Turmkopfabnahme 1962

Die im Texte Kirchturmreparatur erwähnte Kugel (Turmkopf) enthielt zwei Blechkapseln. In der einen befand sich eine Pergamentschrift, die nicht mehr zu lesen war. Die Überschrift lautete: "Im Jahre des Heils Anno 1899,  im 26. Regierungsjahre Sr. Majestät unsers Königs Albert von Sachsen!”     Unterschrift: „F. Emil Türcke, Königl. Hofklempner in Dresden, Paul Türcke.”

In der anderen befanden sich eine  „Urkunde für den Turmkopf”,  sowie 5 Abschriften von Urkunden, die im Grundstein der Kirche niedergelegt sind.  Beide Kapseln werden mit den Schriftstücken,  sowie des heutigen Berichtes wieder in die Kugel eingelegt.

Als Ergänzung dieser Urkunden wird nun anschließend folgendes niedergeschrieben:

Seit den 1890er Jahren hat sich das ehemalige Bauerndorf Sehma zu einem Industriestandort entwickelt.  Aber wenige Jahre nach der Jahrhundertwende wurde die friedliche Entwicklung unterbrochen.  Zwei große, schwere Kriege, in denen sich das deutsche Volk verblutete, liegen hinter uns.

Der 1. Weltkrieg vom 2.08.1914 bis 1918 endete im November 1918 mit einer Revolution.  Am 11.11.1918 vormittags 11 Uhr war Waffenstillstand.  Der Krieg war verloren.  Aus unserem Orte sind 116 Soldaten gefallen bzw. an den Kriegsfolgen gestorben.

Zu diesen schmerzlichen Verlusten kamen noch andere Sorgen.  Die Nachkriegszeit war von einer Inflation begleitet,  in der alle Geldwerte verloren gingen.  Das Schwinden der Kaufkraft des Geldes brachte schwere wirtschaftliche Sorgen und verzehrte schnell die zurückgelegten Spargelder.  Man lebte von der Hand in den Mund und so mancher mußte hungern,  weil er sich nichts kaufen konnte.

Für ältere Leute war es besonders schlecht,  weil die Notgroschen für das Alter verloren waren und sie nicht mehr arbeiten konnten.  Bei den Sparkassen und Banken haben sich damals herzzerreißende Szenen abgespielt. Man hatte doch in dem Glauben gelebt,  das Geld sei dort sicher und wertbeständig.  Viele verzweifelte Menschen sind vor Kummer gestorben oder sind freiwillig aus dem Leben gegangen, auch in Sehma.

Im November 1923 nahm die Inflation ein Ende.  1 Billion war gleich 1 Mark.  Die Entwicklung bzw. der Verfall des Geldwertes ist auf der Rückseite des Blattes aufgezeichnet.

Durch internationale Abmachungen war eine neue deutsche Währung anerkannt worden. Zunächst als Zwischenlösung die deutsche Rentenmark,  sodann ein Jahr später die Deutsche Reichsmark.

Nun atmete das deutsche Volk wieder auf und es konnte sich auch das wirtschaftliche Leben wieder entfalten.  Man war aber sehr misstrauisch geworden und wollte sich sichern;  das geschah dadurch,  daß man Zahlungen auf Dollarkurs vereinbarte,  vor allem im Geschäftsleben.  Es wurden aber auch Geschäfte in Goldmark vereinbart.  Der amtliche Wert einer Goldmark wurde mit 1,279 Gramm Feingold festgesetzt.  Diese Bezeichnung wurde vor allem bei Hypothekeneintragungen und dergl. verwendet.  Jeder redete nur von Goldmark,  erst später setzte sich das Vertrauen zur Reichsmark durch.

Wenige Jahre nach der Inflation setzte eine rege Bautätigkeit von Wohnhäusern ein.  In den Jahren  1926 bis 1929  entstanden in Sehma die „obere Siedlung” im Oberdorf und die „untere Siedlung” im Unterdorfe,  sowie im Mitteldorfe die Erweiterung der Bauvereinsiedlung.

