrn Bürgermeisters Sehma 3.) Allgemeine Aussprache 4.) Abstimmung über dem Verbleib oder Nichtverbleib der Schulleiterin im Amte Schon vor 20°° Uhr war der Saal besetzt bis auf den letzten Platz, zum Teil mußten die Besucher sogar stehen. Die Lehrerschaft war vollzählig versammelt, mit Ausnahme von Fräulein Geißler, die erkrankt und Herrn Schreiter, der auf Lehrgang ist. Der Schulausschuß war erschienen, desgleichen Herr Bürgermeister. Der Schulrat Oehme aus Annaberg wurde erwartet, leider vergeblich. 20.15 Uhr
Frau Dieckmann eröffnet die Versammlung, begrüßte Herrn Bürgermeister Kupfer und die Elternschaft, sowie den Schulausschuß. Alsdann sie mit ihren Ausführungen. (Bemerkenswert bei den Ausführungen von Frau Dieckmann zollte die Versammlung von Anfang an bis Ende ungeteilte Aufmerksamkeit und würdigende Stille).
„Ich habe diese Elternversammlung heute einberufen, um einen Rechenschaftsbericht abzulegen. Die Veranlassung dazu ist folgende: Herr Bürgermeister Kupfer hat aus nachfolgenden Gründen um meine Abberufung als Schulleiterin bei meiner vorgesetzten Behörde nachgesucht. Ich beanspruche für mich das demokratische Recht der Verteidigung!” Sie erwähnte, daß sie in Hamburg die Hochschule absolvierte, daß sie danach in Essen in den Schuldienst kam, 1943 erlitt ihre elterliche Wohnung in Essen einen Bombenschaden und sie verzog mit ihren Eltern im Herbst nach Buchholz, dem Heimatort ihrer Eltern, wo kurze Zeit darauf ihr Vater verstarb. Mit ihren beiden kleinen Kindern und ihrer verwitweten Mutter blieb sie in Buchholz und versuchte 1944 in den Schuldienst zu kommen. Es gelang ihr jedoch nicht, wegen Nichtzugehörigkeit zur NSDAP. Trotzdem versuchte sie es 1945 erneut und diesmal war es von Erfolg, sie wurde eingesetzt zum Schuldienst in Sehma. Zu einem richtigen Einsatz kam es jedoch erst in der Zeit ab 1. Oktober 1945, nachdem der Schulunterricht wieder freigegeben war. Sie gelangte schnell zu einem guten Einvernehmen mit den Kindern. Als dann die Entlassung der Altlehrer erfolgte, wurde sie für die Schulleitung in Vorschlag gebracht, was dann unter dem 15.November 1945 vom Schulrat bestätigt wurde. Es war nicht ihr persönliches Bestreben, diesen Posten zu besetzen, denn zu dieser Zeit waren die schulischen Verhältnisse geradezu katastrophal. Unter ungeheuren Schwierigkeiten gelang es ihr dann, einen geordneten Schuldienst in Gang zu bringen. Es begann die Arbeit mit Neulehrern. Diese waren bestrebt, allen an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Was es aber bedeutet, ohne Lehrbücher, fast ohne Schreibhefte, ja kaum ein Bleistift war zu beschaffen, dazu die Kinder in einem aufgeregten, man möchte fast sagen aufsässigen Stadium der damaligen Zeiterscheinung, was es bedeutet, da zu arbeiten, vermag ein Außenstehender kaum zu erfassen. Mit Freudigkeit zu jeder Arbeit haben wir alle Hindernisse überwunden. Ende November verzog ich dann nach Sehma, nachdem mir die Gemeinde Sehma eine - wenn auch kleine - so doch eigene Wohnung zuwies. Die Gemeinde unterstützte mich sodann noch mit einigen Möbelstücken und Haushaltsgegenständen. Wenn diese auch nicht neu waren, so war ich doch glücklich darüber und dankbar und freute mich.
