Der Versuch eine Schulleiterin aus dem Schuldiest zu entfernen

ein zeitgeschichtliches „Originalprotokoll”


Elternversammlung vom 18.11.1946 in „Oelmann‘s Gasthof”



Protokoll über eine Elternversammlung am Montag, dem 18.11.1946 abends 8 Uhr in Oelmann‘s Gasthof (Saal).


Einberufen von der Schulleiterin der Volkschule zu Sehma, Frau Margot Dieckmann.

Tagesordnung:
      1.) Rechenschfatsbericht der Schulleiterin, Frau Dieckmann
      2.) Evtl. Stellungnahme des Herrn Bürgermeisters Sehma
      3.) Allgemeine Aussprache
      4.) Abstimmung über dem Verbleib oder Nichtverbleib der Schulleiterin im Amte

Schon vor 20°° Uhr war der Saal besetzt bis auf den letzten Platz, zum Teil mußten die Besucher sogar stehen.

Die Lehrerschaft war vollzählig versammelt, mit Ausnahme von Fräulein Geißler, die erkrankt und Herrn Schreiter, der auf Lehrgang ist.
Der Schulausschuß war erschienen, desgleichen Herr Bürgermeister.
Der Schulrat Oehme aus Annaberg wurde erwartet, leider vergeblich.


20.15 Uhr      Frau Dieckmann eröffnet die Versammlung, begrüßte Herrn Bürgermeister Kupfer und die Elternschaft, sowie den Schulausschuß. Alsdann sie mit ihren Ausführungen. (Bemerkenswert bei den Ausführungen von Frau Dieckmann zollte die Versammlung von Anfang an bis Ende ungeteilte Aufmerksamkeit und würdigende Stille).

„Ich habe diese Elternversammlung heute einberufen, um einen Rechenschaftsbericht abzulegen. Die Veranlassung dazu ist folgende: Herr Bürgermeister Kupfer hat aus nachfolgenden Gründen um meine Abberufung als Schulleiterin bei meiner vorgesetzten Behörde nachgesucht. Ich beanspruche für mich das demokratische Recht der Verteidigung!”
(lebhafter Beifall)

Sie erwähnte, daß sie in Hamburg die Hochschule absolvierte, daß sie danach in Essen in den Schuldienst kam, 1943 erlitt ihre elterliche Wohnung in Essen einen Bombenschaden und sie verzog mit ihren Eltern im Herbst nach Buchholz, dem Heimatort ihrer Eltern, wo kurze Zeit darauf ihr Vater verstarb.

Mit ihren beiden kleinen Kindern und ihrer verwitweten Mutter blieb sie in Buchholz und versuchte 1944 in den Schuldienst zu kommen. Es gelang ihr jedoch nicht, wegen Nichtzugehörigkeit zur NSDAP. Trotzdem versuchte sie es 1945 erneut und diesmal war es von Erfolg, sie wurde eingesetzt zum Schuldienst in Sehma.

Zu einem richtigen Einsatz kam es jedoch erst in der Zeit ab 1. Oktober 1945, nachdem der Schulunterricht wieder freigegeben war. Sie gelangte schnell zu einem guten Einvernehmen mit den Kindern. Als dann die Entlassung der Altlehrer erfolgte, wurde sie für die Schulleitung in Vorschlag gebracht, was dann unter dem 15.November 1945 vom Schulrat bestätigt wurde. Es war nicht ihr persönliches Bestreben, diesen Posten zu besetzen, denn zu dieser Zeit waren die schulischen Verhältnisse geradezu katastrophal. Unter ungeheuren Schwierigkeiten gelang es ihr dann, einen geordneten Schuldienst in Gang zu bringen. Es begann die Arbeit mit Neulehrern. Diese waren bestrebt, allen an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Was es aber bedeutet, ohne Lehrbücher, fast ohne Schreibhefte, ja kaum ein Bleistift war zu beschaffen, dazu die Kinder in einem aufgeregten, man möchte fast sagen aufsässigen Stadium der damaligen Zeiterscheinung, was es bedeutet, da zu arbeiten, vermag ein Außenstehender kaum zu erfassen. Mit Freudigkeit zu jeder Arbeit haben wir alle Hindernisse überwunden.

