Kirchliches Leben und Staat

Im Jahre 1920 kam eine ganz entscheidende Maßnahme. Der Staat löste sich von der Kirche. Die Trennung von Staat und Kirche führte also dazu, daß die Kirche nun ein eigenes Leben gestaltete. Das wirkte sich aber weniger theologisch, sondern mehr im Gemeindeleben und verwaltungsmäßig aus. Der Staat hatte sich aber bereit erklärt die Kirchensteuern weiterhin mit einzuheben.

Während bisher die Kirchensteuern im Gemeindesteuerzettel mitenthalten waren, gab es von jetzt ab einen besonderen Kirchensteuerbescheid. Der Steuerbescheid für Gemeindeanlagen hörte auf, es gab nur einen Bescheid für Staatssteuern für Selbständige und für die arbeitende Bevölkerung wurde der Lohnabzug eingeführt. Die Gemeinden bekamen davon Anteile vom Staat. Die an sich äußerliche und logische Erscheinung, daß es nun einen Kirchensteuerbescheid gibt, hat sehr viel böses Blut gemacht. Es war viel Aufklärung nötig und verursachte viel Verdruß, bis sich die Leute allmählich daran gewöhnten. Diese Maßnahme hatte aber auch eine Kirchenaustrittsbewegung zur Folge bei denjenigen, die bisher unbewußt mit den Gemeindeanlagen auch Kirchensteuern bezahlt hatten.

Die Kirchenrechnungsführung wurde durch diese Veränderung auch stark beeinflusst. Vor allem aber auch durch die bereits oben erwähnte Inflation. Es stellten sich finanzielle Schwierigkeiten ein. Diese führten dazu, daß der Pfarrer Führer durch die schwindende Kaufkraft des Geldes Not leiden mußte. Der damalige, in der Kirchenbauurkunde erwähnte, Kirchenkassierer Gustav Lang legte infolge seines Alters das Amt nieder.

Der Kirchenvorstand übertrug nun dieses Amt ab 1.04.1923 dem Filzschuhfabrikanten (Kantoreisänger und -musiker) Reinhard Riegel. Der Kirchenvorstand suchte auch nach Mittel und Wegen, die Einnahmen zu erhöhen und es wurde u. a. das Einsammeln von freiwilligen Kirchensteuern erwogen und es fand sich dazu bereit, der Gorverleger Friedrich Mehnert. Trotz alledem war es nicht möglich, dem Pfarrer einen ausreichenden Unterhalt zu geben, denn die Inflation hatte ein rasendes Tempo erreicht. Es muß hier erwähnt werden, daß Pfarrer Führer gezwungen war, sich einen zusätzlichen Broterwerb zu suchen. Er fand ihn bei der Firma Fr. Küttner, wo er halbtagsweise im Büro beschäftigt wurde.

Die im Zusammenhang mit den Kirchensteuern erwähnte Austrittsbewegung hatte auch solche Leute erfaßt, die die Trennung von Staat und Kirche als günstige Gelegenheit benutzten, der Kirche den Rücken zu kehren, weil sie sich beider Staatskirche sowieso nur als ein zwangsläufiges Glied fühlten.

Und eben diese Gelegenheit wurde auch benutzt, um den Religionsunterricht in der Schule als Pflichtfach abzuschaffen. Daraus ergaben sich in manchen Gemeinden große Schwierigkeiten zwischen Schule und Kirche. In Sehma waren diese gemindert, weil wir einen kirchtreuen Schuldirektor, namens Friedrich Mahn hatten. Er kam 1912 von Leipzig und stand mitten im kirchlichen Leben und hat sich dabei sehr verdient gemacht; er war jahrzehntelang stellv. Kirchenvorstandsvorsitzender. Am 13.02.1960 verstarb er hier im Alter von 80 Jahren. Er hat sowohl für die Schule, wie auch für die Kirche in all den Jahren segensreich gewirkt.

Bei der Entwicklung des kirchlichen Lebens mit mancherlei Veranstaltungen war im Pfarrhaus der Konfirmandensaal nicht mehr ausreichend und weil durch die Erweiterung der Schule die Kantorwohnung verloren gegangen war, wurde der Gedanke erwogen, ein Kirchgemeindehaus zu errichten. Dies geschah im Jahre 1925 in der Weise, daß die Kirchgemeinde das Grundstück zur Verfügung stellte und Fabrikbesitzer Hugo Küttner (Fa. Friedrich Küttner) die Baukosten übernahm. Es wurde vertraglich vereinbart und im Grundbuch eingetragen, daß das Paterregeschoß mit Kirchgemeindesaal und Kirchnerdienstwohnung der Kirchgemeinde zur unentgeltlichen Benutzung zur Verfügung steht und im 1.Stockwerk ist die Dienstwohnung für den Kantor eingebaut worden, welche nicht unentgeltlich zur Verfügung steht. Im Grundbuch wurde auch das der Kirchgemeinde eingeräumte Vorkaufsrecht eingetragen.

