Neu-Amarika

— wie es entstand und zu seinem Namen kam

entnommen dem
„ Erzgebirgischen Heimatblatt “  N° 13 von 1928

     Vierzig Minuten von Schlettau, fünfzehn vom Buchholzer Bahnhof entfernt liegt an der Staatsstraße das idyllische „Neu-Amerika“. Von Schlettau erreicht man es am bequemsten auf dem Feldwege, der an den Schrebergärten und an der Halde der einstmaligen Silbererzgrube „Reicher Spat“ und weiter hinauf an 15jährigen Fichtenbestande vorübergeführt und dann kurz vor „Neu-Amerika“ in die Zschöppelstraße einmündet. Auf diesem Wege bleibt man — Gott sei Dank — verschont vom Staub, Geruch und Geheul der zahllosen Kraftwagen und -räder, die unausgesetzt auf der „Neuen Straße“ verkehren.
     Vom Buchholzer Bahnhof aus führen gutgepflegte Wege durch den der Stadt Buchholz gehörigen herrlichen Wald mit seinen romantischen Ausblicken und seinen zum Ruhen einladenden Anlagen. Wir sind am Ziel unserer Wanderung und stehen vor dem Hause, daß jetzt in goldenen Lettern den Namen „Neu-Amerika“ trägt. Voll liegt der Nachmittagssonnenschein an seiner Vorderfront, und hell leuchten die Buchstaben auf.

     „Neu-Amerika“, wie mags du hier in der Einsamkeit der Grenze von Schlettau und Buchholz zu deinem stolzen Namen gekommen sein? Wir sollen es bald erfahren. Der Wirt des Hauses, Herr Ernst Lang, ist gut beschlagen in der Geschichte seines Besitztums. In folgenden sei sie erzählt.
     Die Staatsstraße — in Buchholz lesen wir am Schilde „Schneeberger Straße“ — wurde in den Jahren 1848/49 gebaut. Bis dahin lag aller Fahrverkehr zwischen Schlettau und Buchholz auf der heute sogenannten „alten Straße“.
     Ein gewisser August Köhler aus Hermannsdorf, von Beruf Bergmann, später Bauunternehmer in Buchholz, erbaute auf waldiger Höhe an der neuerstandenen Straße dort, wo sie der alte Fürstenweg kreuzt, ein Gasthaus und taufte es auf den Namen „Köhlers Gasthof“. Eine Tochter Köhlers ist die Gattin des Fleischermeisters Karl Kunzmann in Schlettau. Von August Köhler, der seine Wirtschaft zu Zeiten auch verpachtet hatte, ist sie, wie wir bald erfahren werden, an die Familie Lang gekommen. Der Vater des jetzigen Besitzers, Adolf Lang, war gebürtig von Sehma und hatte in Buchholz in strenger Lehrzeit das Müller- und Bäckerhandwerk erlernt. Auf seiner Wanderschaft — damals war ja das Wandern Pflicht eines jeden Gesellen — war er auch an das „große Wasser“ nach Hamburg gelangt. Manch Auswandererschiff sah er dort von dannen ziehen, und mit sehnsüchtigen Blicken schaute er ihnen nach. Gern hätte auch er sich das Land übern Meere drüben besehen und durchwalzt, allein ihm fehlte es am Nötigsten, am Reisegeld. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in der deutschen Heimat auszuhalten.

     Nach einigen Jahren Fremde kehrte er ins Erzgebirge zurück, das Vaterhaus in Sehma nahm in wieder auf. Arbeit gab es für ihn zur Genüge; denn sein Vater betrieb eine Landwirtschaft (das heutige Mauerberger-Gut). In Hof und Stall und Scheune und draußen auf den Feldern, überall waren die Hände des kräftigen Wirtschaftsgehilfen willkommen.
     Nun zogen sich in der damaliger Zeit die Aecker der Sehmaer Bauern weiter heraus nach Buchholz und Schlettau zu als heute. Deshalb kam Adolf Lang auch in die Näher der neuen Straße, ab und zu wohl auch in Köhlers Gasthaus, und da hörte er eines Tages, das August Köhler verkaufen wollte. Der junge, unternehmungslustige Adolf griff zu und erwarb im Jahre 1865 Köhlers Gasthof. Soweit war er mit dem Kaufe zufrieden, nur der Name seines neuen Heims mißfiel ihm, der mußte geändert werden. Noch immer war die Sehnsucht nach Amerika in ihm lebendig, und das jetzt erworbene Gasthaus sollte ihm ein tröstender Ersatz sein für das, was er nicht hatte erreichen können, er nannte es deshalb „Neu-Amerika“.

     Der frühere Besitzer, August Köhler, baute sich in der Nähe an, er errichtete das heutige Ullrichhaus. Später baute der Bergmann Hildebrandt ein drittes Haus hinzu. Diese drei Besitzungen ergaben den zur Gemeinde Schlettau gehörigen Ortsteil „Neu-Amerika“. Im Jahre 1892 übergab Adolf Lang sein Anwesen, Land- und Gastwirtschaft, seinem Sohne Ernst, der es mit seiner lieben Frau und seinen freundlichen Kindern heute noch bewirtschaftet. Die vom Vater übernommene Gastwirtschaft hat er bedeutend vergrößert.
     Seit 1920 hat Herr Lang ein großes Stück Ackerland am Wald an den Buchholzer Fußballklub „Rasensport“ verpachtet und so die Ballspieler und Zuschauer als Gäste gewonnen. Bei dem regen Verkehr erwiesen sich die Gasträume bald als zu klein, deshalb sah sich der Besitzer genötigt, anzubauen.
     „Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus“.
Im Jahre des Schlettauer Heimatfestes, im 25. Jahre seit der Geschäftsübernahme, wurde der Anbau eines geräumigen Salons ausgeführt, und das alte Gebäude erhielt gleichzeitig ein moderneres Äusere. Wohl ist durch den Erweiterungsbau ein Teil des schattigen Gartens verloren gegangen, doch darum ist es nicht schade; denn wer kann in einem Garten, der in unmittelbarer Nähe des regsten Autoverkehrs liegt, Ruhe, Erholung und Entspannung genießen.

     Manch herzlicher Glücks- und Segenswunsch mag der Familie Lang bei der Eröffnung des Anbaues dargebracht worden sein, den schönsten aber hat ihr ein Bruder des Wirtes, Herr Fritz Lang in Annaberg, gewidmet. Der Wunsch, in Versform verfaßt und umrankt von erzgebirgischen Frühlingsblumen, hängt unter Glas und Rahmen im Salon und heißt:

     „Grüß Gott, lieb’ „Neu-Amerika“!
     Im frischen Kleide stehst du da
     In lichter Höh’, an Feldes Rand,
     Im weiten erzgebirgischen Land.
     Gott schütze Euch in diesem Haus
     Und die da gehen ein und aus.
     Ein jeder geh’ zufrieden fort
     Und kehr’ zurück an diesen Ort.

Gewidmet im Mai 1927          von F.L.

     Dieser Widmung, sollten noch viele Jahre erbaulicher Erholung und der geselligen Einkehr folgen, zur Freude des durstigen Wanderes, wie des vorbei kommenden Handelsmann´s und Erholung suchender Familien, die beim sonntäglichen Ausflug manch sportliche Betätigung ballspielender Buchholzer bewundern konnten.

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     Nachdem Ernst Langs Sohn Horst aus dem Kriege heimgekehrt war, die elterliche Gastwirtschaft unversehrt vorgefunden hatte, begann nach dieser schlimmen Zeit eine weitere Epoche des Gastgewerbes.

bearbeitet von pks