Ende November verzog ich dann nach Sehma, nachdem mir die Gemeinde Sehma eine - wenn auch kleine - so doch eigene Wohnung zuwies. Die Gemeinde unterstützte mich sodann noch mit einigen Möbelstücken und Haushaltsgegenständen. Wenn diese auch nicht neu waren, so war ich doch glücklich darüber und dankbar und freute mich.

Ich setzte meine ganze Kraft für die Erfüllung der Forderungen ein, die man an eine neue demokratische Schule stellt. Wir waren die erste Schule im Kreis Annaberg, die ab 1.Dezember 1945 mit dem Unterricht in der Russischen Sprache begann. Damals hatten wir eine Russischlehrerin, die wir heute nicht mehr haben und doch erfährt der Russischunterricht keine Einbuße, denn heute steht die Lehrerschaft eifrig dabei, Russisch zu lernen und zu lehren. Unsere Schule bot der Sehmaer Einwohnerschaft Kulturveranstaltungen und ich erwähne besonders den Beethoven-Abend im Januar 1946. Die Schulleitung stand jederzeit in gutem Einvernehmen mit der Elternschaft. Ganz besonders hervorzuheben ist jedoch die gute Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung. Das zeigte sich sowohl bei der Schülerschaft, als auch bei der Lehrerschaft. Immer hat die Schule sich beteiligt, wenn von der Gemeindeverwaltung das Ansuchen kam. (Kartoffelkäferaktionen, Unterstützung der Polizei, usw.). Alles, was die Schule anging, geschah in engster Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung, Insbesondere mit dem Herrn Bürgemeister. Ob es nun die Entlassung des 9.Jahrganges war oder die Einreihung der 56 Schulneulinge, ob es die Maifeier oder das Kinderfest zum 25.8. waren, immer gingen Schule und Gemeinde Hand in Hand. Lähmten schwere Vergehen der Kinder diese Arbeit, so herrschte auch in diesen Dingen stets gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Gemeinde.

Plötzlich werde ich in politischer Weise angegriffen. Ich betrachte dies als eine persönliche Angelegenheit und führe nachfolgend zu meiner Rechtfertigung aus:

1. Man wirft mir vor, daß ich mich bei der Bürgermeisterwahl nicht politisch neutral verhalten habe.
• Das muß ich ganz strikte ablehnen.
• Diese Wahl ist persönlich aufgefaßt worden. Ich habe aber nicht für meine Person, sonders als
  Gemeindevertreterin gewählt.
(ungeheurer Beifall)

2. Herr Bürgermeister behauptet, daß ich ihm als ehemaligen KPD-Mann meine Stimme nicht gegeben habe, sondern einem ehemaligen SPD-Mann. Für mich stand aber weder ein KPD-Mann noch ein SPD-Mann zur Wahl, sondern 2 SED-Männer!
(tosender Beifall)
• Diese angebliche Haltung von mir habe Mißbilligung in der Gemeinde hervorgerufen.
• Ich habe meine Wahl nach guter Prüfung als Vertreterin getroffen.

3. Herr Bürgemeister bezeichnet mich als Gegnerin des linken Flügels.
• Ich erwähne nur meine Mitwirkung bei der August-Bebel-Feier, meine Mitarbeit bei der Volks-
solidarität, im Frauenausschuß, die Ausgestaltung der Feier für die Opfer des Faschismus, usw.
• Meine Arbeit im Mütterdienst der ev. Kirche steht damit in keinem Zusammenhang.
• Ich betone nochmals ausdrücklich meine Parteilosigkeit!

4. Mir wird zum Vorwurf gemacht, daß ich mein Kollegium in Anti-SED-ischer Weise beeinflusse, was darin seinen Ausdruck finde, daß mit einer einzigen Ausnahme sich niemand vom Kollegium aktiv an der Parteiarbeit beteilige und das ich mich für einen Kollegen eingesetzt habe, der wegen politischer Unzuverlässigkeit wieder aus dem Amte ausgeschieden werden sollte.
(Einwurf des Kollegen Müller, daß er seine Unbedenklichkeitsbescheinigung beibringen könne !)