Ich setzte meine ganze Kraft für die Erfüllung der Forderungen ein, die man an eine neue demokratische Schule stellt. Wir waren die erste Schule im Kreis Annaberg, die ab 1.Dezember 1945 mit dem Unterricht in der Russischen Sprache begann. Damals hatten wir eine Russischlehrerin, die wir heute nicht mehr haben und doch erfährt der Russischunterricht keine Einbuße, denn heute steht die Lehrerschaft eifrig dabei, Russisch zu lernen und zu lehren.
Unsere Schule bot der Sehmaer Einwohnerschaft Kulturveranstaltungen und ich erwähne besonders den Beethoven-Abend im Januar 1946. Die Schulleitung stand jederzeit in gutem Einvernehmen mit der Elternschaft. Ganz besonders hervorzuheben ist jedoch die gute Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung. Das zeigte sich sowohl bei der Schülerschaft, als auch bei der Lehrerschaft. Immer hat die Schule sich beteiligt, wenn von der Gemeindeverwaltung das Ansuchen kam. (Kartoffelkäferaktionen, Unterstützung der Polizei, usw.). Alles, was die Schule anging, geschah in engster Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung, Insbesondere mit dem Herrn Bürgemeister. Ob es nun die Entlassung des 9.Jahrganges war oder die Einreihung der 56 Schulneulinge, ob es die Maifeier oder das Kinderfest zum 25.8. waren, immer gingen Schule und Gemeinde Hand in Hand. Lähmten schwere Vergehen der Kinder diese Arbeit, so herrschte auch in diesen Dingen stets gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Gemeinde.
Ich gebe nun Herrn Bürgermeister das Wort.
Ich bedanke mich für die Einladung zum Elternabend. Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich zu Ihnen rede und zwar werden Sie sich noch gut erinnern, daß ich in meinem Urteil ziemlich konsquent bin. In jeder Frage, was das Religiöse anbelangt, habe ich nicht mit Widerständen gearbeitet. Ich habe in dieser Hinsicht immer alles befürwortet. Schon von jeher war meinStandpunkt: jeder soll nach seinem Glauben selig werden und mein Standpunkt ist auch heute noch derselbe.
Ich komme nun auf die Ausführungen der Frau Schulleiterin zurück und was sie über ihre Arbeit ausführt, so sage ich, die wird anerkannt. Meine Arbeit wird ja sicherlich auch anerkannt. Was aber die Wahl anbelangt, so muß ich sagen, daß eben ein Mißtrauen vorhanden war. Ich als politischer Ausrichter und angehender Verwaltungsmensch vertrete die Interessen in der Gemeinde so, daß Maßnahmen in dieser Hinsicht von mir getroffen werden müssen,denn ich kann nicht alle Klagen abbiegen. Und doch versuche ich immer, alles zu bereinigen. Fehler haben wir alle. Aber mit der Erkenntnis allein ist es nicht getan. Ich komme wieder auf die Wahl zu sprechen und sage Ihnen, ich klammere mich an nichts. Ich kann arbeiten und stelle mich jederzeit wieder an die Drehbank. Arbeiten bin ich gewöhnt. Aber jetzt sitze ich an der Stelle, um politisch die Sache auszurichten. Ich will nicht verkennen, irgendwelche die sich als Parteilose bezeichnen, daß diese Leute die Form einer Demokratie wie wir sie wollen, aufbauen. In der ganzen Zeit haben Schule und Gemeinde gut und das war in Ordnung, weil wir uns gegenseitig ausgeglichen haben.
Im gleichen Augenblick aber kommt Mißtrauen vor, wo persönliche und politische Richtlinien vorhanden waren. Das Wahlgeheimnis ist gewahrt gewesen. Das hat auch das Gemeindeparlament festgestellt. Die Wahlzettel sind verbrannt worden. Ich konnte nicht nachsehen. Aber ich habe auch meine Nachrichtenmänner.