Es war trotzdem nicht jedem möglich,  ein Haus zu bauen,  denn Leihkapital (Hypotheken) war knapp.  Die Spartätigkeit mußte nach der Inflation erst wieder einsetzen und das ging langsam,  weil die Leute das Vertrauen zu den Sparkassen und Banken verloren hatten. Es mußte mit hohen Zinssätzen angelockt werden,  dementsprechend waren auch hohe Zinsen zu zahlen,  wenn jemand Geld geliehen haben wollte.  Ungefähr 1927 waren die Zinssätze für Hypotheken von  12% und 10% auf 8%  zurückgegangen und 2 Jahre später auf 6%,  bis er schließlich auf 4½%  als Normalsatz längere Zeit stehen blieb.

Die folgenden Jahre aber - 1929 bis 1932 - brachten als Auswirkung der Weltwirtschaftskrise,  die sich auch in Deutschland bemerkbar machte,  einen Rückschlag im Wirtschaftsleben.  Auch in Sehma mußten Betriebe mangels Aufträge Arbeitskräfte entlassen.  Die Arbeitslosigkeit hielt einige Jahre an und hat manche Person hart betroffen.  Die Zahl der Arbeitslosen in Sehma schwankte,  betrug aber monatelang über hundert,  dazu eine noch größere Zahl an Teilbeschäftigte.

Das waren für viele Personen sorgenvolle Jahre,  insbesondere hatten die Siedler große Not,  neben dem Lebensunterhalt die Steuern und die Zinsen für die Hypotheken aufzubringen.  Die Arbeitslosen bekamen vom Staat Unterstützung für den Lebensunterhalt und Zuschüsse,  daß sie ihre Miete bezahlen konnten.

Im Verlaufe dieser Wirtschaftskrise sind aber auch viel Verluste im Geschäftsleben eingetreten,  manches Geschäft und manche Fabrik,  die nicht genügend Betriebskapital hatten,  sind eingegangen;  viele auch durch Vergleich oder Konkurs,  so auch einige in Sehma.

In dieser sorgenvollen Zeit waren die Menschen sehr bedrückt und hofften auf bessere Zeiten und suchten nach Mittel und Wegen,  die Zukunft besser zu gestalten.  Es war aber auch viel Zwietracht und Neid unter den Menschen.

In der Vielzahl der politischen Parteien spiegelte sich die Zerrissenheit des deutschen Volkes wieder.  In Wahlversammlungen wurden harte Kämpfe ausgefochten.  Die Nationalsozialistische Partei hatte unter den viel versprechenden Parolen  „Brechung der Zinsknechtschaft”  und  „Gemeinnutz geht vor Eigennutz”  viele Anhänger gefunden und gelangte am 30.01.1933 an die Macht.  Es entstand das sogen. 3. Reich und wenige Jahre später war wieder Krieg.

Im September 1939 begann der 2. Weltkrieg und endete am  8. Mai 1945 mit einer totalen Niederlage des deutschen Volkes.  Dieser Krieg war noch schwerer als der 1. Weltkrieg, vor allem grausamer,  weil die Zivilbevölkerung nicht geschont wurde.  Die Fliegerangriffe versetzten die Menschen dauernd in Unruhe und Angst.

Aus gefährdeten Gegenden wurden Teile der Bevölkerung evakuiert (umquartiert).  So kamen nach Sehma zunächst Leute aus dem Reinland,  später Berlin,  Hannover,  Pommern, Westpreußen,  Ostpreußen zur Einquartierung,  um im Erzgebirge Schutz zu finden.  Das war auch in den ersten Kriegsjahren der Fall.  Aber von 1943 ab waren wir auch der Gefahr ausgesetzt und hatten viel Fliegeralarm.

Am 11.09.1944 fand über Sehma und Nachbarorte ein Luftgefecht statt,  wobei ein Flugzeug abgeschossen wurde und in der Nähe des Pragerwaldes brennend abstürzte.  Der Flugzeugführer Uttfz. Günter von Weckstern aus Goldewin i. Mecklenburg konnte sich nicht mehr mit dem Fallschirm retten und verbrannte;  er wurde am 15.09.1944 auf dem hiesigen Gottesacker unter starker Beteiligung der Einwohnerschaft beigesetzt.

Bei dem gleichen Luftgefecht stürzten auch 2 amerikanische Flugzeuge in Crottendorf und ein weiteres Flugzeug in Neudorf oder Kretscham.