Frau Dieckmann bittet, Einwürfe zu unterlassen.

• Rechtfertigung: In keiner Weise habe ich das Kollegium beeinflußt. Das Kollegium soll dazu selber Stellung nehmen.
• Das ich mich für die Wiedereinstellung eines Kollegen eingesetzt habe, der mir politisch zuverlässig erschien, war für mich doch eigentlich unverfänglich. Ich habe immer die Arbeit für meine Schule, für eine neue, demokratische Schule im Auge. Dauernder Lehrerwechsel ist dafür absolut nicht zuträglich. Und wir wollen doch endlich aufbauen.
(anhaltender Beifall)

5. Herr Bürgermeister fordert lediglich meine Abberufung als Schulleiterin, nicht aber als Lehrerin
(Heiterkeit im Saale)
• Als Schulleiterin bin ich nicht tragbar, wohl aber als Lehrerin. Als Lehrerin komme ich aber viel mehr mit den Kindern in Berührung und weile häufiger und länger im Lehrerzimmer (allgemeine Unterhaltung im Saale)
• Ich kämpfe nicht um meinen Schulleiterposten, ich fordere lediglich mein demokratisches Recht. Bin ich fehl am Platze, so ziehe ich sofort die Konsequenz.

Ich gebe nun Herrn Bürgermeister das Wort.
(angeregte Unterhaltung im Saale, Beifall, Beifall, immer wieder Beifall).

Herr Bürgermeister erhebt sich von seinem Platze und ergreift das Wort.

Ich glaube, es ist nun das 3. Mal, daß wir einen Elternabend halten. Ich bedanke mich für die Einladung.
(Zurufe aus dem Saale: Lauter reden! Ans Rednerpult gehen!)

Der Bürgermeister begibt sich ans Rednerpult und beginn aufs neue:

Ich bedanke mich für die Einladung zum Elternabend. Es ist ja nicht das erste Mal, daß ich zu Ihnen rede und zwar werden Sie sich noch gut erinnern, daß ich in meinem Urteil ziemlich konsquent bin. In jeder Frage, was das Religiöse anbelangt, habe ich nicht mit Widerständen gearbeitet. Ich habe in dieser Hinsicht immer alles befürwortet. Schon von jeher war meinStandpunkt: jeder soll nach seinem Glauben selig werden und mein Standpunkt ist auch heute noch derselbe.

Ich komme nun auf die Ausführungen der Frau Schulleiterin zurück und was sie über ihre Arbeit ausführt, so sage ich, die wird anerkannt. Meine Arbeit wird ja sicherlich auch anerkannt. Was aber die Wahl anbelangt, so muß ich sagen, daß eben ein Mißtrauen vorhanden war. Ich als politischer Ausrichter und angehender Verwaltungsmensch vertrete die Interessen in der Gemeinde so, daß Maßnahmen in dieser Hinsicht von mir getroffen werden müssen,denn ich kann nicht alle Klagen abbiegen. Und doch versuche ich immer, alles zu bereinigen. Fehler haben wir alle. Aber mit der Erkenntnis allein ist es nicht getan. Ich komme wieder auf die Wahl zu sprechen und sage Ihnen, ich klammere mich an nichts. Ich kann arbeiten und stelle mich jederzeit wieder an die Drehbank. Arbeiten bin ich gewöhnt. Aber jetzt sitze ich an der Stelle, um politisch die Sache auszurichten. Ich will nicht verkennen, irgendwelche die sich als Parteilose bezeichnen, daß diese Leute die Form einer Demokratie wie wir sie wollen, aufbauen. In der ganzen Zeit haben Schule und Gemeinde gut und das war in Ordnung, weil wir uns gegenseitig ausgeglichen haben.
(Im Hinterteil des Saales entsteht Unruhe es werden Zurufe laut: Was soll das alles! Auf den Grund der Sache kommen, usw.)

Im gleichen Augenblick aber kommt Mißtrauen vor, wo persönliche und politische Richtlinien vorhanden waren. Das Wahlgeheimnis ist gewahrt gewesen. Das hat auch das Gemeindeparlament festgestellt. Die Wahlzettel sind verbrannt worden. Ich konnte nicht nachsehen. Aber ich habe auch meine Nachrichtenmänner.
(Rufe der Empörung! Pfuierufe! Unruhe im Saal!)