Ich kenne die Leute einzeln, die diese Sache zusammengeschmiedet haben. Da war ein Einvernehmen der CDU mit der Schulleiterin und das habe ich als Intrigenspiel angesehen. Wäre es so gewesen, daß man so gehandelt hätte: Wir von der CDU wählen einen Kandidaten von uns, dann wäre ich sofort abgetreten. Ich will mich nicht halten. Für mich ist aber von Entscheidung, parteilose genauer unter die Lupe zu nehmen. Vieleicht steckt etwas anderes dahinter. Das entscheidende war, daß sie das Mißtrauen für mich - für die SED - dargelegt hat. Auf der einen Seite erklärt sie selbst, daß wir bis zur Wahl gut zusammen gearbeitet haben. Ich bin verantwortlich, solange ich tätig bin, die Form einer Demokratie für die Zukunft zu wahren. Wenn das nicht in dieser Form gewahrt wird, so habe ich es auszurichten, wenn Unebenheiten bestehen.
Ich komme auf die Neulehrer selbst. Ich habe mal diesen und jenen bei mir gehabt. Aktiv haben sie außerberuflich noch nicht viel gearbeitet. Aber sehen sie uns an, wir müssen es auch tun. Es erweist sich, daß alle die Last mittragen. Wer nur seine Berufsarbeit macht und glaubt, seine Existenz damit zu halten, weiß eben nicht, was für die Zukunft der Erhaltung der Existenz gilt. Auch müssen alle versuchen, zusätzlich aktive Arbeit zu leisten, damit wir weiter in der Lage sind, die Demokratie auf fortschrittliche Wege weiterzuleiten. Dann möchte ich von den Neulehrern feststellen, die nur ihre Schularbeit getätigt haben, daß sie anderseits nicht mal Zeit haben, eine Versammlung zu besuchen, nur um auf demokratischen Wege ihr Wissen zu erweitern. Es ist nicht schlecht gemeint, wenn ich gesagt habe: Arbeiten Sie etwas mit! Ich kann es verstehen, daß sie sich in ihrer pädagogischen Arbeit weiterbilden müssen und nicht viel Zeit haben. Wenn wir alle wirklich politisch geschult gewesen wären, wäre es niemals zu einem Krieg gekommen.Es ist notwendig, daß sich jeder politisch orientiert.
„Ich möchte an den Beginn meiner Ausführungen Auszüge aus der Rede des Genossen Anton Ackermann (KPD) vom 4. November 1945 anläßlich einer Kundgebung zur demokratischen Schulreform in Berlin stellen:”
„Eine wirkliche Demokratie schließt als selbverstänliches Recht das Recht des Glaubens- und Gewissensfreiheit ein, und ich muß als Mitglied des Zentralkommitees der Komunistischen Partei Deutschlands hier in aller Öffentlichkeit erklären, daß wir diese Freiheit ebenso uneingeschränkt für die Anhänger einer Glaubens- und Religionsgemeinschaft anerkennen, wie wir die volle Freiheit des Gewissens und der Überzeugung für uns selbst fordern.” - „Die Leitung des öffentlichen Bildungswesens kann also im demokratischen Deutschland nur Staatsangelegenheit und nicht Sache einer Partei oder Kirche sein.” - „Der Streit der Weltanschauungen und Konfessionen darf nicht innerhalb der Schule ausgetragen werden.” - „Wir sind sicher, daß unsere demokratische Forderung, die Schule nicht nach Weltanschauungen und Konfessionen aufzuspalten und den Streit der Weltanschauungen und Kofessionen nicht in die Schule hineinzutragen, von den breitesten Bevölkerungsschichten verstanden und unterstützt wird.” - „Das Ziel der neuen Erziehung sei wahrer Humanismus und Hebung des Bildungsstandes!” -
So sollen die demokratischen Zustände in unserer Schule sein. Als am 1. oder 15. November 1945 die alten Kollegen entlassen wurden, waren außer Frau Dieckmann nur noch Frau Lehmann, Fräulein Geißler und Fräulein Nastainzcyk als Altlehrer in der Schule.Seitdem führen die Neulehrer die Schule weiter, unter der Anleitung Frau Dieckmanns. Wie schon Frau Dieckmann ausführte, waren die Voraussetzungen für den Schulbetrieb die denkbar schlechtesten. Denoch haben wir es uns zur Pflicht gemacht, alle Kraft für die Schule einzusetzen. Deshalb hat man uns in die Schule gestellt,daß wir dieser Schwierigkeiten Herr werden. Unsere Arbeit galt dem demokratischen Aufbau der neuen Schule. Die SED hat seit dieser Zeit die Verhältnisse verbessert. Es erscheinen wieder Lehrbücher usw., die einen Schritt vorwärts bedeuten. Unsere ganze Arbeit ist auf der Grundlage aufgebaut, eine wirkliche Demokratie erstehen zu lassen. Dazu gehört aber, daß die Bevölkerung hinter uns steht.