Diese Rechte sind uns z. Zt. durch die Sozialisierung der Betriebe und Übergang der betrieblichen Grundstücke in die Kommunale Wohnungsverwaltung streitig gemacht worden. Bezüglich des Kirchgemeindesaales und der Kirchnerwohnung macht die Kirchgemeinde weiterhin ungestört vom Gewohnheitsrecht Gebrauch.

Im sogen. 3.Reich, wo dem Christusglauben eine Weltanschauung als "gottgläubig" gegenübergestellt wurde, entstand im Jahre 1937 ein offener Kampf gegen die Kirche, der sich auch in Sehma auswirkte und wieder eine Kirchenaustrittsbewegung hervorrief. Trotzdem gelang es dem damaligen Ortspfarrer Lehmann, einen sehr großen Teil der Gemeinde in der Bekennenden Kirche zu organisieren.


Im März 1949 unternahm der Staat einen einschneidenden Schritt gegen die Kirche, indem er anordnete, daß ab 1.04.1949 der Staat die Kirchensteuern nicht mehr einhebt, sondern die Kirche es selbst tun muß. Die Bemühungen des Landeskirchenamtes, ein Jahr Übergangszeit zu gewähren, um einen eigenen Steuerapparat aufbauen zu können, hatte keinen Erfolg. Es stellte nun den Ephorien frei, ob sie Steuerämter einrichten oder die Aufgabe den Pfarrämtern übertragen. In der Ephorie Annaberg ist letzteres geschehen.

Nun hatte der Kirchenvorstand für unsere Kirchgemeinde einen Steuersachbearbeiter anzustellen. Dies war aber insofern schwierig, als diese Arbeit als ehrenamtliche Nebenarbeit zu umfangreich war. Man kam deshalb zu dem Entschluß, Arbeiten zusammen zu legen, um eine hauptamtliche Beschäftigung zu ermöglichen, nämlich als Kirchensteuerbearbeiter, Kirchenrechnungsführer, Kirchenbuchführer und Pfarramtskanzlist. Mit dieser Tätigkeit wurde der seinerzeitige Kirchkassierer Guido Riegel beauftragt.

Die Maßnahme, daß die Kirche ihren Steuerbedarf selbst einheben muß, hat in den letzten Jahren auch wieder zu Kirchenaustritten geführt. Besonders aber hat dazu beigetragen, daß die Leute bei Behörden und in Betrieben durch politische Schulungen für die atheistische Weltanschauung gewonnen werden sollen. Wer nicht fest im Glauben an Jesus Christus steht, wird leicht schwankend und es gehört heute ein Bekennermut dazu, der Kirche, d.h. dem Christusglauben treu zu bleiben. Es gibt heute Berufsgruppen, die des Glaubens wegen in harte Bedrängnis kommen.

Der Religionsunterricht -Christenlehre- wird in Sehma, wie auch in vielen anderen Orten, schon einige Jahre nicht mehr in der Schule zugelassen. Da der Stundenplan für die Christenlehre von dem Stundenplan der Schule abhängig ist, haben sich auch daraus Schwierigkeiten ergeben, die Pfarrer Zweigler im Verhandlungswege mit der Schule klären mußte.

Trotzdem haben wir keinen Grund, den Kopf hängen zu lassen. Das Gemeindeleben geht erfreulicher Weise weiter und auch die gegenwärtige Kirchturm-Reparatur, die wir auf ca. 25.000 DM Kosten schätzen, dürfte aus den Spenden der Gemeinde voll bestritten werde.

Die im vorliegenden Bericht erwähnten 4 Pfarrer haben alle in ihrer Amtszeit auch besonders bewegte Zeitabschnitte gehabt und jeder hat in kritischen Situationen für die Gemeinde einstehen müssen, sie treulich durch die Schwierigkeiten hindurchzuführen.

Ihre Amtszeit in Sehma war :

Pfarrer Führer   vom  November 1895   bis  28. Juni 1931
Pfarrer Lehmann   vom  23. August 1931   bis  2. Oktober 1949
Pfarrer Scholz   vom  12. März 1950   bis  13. November 1955
Pfarrer Zweigler   seit  21. Mai 1956   bis 



Gott hat unser Gotteshaus und auch die Gemeinde in den zurückliegenden 63 Jahren sichtbar gesegnet und wir befehlen unsere liebe Pauluskirche und alle die darin ein- und ausgehen auch für die Zukunft seiner treuen Obhut.

Sehma, am 29. November 1962.

Die Unterlagen zu diesem Bericht hat der gegenwärtige Kirchkassierer und Kirchbuchführer (Mitglied des Kirchenvorstandes) Guido Riegel zusammengetragen und den Bericht verfaßt.

Der Bericht wurde vom gesamten gegenwärtigen Kirchenvorstand für gut befunden und unterzeichnet.

Dieser Text befindet sich in der Turmkugel unserer Paulus-Kirche seit November 1962 und ist ein wörtlicher Auszug des vom gesamten Kirchenvorstand unterschriebenen Berichtes über die Kirchturmreparatur gleichen Jahres.


bearbeitet von pks