Ich kenne die Leute einzeln, die diese Sache zusammengeschmiedet haben. Da war ein Einvernehmen der CDU mit der Schulleiterin und das habe ich als Intrigenspiel angesehen. Wäre es so gewesen, daß man so gehandelt hätte: Wir von der CDU wählen einen Kandidaten von uns, dann wäre ich sofort abgetreten. Ich will mich nicht halten. Für mich ist aber von Entscheidung, parteilose genauer unter die Lupe zu nehmen. Vieleicht steckt etwas anderes dahinter. Das entscheidende war, daß sie das Mißtrauen für mich - für die SED - dargelegt hat. Auf der einen Seite erklärt sie selbst, daß wir bis zur Wahl gut zusammen gearbeitet haben. Ich bin verantwortlich, solange ich tätig bin, die Form einer Demokratie für die Zukunft zu wahren. Wenn das nicht in dieser Form gewahrt wird, so habe ich es auszurichten, wenn Unebenheiten bestehen.

Ich komme auf die Neulehrer selbst. Ich habe mal diesen und jenen bei mir gehabt. Aktiv haben sie außerberuflich noch nicht viel gearbeitet. Aber sehen sie uns an, wir müssen es auch tun. Es erweist sich, daß alle die Last mittragen. Wer nur seine Berufsarbeit macht und glaubt, seine Existenz damit zu halten, weiß eben nicht, was für die Zukunft der Erhaltung der Existenz gilt. Auch müssen alle versuchen, zusätzlich aktive Arbeit zu leisten, damit wir weiter in der Lage sind, die Demokratie auf fortschrittliche Wege weiterzuleiten. Dann möchte ich von den Neulehrern feststellen, die nur ihre Schularbeit getätigt haben, daß sie anderseits nicht mal Zeit haben, eine Versammlung zu besuchen, nur um auf demokratischen Wege ihr Wissen zu erweitern. Es ist nicht schlecht gemeint, wenn ich gesagt habe: Arbeiten Sie etwas mit! Ich kann es verstehen, daß sie sich in ihrer pädagogischen Arbeit weiterbilden müssen und nicht viel Zeit haben. Wenn wir alle wirklich politisch geschult gewesen wären, wäre es niemals zu einem Krieg gekommen.Es ist notwendig, daß sich jeder politisch orientiert.
(Unaufmerksamkeit im Saal! Unterhaltung gegenseitig!)

Ich bin bereit Rede und Antwort zu stehen. Ich bin kein Feigling. Ich will auch alles durchfechten bis zur letzten Konsequenz. Ich habe sie nur als Schulleiterin abberufen wollen, aus dem einen politischen Grunde und bedauere, daß der Herr Schulrat noch nicht gekommen ist. Wenn einer als Bürgermeister nicht politisch ausgerichtet ist, wird die Sache in falsche Kanäle geleitet. Fachlich habe ich gegen Frau Dieckmann nichts einzuwenden, in allen ihren Arbeiten, in keiner Weise. Nur ist das Richtmaß eben das, daß man den Kurs eben dorthin - nämlich auf das Politische lenkt.
(Tritt vom Rednerpult)

(Gegenseitige Unterhaltung wird lauter und deshalb sind einzelne Meinungen nicht heraus zu hören.)
Frau Dieckmann tritt ans Rednerpult und meldet, daß wir nun in Punkt 3 der Tagesordnung eingehen.

In die Diskusion: Sie selbst eröffnet und hat dazu zu sagen, daß sie das Geheimnis der Wahl anfechtet.

Grund: Sie selbst hatte Gelegenheit nach der stattgefundenen Wahl in den Ofen zu sehen, weil sie sich für einen solchen - nämlich einen Sägespäneofen, der ihr bis dahin unbekannt war - intressierte. Dabei konnte sie feststellen, daß die Zettel noch vorhanden waren und nur zum Teil leicht angekohlt waren.