Wir Neulehrer haben ja nicht nur unsere Arbeit in der Schule. Wir müssen auch an unsere Bildung noch viel Arbeit leisten, weil wir ja auch für später noch davon profitieren wollen. Wir sind ja in diesem Beruf so neu. Wenn man erst nur mit erwachsenen Menschen zu arbeiten hatte, so bedingt die Arbeit in der Schule eine völlige Umstellung. Das Wesen des Kindes zu erfassen und ihm das zu lehrende so beibringen, daß es spielend lernt und freudig arbeitet, erfordert Studium richtungsgebender Werke. Und das erfordert ein gut Teil davon Zeit, die wir außer dem Schuldienst noch haben. Trotzdem stelle ich mich gern zur Mithilfe am Aufbau an weiteren Organen zur Verfügung. Ich habe für die Volkssolidarität gearbeitet und habe auch Funktionen für den FDGB. Ich habe aus den aufgestellten Forderungen für eine demokratische Schulreform gelernt, daß die deutsche Schule die demokratische Einheit der Nation fördern und festigen soll. Sie darf nicht durch verschiedene Anschauungen zerissen werden. Ich glaube bestimmt, daß es mir die Eltern schwerd übelnehmen würden, wenn ich die Kinder auf eine bestimmte Linie zwingen würde. Denn nach welcher Richtung sie parteipolitisch sich wenden, daß ist doch Angelegenheit der Eltern.
Er werde keineswegs die Angriffe still ertragen und muß sich in jeder Form stark dagegen verwahren, vorallem hinsichtlich der Behauptung, daß Frau Dieckmann mit der CDU paktiert habe. Er weist dies als infame Lüge zurück. Die CDU hat in keiner Weise auf Frau Dieckmann eingewirkt. Weder von Seiten Frau Dieckmanns noch der CDU sei eine Beeinflußung erfolgt. Die CDU hat das Bestreben, mit der Gemeinde in Ruhe und Sachlichkeit aufzubauen, aber immer werden Knüppel zwischen die Beine geworfen. In seinen Ausführungen über die Wahl betonte er, daß Frau Dieckmann wählen könne, wen sie will. Der Gemeindevertreter habe die Aufgabe, seinen Wählern gegenüber gerecht zu werden und er muß so verfahren, wie diese wollen. Persönliche Interessen dürfen nicht in die Wagschale geworfen werden. Ich betrachte die ganze Sache als Denunziation, die von der CDU entschieden zurückgewiesen wird.
Es wäre nun angebracht, aus den Ergebnissen der Diskussion eine Entschließung zu verfassen. Der Antrag dazu ist bereits gestellt worden. In dieser Entschließung soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die hier versammlelte Einwohnerschaft von Sehma und die Lehrerschaft der Friedrich-Richard-Schule zu Sehma feststellen, daß Frau Dieckmann als Schulleiterin weiterhin das Vertrauen besitzt.
Die hier versammelte Einwohnerschaft von Sehma und die Lehrerschaft der Friedrich-Richard-Schule stellen fest, daß Frau Dieckmann als Schulleiterin weiterhin das Vertrauen aller besitzt. Gegner mögen durch Erheben ihre Meinung bekanntgeben.
Zunächst danke ich Ihnen für das bekundete Vertrauen. Ich selbst kann nicht mehr viel dazu sagen. Alles was ich zu bringen hatte, habe ich vorhin gesagt. Nur wundert es mich, daß Herr Bürgermeister nicht bekannt gab, inwiefern er glaubt, ... (Zeilen nicht mehr zu lesen -pks-) |
wortwörtlich übernommener Text des Protokolls |