Am  13.02.1945,  also an dem Tage als Dresden zerstört wurde,  erfolgte am späten Abend ein Luftangriff mit Brand- und Sprengbomben auf die benachbarte Stadt Buchholz,  wobei 85 Gebäude beschädigt wurden,  dabei eine ganze Anzahl sehr schwer,  darunter auch die Kirche,  welche vollständig ausbrannte.  Dabei fielen auch einige Hundert Brandbomben auf Sehma,  glücklicherweise aber vorwiegend auf die Felder zwischen der Schlettauer Straße und dem Buchholzer Wald.  Dabei wurde die Pappenfabrik von Fa. A.E. Kunze betroffen,  welche am Ortsausgang in Richtung Buchholz steht.  Es brannte das Geschäfts- und Wohnhaus vollständig aus.

Eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung bildeten die Tiefflieger,  die hier 1945 auftauchten.  Deshalb wurden in einigen Fällen,  wenn zu Beginn oder während einer Beerdigung Fliegeralarm einsetzte,  die Leute vom Gottesacker nach Hause geschickt. Mitte April 1945 wurde vor dem Bahnhof Schönfeld-Wiesa ein Personenzug von Tieffliegern beschossen,  wobei mehrere Personen verletzt wurden bzw. tot waren. Darunter befand sich auch Postinspektor Max Heinrich aus Chemnitz (jetzt Karl-Marx-Stadt),  der seine Eltern in Sehma besuchen wollte,  er verstarb im Kreiskrankenhaus Annaberg und wurde am  19.04.1945 auf dem hiesigen Gottesacker beigesetzt.

Am 8. Mai 1945 fand der schlreckliche Krieg sein Ende und das deutsche Volk lag am Boden. Deutschland wurde von den Siegermächten in 4 Zonen geteilt und besetzt. Ein Friedensvertrag ist bis heute noch nicht geschlossen. Aus den amerikanisch, englisch und französisch besetzten Zonen ist die Deutsche Bundesrepublik (Westdeutschland) und aus der russischen (sowjetischen) Zone ist die Deutsche Demokratische Republik entstanden. Das deutsche Volk hofft bis heute vergeblich auf eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten.

Sehma hat aus dem 2.Weltkriege 132 Gefallene zu beklagen.  Eine Anzahl Soldaten werden noch vermisst.

Die ersten Nachkriegsjahre brachten auch noch viel Jammer und Elend.  Die hier einquartierten Ostpreußen usw. wurden wieder umquartiert nach Mecklenburg und Sachsen-Anhalt,  um hier den Flüchtlingsströmen aus Schlesien Platz zu machen.  Die aus der Tschecho-Slowakei ausgewiesenen Deutschen zogen,  soweit sie hier nicht unterkommen konnten,  weiter oder wurden gesammelt zu Transporten nach Thüringen und Bayern.

Die Versorgung mit Lebensmitteln war schlecht.  Es musste erst wieder alles neu organisiert werden und es waren auch nicht genügend Lebensmittel vorhanden. Transportmittel (Lastkraftwagen) standen nur wenige zur Verfügung,  sie wurden eingesetzt zu Lebensmitteltransporten aus Sachsen-Anhalt,  Mecklenburg usw.  Es waren Hungerjahre.  Für Geld konnte man nichts zusätzlich kaufen.  Deshalb fuhren viele Leute mit Tauschwaren (Kleider, Wäsche, Schuhe, Gebrauchsartikel u. dergl.) in landwirtschaftliche Gegenden in das Niederland oder Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg usw. um Lebensmittel einzutauschen.

Dies war sehr anstrengend und auch gefahrvoll,  es dauerte manchmal 2-3 Tage.  Es fuhren nur wenig Eisenbahnzüge und es gab unterwegs nicht zu essen.  Es sind dabei viele Tränen geflossen und manche Person ist dabei auch krank geworden.

Wenn hier Kartoffelernte war,  standen um das Feld herum die hungernden Menschen wie eine Mauer und warteten auf die Freigabe des Feldes zum nachsammeln und nachhacken. Das wiederholte sich jeden Tag von früh zeitig bis Eintritt der Dunkelheit.  Und in anderen Orten hat sich das Gleiche abgespielt.  Und trotzdem sind viele Menschen allmählich verhungert und aus Kummer gestorben.

Laut Kirchenbuch verstarben:

1937    22 Pers.
   