Weiter stellt sie die erwähnte CDU-Verbindung als Intrige dar. Sie fungierte zur Wahl lediglich als Gemeindevertreterin. Sie verkenne auch durchaus nicht die Form der Demokratie, die wir erstreben. Wäre es aber dann nötig, daß wir wählen sollen, wenn wir nicht Wahlmeinung achten?
(Beifall !!!!!)

Herr Bürgermeister selbst hat mir gegenüber einmal gesprächsweise erwähnt, daß er sich an diesen Posten nicht klammere.Ich weiß genau, daß auch die Gemeinde Sehma anerkennt, daß ein solcher Posten ungeheure Anforderungen stellt. Es wird mir daher wohl niemand übelnehmen, wenn man eine Fachkraft vorschlägt.
(Beifall! Jawohl! Beifall!)

Es meldet sich Kollege Richter zur Diskusion:

„Ich möchte an den Beginn meiner Ausführungen Auszüge aus der Rede des Genossen Anton Ackermann (KPD) vom 4. November 1945 anläßlich einer Kundgebung zur demokratischen Schulreform in Berlin stellen:”

„Eine wirkliche Demokratie schließt als selbverstänliches Recht das Recht des Glaubens- und Gewissensfreiheit ein, und ich muß als Mitglied des Zentralkommitees der Komunistischen Partei Deutschlands hier in aller Öffentlichkeit erklären, daß wir diese Freiheit ebenso uneingeschränkt für die Anhänger einer Glaubens- und Religionsgemeinschaft anerkennen, wie wir die volle Freiheit des Gewissens und der Überzeugung für uns selbst fordern.” - „Die Leitung des öffentlichen Bildungswesens kann also im demokratischen Deutschland nur Staatsangelegenheit und nicht Sache einer Partei oder Kirche sein.” - „Der Streit der Weltanschauungen und Konfessionen darf nicht innerhalb der Schule ausgetragen werden.” - „Wir sind sicher, daß unsere demokratische Forderung, die Schule nicht nach Weltanschauungen und Konfessionen aufzuspalten und den Streit der Weltanschauungen und Kofessionen nicht in die Schule hineinzutragen, von den breitesten Bevölkerungsschichten verstanden und unterstützt wird.” - „Das Ziel der neuen Erziehung sei wahrer Humanismus und Hebung des Bildungsstandes!” -

So sollen die demokratischen Zustände in unserer Schule sein. Als am 1. oder 15. November 1945 die alten Kollegen entlassen wurden, waren außer Frau Dieckmann nur noch Frau Lehmann, Fräulein Geißler und Fräulein Nastainzcyk als Altlehrer in der Schule.Seitdem führen die Neulehrer die Schule weiter, unter der Anleitung Frau Dieckmanns. Wie schon Frau Dieckmann ausführte, waren die Voraussetzungen für den Schulbetrieb die denkbar schlechtesten. Denoch haben wir es uns zur Pflicht gemacht, alle Kraft für die Schule einzusetzen. Deshalb hat man uns in die Schule gestellt,daß wir dieser Schwierigkeiten Herr werden. Unsere Arbeit galt dem demokratischen Aufbau der neuen Schule. Die SED hat seit dieser Zeit die Verhältnisse verbessert. Es erscheinen wieder Lehrbücher usw., die einen Schritt vorwärts bedeuten. Unsere ganze Arbeit ist auf der Grundlage aufgebaut, eine wirkliche Demokratie erstehen zu lassen. Dazu gehört aber, daß die Bevölkerung hinter uns steht.

          Im übrigen können sich ja die Kollegen noch darüber auslassen, was sie an nebenberuflicher Tätigkeit leisten. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht jedenfalls die demokratische Schularbeit. Das ist die Hauptaufgabe unseres weiteren Lebens.Wir haben im Kriege erkannt, wohin die Parteimißstände führten, und haben jetzt versucht, in die Gedankengänge der Demokratie einzudringen. Einzelne der Kollegen arbeiten für die FDJ, einer davon als Ortsleiter. Wir haben aber auch nebenher die Russische Sprache zu erlernen. Unsere Schule war die erste im Kreise, die diese Sprache lehrte. Und jetzt noch arbeiten wir täglich daran, uns in dieser Sprache zu vervollkommnen. Wir haben unter den Kollegen Hörer der Volkshochschule. Aber auch für die Parteien sind sie tätig, sowohl für die SED als auch für die LPD.
(Beifall !)

