Im Herbst 1962 wurde eine Kirchturm-Reparatur vorgenommen, die vom Kirchenvorstand schon vor 10 Jahren in Aussicht genommen wurde, aber wegen besonderer Schwierigkeiten nicht durchgeführt werden konnte. In den letzten Jahren machte sich das Umdecken des Kirchturmes nun doch dringend nötig, weil durch die Unbilden der Witterung in den vergangenen Jahrzehnten Dachschiefer zerbrachen und herunterfielen. Die Vorarbeiten dazu gingen nur langsam voran, wurden aber immer wieder von Pfarrer Zweigler in Gang gebracht.
Da die Verwendung der Baumaterialien staatlich gelenkt wird, mußte vorher mehrmals mit Behörden verhandelt werden. Vom Rat des Kreises Annaberg als zuständige Stelle wurde für 1960 eine Baulizenz erteilt. Die Zuteilung der erforderlichen Schiefer verzögerte sich aber, so daß die Baulizenz mit Ablauf des Jahres I960 verfiel und wieder neu beantragt werden mußte. Das wurde nun für 1962 erreicht.
Trotzdem vergingen wieder Monate in der Hoffnung auf Schiefer-Zuteilung. Diese wurde nun für das 2. Quartal 1962 in Aussicht gestellt. Dem Bemühen der Dachdeckermeister Ernst Bauer und Arthur Bauer (Vater) gelang es, daß mit eigenem Kraftwagen eine Fahrt nach dem Schieferbrüchen in Lösten in Thüringen zustande kam und ein Vertreter des Rates das Kreises mitfuhr. Anfang August 1962 gingen die Schiefer hier ein.
Besondere Schwierigkeiten ergaben sich in der Frage des Einrüstens des Kirchturmes, weil nur wenige Firmen für so ein Bauvorhaben genügend Rüstmaterial zur Verfügung haben. Schließlich gelang es, die Rüstfirma Max Walther in Karl-Marx-Stadt dafür zu gewinnen. Weil aber die Rüstarbeiten erst nach der Schiefzuteilung vorgenommen werden konnten, verzögerte sich dies ebenfalls bis 1962 und wurde schließlich für Juli 1962 in Aussicht gestellt. Dieser Termin konnte aber nicht eingehalten werden, weil das Rüstmaterial anderwärts noch nicht frei war.
Endlich war es soweit und konnte am 11.10.1962 mit dem Einrüsten des Turmes begonnen und am 26.10.1962 beendet werden. Dabei stellte sich der Maurer Max Süß von der Firma Alfred Möckel & Co in Sehma dankenswerter Weise zur Verfügung, zwecks Befestigung des Gerüstes einige Löcher in das Mauerwerk des Kirchturmes zu meißeln, wie er sich auch bereits vor einigen Jahren bereit erklärte, die Mauer zum Kohlenbunker für die Kirchenheizung zu bauen.
Die Rüstarbeiten am Kirchturm konnten bei schönem, sonnigem und windstillem Herbstwetter durchgeführt werden. Als sichtbares Zeichen, daß die schwere, gefahrvolle Arbeit geschafft ist, hatte der Bauleiter auf dar Spitze des Gerüstes in 52 m Höhe eine Birke anbinden lassen.
Nun begannen sofort die Dachdecker (Vater und Sohn Bauer) mit dem Umdecken der Kirchturmspitze, und unser neuer Kantor Seydler verrichtete Malerarbeiten an derselben.
Am 6.11.1962 ereignete sich ein Zwischenfall. Abends gegen 19 Uhr 45 min, als Frauen zum Frauendienstabend in den Kirchgemeindesaal gingen, rief ein Mann vom Gerüst herab: "Ich habe die Wette gewonnen!" Dies löste große Aufregung aus. Sofort gingen der Kirchner Ficker, Kantor Seydler und Kirchkassierer Riegel auf den Kirchturm. Der Kirchner Ficker stellte den Mann oben auf dem Gerüst, welcher sich zunächst weigerte, in den Turm zu kommen, er wollte außen am Gerüst herunter klettern. Durch das energische Auftreten des Kirchners ging der Mann dann doch mit in den Turm.
Bei dem ersten Verhör stellte sich heraus, daß er im angetrunkenen Zustande das Gerüst bestiegen hatte als Auswirkung einer Wette, die ca. 1 Stunde vorher in der Bahnhofsgaststätte (Rieß Ernst) abgeschlossen worden war, nachdem vorher der Mann nach seiner Aussage ungefähr geäußert hatte: "Die Birke hole ich vom Turme runter, als Beweis bringe ich den Strick mit!"
Der Mann heißt E. W. (Klarnamen entfernt /pks) und ist Vater von sieben Kindern. Nachdem dieser Mann auf dem Gerüst gestellt und heruntergeholt worden war, ist aus einer Nachfeier der Wette im Gasthaus nichts geworden. Die Polizei - Otto Rosemeyer und Werner Horn - fahndete nach Leuten, die die Wette abgeschlossen haben; es hüllte sich aber alles in Schweigen.