1942    27 Pers.
   
1947    66 Pers.
1938    26 Pers.
   
1943    32 Pers.
   
1948    50 Pers.
1939    39 Pers.
   
1944    35 Pers.
   
1949    51 Pers.
1940    35 Pers.
   
1945    79 Pers.
   
1950    31 Pers.
1941    31 Pers.
   
1946    60 Pers.
   
1951    27 Pers.

Eine Nachkriegserscheinung war auch,  daß die Eisenbahn ihre Lokomotiven nicht mehr mit Steinkohle,  sondern mit geringer Kohle heizen mußten.  Das verursachte einen Funkenregen,  wodurch viele Gebäude in der Nähe der Eisenbahn niedergebrannt sind,  so auch in Sehma,  am 2. April 1948 das Bauerngut Erich Nestler, Nr. 20, am 6. Juni 1949 (am 2. Pfingstfeiertag) das Bauerngut der Linda Lang, Nr.53 und am 5. April 1949 der Geräteschuppen auf dem Gottesacker.

Auch nach dem 2. Weltkriege vollzog sich eine Revolution.  Die kommunistische Partei übernahm die Macht und besetzte alle öffentlichen Stellen und leitenden Posten.  Die bisherigen Banken und Sparkassen wurden geschlossen und die Guthaben gesperrt.  Die Vereine wurden aufgelöst.  1948 wurde eine Währungsreform durchgeführt.  Das politische,  wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben hat ganz andere Formen angenommen als bisher.  Die private Wirtschaft tritt immer mehr zurück.  Wir haben heute einen sozialistischen Staat und deshalb steht die volkseigene Wirtschaft im Vordergrund. Diese politische Entwicklung zum Sozialismus mit dem Ziele zum Kommunismus ist z. Zt. im Gange und erstreckt sich auf alle Lebensgebiete,  nicht nur Politik,  sondern auch Wirtschaft,  Kultur und religiöses Leben,  davon sind alle betroffen.

In der Kirchturmkugel vorgefundenen  „Bericht über den Ort Sehma”  ist eine Zwirnerei und Garnbleicherei erwähnt.  Diese hat sich unter Leitung von Richard Küttner und Sohn Hugo Küttner zu einem großen Industriewerk entwickelt unter der Firma „Friedrich Küttner AG”.  Dieses Werk,  das heutige „VEB Garnveredlungswerk, (Werk 1) Sehma”,  war sehr einflußreich auf die ganze Entwicklung des Ortes Sehma.  Es beschäftigte in den 1930er Jahren über 1000 Arbeiter.

Eine andere Zwirnerei,  errichtet von Richard Schubert,  entwickelte sich zum zweitgrößten Betrieb im Ort,  unter „Firma Richard Schubert AG”,  später Agfa Wolfen, Zweigwerk Sehma wurden in derselben Zeit über 400 Personen beschäftigt.  Jetzt ist dieser Betrieb als Werk 1b dem VEB Garnveredlungswerk Sehma angeschlossen.

Eine Knopffabrik „Moritz Harnisch” hat Jahrzehnte viele Exportaufträge,  vorwiegend nach England, ausgeführt.  Diese Firma besteht seit einigen Jahren nicht mehr,  die Inhaber sind gestorben.  In diesen Räumen ist jetzt die Knopffabrik „Arthur Brand”.

In dem Bericht über den Kirchenneubau 1898/99 ist als Klempner beteiligt gewesen Ernst Böttger.  Dieser hatte seinen Handwerksbetrieb zu einem Emaillewerk ausgebaut.  In demselben unter „Firma Gebr. Böttger” wurden ca. 50 Personen beschäftigt.  Die Inhaber sind gestorben,  zwei davon vor dem 2. Weltkrieg.  Im 2. Weltkrieg ist der Betrieb eingegangen,  er hatte sich nicht auf Heereslieferungen umgestellt und hatte dadurch Materialschwierigkeiten.

Diese Gebäude wurden dann an eine Berliner Firma „Gorschalski & Co.” vermietet,  die einen Teil ihres dortigen Betriebes hierher evakuierte,  ein Akkumulatorenwerk.  Dieser Betrieb ist heute örtliche Industrie,  d.h. er untersteht dem Rat der Gemeinde.  Dieser Betrieb macht große Umsätze und hat einen weit verzweigten Kundenkreis;  es bestehen nur wenige solche Betriebe in der Deutschen Demokratischen Republik.