Fräulein Schramm ergriff das Wort:

Wir Neulehrer haben ja nicht nur unsere Arbeit in der Schule. Wir müssen auch an unsere Bildung noch viel Arbeit leisten, weil wir ja auch für später noch davon profitieren wollen. Wir sind ja in diesem Beruf so neu. Wenn man erst nur mit erwachsenen Menschen zu arbeiten hatte, so bedingt die Arbeit in der Schule eine völlige Umstellung. Das Wesen des Kindes zu erfassen und ihm das zu lehrende so beibringen, daß es spielend lernt und freudig arbeitet, erfordert Studium richtungsgebender Werke. Und das erfordert ein gut Teil davon Zeit, die wir außer dem Schuldienst noch haben. Trotzdem stelle ich mich gern zur Mithilfe am Aufbau an weiteren Organen zur Verfügung. Ich habe für die Volkssolidarität gearbeitet und habe auch Funktionen für den FDGB. Ich habe aus den aufgestellten Forderungen für eine demokratische Schulreform gelernt, daß die deutsche Schule die demokratische Einheit der Nation fördern und festigen soll. Sie darf nicht durch verschiedene Anschauungen zerissen werden. Ich glaube bestimmt, daß es mir die Eltern schwerd übelnehmen würden, wenn ich die Kinder auf eine bestimmte Linie zwingen würde. Denn nach welcher Richtung sie parteipolitisch sich wenden, daß ist doch Angelegenheit der Eltern.
(starker Beifall !!)

CDU-Vertreter meldet sich zu Wort:

Er werde keineswegs die Angriffe still ertragen und muß sich in jeder Form stark dagegen verwahren, vorallem hinsichtlich der Behauptung, daß Frau Dieckmann mit der CDU paktiert habe. Er weist dies als infame Lüge zurück. Die CDU hat in keiner Weise auf Frau Dieckmann eingewirkt. Weder von Seiten Frau Dieckmanns noch der CDU sei eine Beeinflußung erfolgt. Die CDU hat das Bestreben, mit der Gemeinde in Ruhe und Sachlichkeit aufzubauen, aber immer werden Knüppel zwischen die Beine geworfen. In seinen Ausführungen über die Wahl betonte er, daß Frau Dieckmann wählen könne, wen sie will. Der Gemeindevertreter habe die Aufgabe, seinen Wählern gegenüber gerecht zu werden und er muß so verfahren, wie diese wollen. Persönliche Interessen dürfen nicht in die Wagschale geworfen werden. Ich betrachte die ganze Sache als Denunziation, die von der CDU entschieden zurückgewiesen wird.

Er könne ferner nicht verstehen, wie man eine Kraft - so angreifen kann. Die CDU habe stets darum gesorgt und gebangt, die öffentlichen Stellen mit guten Köpfen besetzt zu wissen. Und nun will man gerade solchen die Stellung nehmen. Als Gemeindevertreter nuß er sich dagegen wehren. Ich betone hier, daß ich von der ganzen Affäre noch kein Wort gewußt habe. Das demokratische Gesetz schreibt vor, in solch heiklen Dingen muß einen Betriebsrat zu befragen und in solchen Dingen muß auch ein Betriebsrat gefragt werden. Bei solchen entscheidenden Maßnahmen muß zumindest der Schulausschuß bei einer Sitzung gehört werden. Warum tut man dies nicht? Warum befragt man keine zugehörigen Stellen? Wer hat die Schulleiterin eingesetzt? Meines Wissens doch der Schulrat.
(Zurufe seitens d.H. Bürgermeisters: Die Schulleiterin ist von der SED eingesetzt worden!)

Sie ist aber doch aufgrund ihrer Fähigkeiten eingesetzt worden und der SED ist doch damals auch bekannt gewesen, daß sie parteilos ist. Diese Stelle ist doch nicht so einfach zu besetzen. Ich habe Unterlagen an der Hand, wonach selbst von der SED gefordert wird, daß die an der Spitze stehenden Gemeindebeamten das Handbuch über die Gemeinderichtlinien beherrschen müßten. Und wenn sie das gelesen haben, dann können solche Sachen nicht passieren.
(Zwischenrufe: Vielleicht können manche nicht lesen!)

