Die „Ruckdeschelsche Christmette”

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Als Kantor Oskar Ruckdeschel im Jahre 1919 sein Amt übernahm, fand er ein kindliches Mettenspie1 vor, Bruchstücke, Reste von altem Volksgut. „Die musikalische und spielerische Begabung der Sehmaer Schulkinder ermutigte mich zur Neugestaltung des Spiels”, erzählte uns Herr Ruckdeschel, ein freundlicher 65jähriger mit weißem Haar, als wir ihn in der Kantorei zu Sehma besuchten.

Sein Werk wurde ein beispielloser Erfolg.

aus „Volksstimme Nr.300” vom 24. Dezember 1955 Seite 6



Es ist die Frucht seiner Arbeit, aus einer ,Dorfkantorei' im schlechten Sinne einen Klangkörper gemacht zu haben, der heute weithin bekannt ist und den der Rundfunk für wert genug hält, schon lange Jahre und immer wieder in alle Welt hinauszusenden, können auch seine Gegner, die jeder hat, nicht leugnen.

schreibt Willy Kaltofen in besagtem Zeitungsausschnitt

Ausschnitt aus „Volksstimme” Okt./Nov 1955 ohne Tagesdatum


Kantor „Oskar Ruckdeschel” hatte in den 1920er Jahren ein eigenständiges Mettenspiel entwickelt, was anfangs immer wieder verfeinert jährlich zur Aufführung kam. Dieses „Ruckdeschelsche Mettenspiel” war weit und breit im Erzgebirge bekannt und wurde im Jahre 1929 erstmals im Rundfunk übertragen. .

Der Mitteldeutsche Rundfunk brachte, mit Ausnahme der Weihnachten von 1936 bis 1945, nun jedes Jahr die Metten zur Übertragung, - das Kirchspiel selbst lief bis 1939 -, zuerst direkt am Christtag früh aus der Kirche, spätere Übertragungen wurden dann bei der Hauptprobe aufgezeichnet und dann gesendet. Diese Übertragungen, die jährlich auch in Übersee empfangen werden konnten, fanden 1955 ein jähes Ende.

Kantor Ruckdeschel wurde die Aufführung des Mettenspiels verboten.

Der Aufschrei auf den Beschluß des Sehmaer Kirchenvorstandes war enorm:


Das im Kreis Annaberg weithin bekannte Kirchenchormitglied Willi Kaltofen schreibt uns u.a: „Alles, was in 36 Jahren in Sehma kirchenmusikalisch gewachsen ist, droht zusammenzubrechen. Der Kirchenvorstand von Sehma trägt dafür allein die volle Verantwortung für seine bereits gefällte Entscheidung. Die Mitglieder des Kirchenvorstandes scheinen sich der Auswirkung ihrer Entscheidung nicht klar bewußt zu sein.

Kirchgemeinde von Sehma, das geht uns alle an!”

Ausschnitt aus „Volksstimme” Okt./Nov 1955 ohne Tagesdatum


Auch an den Oberkirchenrat wurden Schreiben gerichtet.

„Sehr geehrter Herr Oberlandeskirchenrat! Wir, Kantorei von Sehma, sind in großer Sorge in der Angelegenheit unseres Kantors und bitten Sie deshalb, unsere Stellungnahme zu hören. Die Kantorei, die ja in der Hauptsache die Leidtragende wäre, ist nicht gewillt, unter ,jedem' Kantor zu singen. Wir kennen wohl das eine oder andere, was unserem Kantor zur Last gelegt wird, aber, wir hoffen, daß bei Entscheidungen nicht nur seine Fehler, sondern auch die 36 Jahre seiner aufopferungsvollen Arbeit an der Kantorei und auch für die gesamte Gemeinde gesehen wird.   ...”

gez.: „Willy Kaltofen, Dora Mittelbach”

aus „Volksstimme Nr.300” vom 24. Dezember 1955 Seite 6

Kantor Ruckdeschel selbst:

Kantor Ruckdeschel teilte es uns mit. Er ist dafür eingetreten, daß Konfirmation und Jugendweihe gleichzeitig zur Durchführung gebracht werden können. „Mit dieser Handlung bin ich mir keines ,Vergehens' bewußt, denn entsprechend unserer Verfassung steht in diesen Fragen allen Staatsbürgern die volle Meinungsfreiheit zu”, erklärte er uns.

Ausschnitt aus „Volksstimme” Okt./Nov 1955 ohne Tagesdatum

und weiter

„Ich bin durch Überlegungen zur Jugendweihe und zu der Schlußfolgerung gekommen, daß sich Jugendweihe und Konfirmation nicht ausschließen. Ich habe von dieser meiner Überzeugung auch Gebrauch gemacht; denn ich bin in verschiedene Wohnungen gegangen, um über die ,Jugendweihe' positiv zu sprechen”.

aus „Volksstimme Nr.300” vom 24. Dezember 1955 Seite 6

Kantor Ruckdeschel weiter:

„Ich habe so manche Möglichkeit besonnen”, heißt es in einer handschriftlichen Erklärung des Herrn Ruckdeschel, „um die Christmette in unserer Kirche in ihrer bisherigen Form als weihnachtliches Verkündigungsspiel mit der Rundfunksendung über den Deutschlandsender gleichlaufend zu bringen, obwohl die Zeitspanne der Vorbereitung immer mehr zusammenschrumpfte.
Als Mitglied der Kirchgemeinde fühlte ich mich verpflichtet, wie immer das Gemeinsame, gleiche im Rundfunk und der örtlichen Regelung zu wahren.
Von der Schulbehörde und dem Rat des Kreises Annaberg hätte ich jede Unterstützung erhalten.
Die Kirchenleitungen blieben bei der getroffenen Entscheidung: Die Christmette in Sehma wird ohne Darbietung des Spiels durchgeführt ... ”.

aus „Volksstimme Nr.300” vom 24. Dezember 1955 Seite 6

Am 3. Dezember schließlich hielt Oskar Ruckdeschel die Kündigung als Kantor in der Hand.

aus „Volksstimme Nr.300” vom 24. Dezember 1955 Seite 6

Mit dieser Entlassung als Kantor ging nicht nur eine schaffensreiche Ära eines begabten und schaffensreichen Kantors zu Ende, sondern Sehma verlor auch ein Stück musikalische Kirchenkultur. Diese Fassung des Kirchspiels war somit für immer verloren.

Nach Anhörung der Christmette von Band mit Willy Kaltofen, sprach „Oskar Ruckdeschel” einen Nachruf auf sein Mettenspiel, den „Willy Kaltofen” aufzeichnete.



Hier folgt eine Original-Ton-Aufnahme mit „Oskar Ruckdeschel”, ein Nachruf auf sein nun für immer verlorenes Mettenspiel, gefertigt von Willy Kaltofen 1963.


Quellen: Kirchenehronik von Fr. Mahn
             eigene Erinnerung
             Ausschnitt aus der „Volksstimme” Okt./Nov 1955 ohne Tagesdatum
             „Volksstimme” Volkstimme vom 24. Dezember 1955 Seite 6

Ausarbeitung pks               


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