Das Gleiche hat sich am 29.11.1962 wieder zu gleicher Zeit durch denselben Mann abgespielt. Diesmal wurde er beim Absteigen vom Gerüste von der Polizei in Empfang genommen.
Nach Fertigstellung des Gerüstes meldete der Bauleiter Zwingenberger, daß das Kreuz auf dem Kirchturme nicht mehr fest steht. Es stellte sich heraus, daß die Balken (Sparren), die in der Spitze zusammenlaufen, in den vergangen 6 Jahrzehnten morsch geworden waren. Die Folge davon war, daß das Kreuz, sowie die Kugel (sogen. Turmkopf) abgenommen werden mußten.
Diese schwierigen Arbeiten übernahmen Klempnermeister Willy Lauterbach aus Buchholz und Schlossermeister Gerhard Rockstroh mit seinem Gehilfen Karlheinz Schneider aus Sehma. Die Zimmererarbeiten - abschneiden und anstücken der Balken - führte der Zimmermann Paul Lehmann aus Sehma, welcher beim Sägewerk Weißbach in Cranzahl beschäftigt ist, aus.
Beim Abnehmen des Kreuzes ereignete sich ein zweiter Zwischenfall, der die Gemeinde in große Erregung und Angst versetzte. Am 15.11.1962, beim Ausführen von Schweißarbeiten am Kreuz, entzündeten sich gegen 10 Uhr 45 die morschen Balken. Die Dachdecker wurden vom Schlosser verständigt und gingen sofort vom Kirchturm herab und organisierten die erste Löschhilfe, Wasser in Eimern hoch tragen und Löschapparate von der benachbarten Firma Möckel herbei zu schaffen, und alarmierten auch sofort die Feuerwehr, die nach wenigen Minuten zur Stelle war.
Diese rief noch die Wehr von Annaberg mit der großen Schiebeleiter und zwei Wassertankwagen herbei. Über die große Leiter, welche bis zu den Glocken reichte, wurde von außen eine Schlauchleitung und von da ab im Turm innen hochgelegt. Durch das schnelle Eingreifen der Handwerker und Feuerwehr konnte sich der Brand nicht ausbreiten und nach ca. 1 Stunde konnte festgestellt werden, daß kein nennenswerter Schaden entstanden war, denn die angeschwelten Balken mußten sowieso entfernt werden.
Die Reparaturarbeiten haben sich recht schwierig gestaltet. Das schöne Herbstwetter hat bald nach dem Einrüsten des Turmes aufgehört. Der Himmel bedeckte sich, es kamen trübe, nebelige und windige Tage. Man befürchtete regnerische Novembertage. Es war aber nur anderthalb Tage (vom 15. bis 16.11.) nasse Witterung. Der Regen war gleich mit Schnee vermischt und es folgte sofort anhaltender Frost, so daß der Schnee liegen blieb und seitdem Winter geworden ist.
Die Dachdecker haben, wenn der Wind nicht zu stark war, mit wenig Unterbrechung weiter gearbeitet. Manchmal war die Kälte so groß, daß sie eine Pause machen und sich erst wieder aufwärmen mußten. Das muß in voller Anerkennung hier festgehalten werden. Aber auch die anderen Handwerker und Kirchner Ficker haben trotz ungünstiger Witterung die Arbeiten tapfer vorangetrieben. Auch dies muß lobenswert festgehalten werden.
Der Zimmermann, der Klempner und die Schlosser haben nun die Arbeiten soweit geschafft, daß die Kugel (Turmkopf) und das Kreuz in den nächsten Tagen wieder auf die Kirchturmspitze gesetzt werden können. Dies soll am Montag, den 3.12.1962 geschehen.
Anschließend werden von der Firma PGH Blitzschutzanlagen in Rechenberg- Bienenmühle/Sachsen durch Herrn Hildebrand zwei neue Blitzableiterleitungen gelegt. Danach ist vorgesehen, von der Kirchturmspitze das Gerüst wieder abzubauen, wenn es die Witterung zuläßt. Das übrige des Turmes bleibt den Winter über eingerüstet, weil die vorgesehenen Putz- und Malerarbeiten wegen des eingetretenen Winters nun nicht mehr vorgenommen werden können.
Die Putzarbeiten sind dem Baugeschäft Johannes Lang in Sehma übertragen, für die Malerarbeiten ist der Malermeister Kurt Schmiedel in Sehma vorgesehen.
Als bemerkenswert wird angeführt, daß der alte Maurer Max Mehnert, welcher beim damaligen Kirchenneubau 1898-99 als Lehrling tätig war, nun als letzter Mitarbeiter am Kirchenneubau gerade in diesen Tagen verstorben ist und sein Sarg angesichts des eingerüsteten Kirchturms in die Kirche getragen wurde.
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