Er richtet das Wort an die Elternschaftund bittet sie, sich auf die Seite von Frau Dieckmann zu stellen.
(spontaner Beifall! anhaltend!)

Frau Dieckmann erwähnte dann noch, doch die Form der Diskussion zu wahren und Zwischenrufe zu unterlassen, sondern sich zu Wort zu melden.

Frau Dieckmann erhob dann ihre Stimme und sagte: Ich möchte nun die Gegner auffordern, die diesen angeblich von mir begangenen Schritt mißbilligen, sich zu erheben und gegen mich Stellung zu nehmen.
(tiefes Schweigen! ...)

Herr Richter nahm dann das Wort:

Es wäre nun angebracht, aus den Ergebnissen der Diskussion eine Entschließung zu verfassen. Der Antrag dazu ist bereits gestellt worden. In dieser Entschließung soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die hier versammlelte Einwohnerschaft von Sehma und die Lehrerschaft der Friedrich-Richard-Schule zu Sehma feststellen, daß Frau Dieckmann als Schulleiterin weiterhin das Vertrauen besitzt.

Die Gegner dieser Entschließung möchten durch Aufstehen ihre Meinung bekanntgeben.
(alles blieb sitzen!)

Der Wortlaut der Entschließung wird verlesen.

An den Herrn Kreisschulrat Oehma zu Annaberg.

Die hier versammelte Einwohnerschaft von Sehma und die Lehrerschaft der Friedrich-Richard-Schule stellen fest, daß Frau Dieckmann als Schulleiterin weiterhin das Vertrauen aller besitzt. Gegner mögen durch Erheben ihre Meinung bekanntgeben.

Herr Schmidt, Gerhard fordert dann Frau Dieckmann auf, die Versammlung zu befragen, ob dem Antrag stattgegeben wird.

Frau Dieckmann betont, daß Herr Kreisschulrat Oehme sich persönliche davon überzeugen wollte, ob Vertrauen für sie vorhanden sei oder nicht und sie bedaure, daß er bis zum Augenblick noch nicht erschien. Es könne nur ein technisches Hindernis der Grund des Fernbleibens sein.
„Ich möchte nun hiermit dem Antrag stattgeben und fragen, wird die Absendung dieser Entschließung unterstützt?”
(einstimmig unterstützt!)

Frau Dieckmann dankt für das bewiesene Vertrauen. Sie bittet Herrn Bürgenmeister, dazu Stellung zu nehmen.

Herr Bürgermeister: „Ich habe keine Stellung mehr zu nehmen.”
(Heiterkeit im Saale)

Frau Dieckmann: Ich betone nochmals, daß ich nicht um den Posten gekämpft habe. Falls das Kollegium hinter mir steht, bitte ich Sie, diese Entschließung an Herrn Kreisschulrat Oehme weiterzureichen.
Falls niemand mehr reden will, möchte ich zum Schlußwort kommen:

Zunächst danke ich Ihnen für das bekundete Vertrauen. Ich selbst kann nicht mehr viel dazu sagen. Alles was ich zu bringen hatte, habe ich vorhin gesagt. Nur wundert es mich, daß Herr Bürgermeister nicht bekannt gab, inwiefern er glaubt, ...           (Zeilen nicht mehr zu lesen -pks-)

Ich möchte hiermit die Versammlung schließen und hoffe, daß wir in Zukunft als demokratische Schule, als demokratische Elternschaft, gegenseitig uns zu erziehen versuchen und das wir - falls es in Erscheinung tritt - irgendwelche Mißstimmigkeiten offen in demokratischer Form an den Tag zu bringen. Wir wollen Elternversammlungen im Beisein der Gemeindevertreter abhalten. Und wer gewillt ist, ehrlich zu arbeiten, wird jederzeit auch eine Korrektur vertragen.
(anhaltender Beifall !)

Ender der Versammlung 21.15 Uhr


wortwörtlich übernommener Text des Protokolls

bearbeitet von pks