In dem ehemaligen Gasthof Erbgericht ist jetzt ein Fabrikbetrieb,  ein Posamenten- u. Konfektionsbetrieb unter „Firma Alfred Möckel & Co.”,  welcher viel Exportaufträge ausführt.  Ferner bestehen noch einige kleinere Betriebe:  „Wellpappenwerk Schubert & Co.”,  Filzschuhfabrik „Reinhard Riegel & Söhne”,  2 Etikettenbetriebe und Gravieranstalten „Richard Brand & Walter Wagler”,  sowie eine Kartonagenfabrik „Karl Jahn & Söhne”.

Der damalige Bericht erwähnt Mehlmahlmühlen,  diese bestehen heute nicht mehr;  die Brettmühlen (Sägewerke),  sowie die Holzschleiferei sind auch eingegangen.  Aber die Pappenfabrik in „Firma A.E. Kunze” besteht noch und zwar als Zweigbetrieb unter Firma „Pappen- und Kartonagenwerk Carolathal VEB, Werk III Sehma”.

Das Gorlnähen (Besatzartikel für Frauenkleidung) besteht nicht mehr,  wohl aber noch Posamentenfabriken.  Diese Fabriken bestehen auch nicht mehr als Privatbetriebe, sondern sind zusammen geschlossen zu einer Produktionsgenossenschaft.  Damals stand die Posamentenindustrie an erster Stelle und konzentrierte sich in der führenden Stadt des Obererzgebirges Annaberg.  Annaberg war neben Paris der zweitgrößte Welthandelsplatz dieser Branche.  Die zwei Weltkriege haben das alles verändert.  Heute steht in Sehma die Kunstseide-Veredelungsindustrie im Vordergrund.  Die Metallindustrie hat hier keinen Eingang gefunden.

Die Bauerngüter kann man nicht mehr als selbständige Güter ansprechen,  ein Teil davon besteht auch nicht mehr,  sondern ist aufgegangen in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft,  Typ III.  Die dort eingetretenen Bauern haben ihr Gut aufgegeben und haben ihr Vieh und die Felder in die Genossenschaft zur gemeinsamen Versorgung und Bewirtschaftung eingebracht,  sie selbst haben ein Arbeitsverhältnis in der Genossenschaft.

Ein Teil der Bauern hat sich zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft,  Typ I zusammengeschlossen.  Dort besteht die Stallwirtschaft noch individuell,  während die Feldbestellung unter gegenseitiger Hilfe geschieht,  wobei immer einige Güter zu einer Brigade eingeteilt sind.

Neu ist die  „MTS” (Maschinen-Traktoren-Station Sehma).  Diese hat Stützpunkte in Annaberg, Geyersdorf, Schlettau, Wiesa, Geyer, Oberschaar und Scheibenberg.  Mit Hilfe dieser staatlichen Einrichtung wird die moderne Technik bei der Feldbestellung und Ernte eingesetzt.

Neu ist auch die  „HO” (Handelsorganisation).  In diese,  wie auch in die Konsumgenossenschaft sind die meisten Ladengeschäfte übergegangen,  weil sie sich als Privatbetriebe nicht mehr halten konnten.  Der im früheren Bericht angegebene Warenverteilungsverein ist der spätere Konsumverein und heutige Konsumgenossenschaft.

Bei den Handwerkern haben sich auch Genossenschaften (PGH) gebildet,  wodurch nur noch ein Teil als selbständige Betriebe erscheinen.

Von ganz besonderer Bedeutung war der im Anschluß an den 2. Weltkrieg im Erzgebirge wieder aufgenommene Bergbau als Ausbeute der Besatzungsmacht nach Uran.  Der Bergbau wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht gelenkt und es standen auf dem Schachtgelände überall sowjetische Wachposten.  Der Bergbau stand im Wirtschaftsleben an erster Stelle und gab ihm ein besonderes Gepräge.

Es wurden die höchsten Löhne gezahlt und die Bergarbeiter wurden bevorzugt mit Lebensmitteln versorgt,  während die übrige Bevölkerung teilweise hungerte und die wenigen Lebensmittel auch noch teuerer bezahlen mußte.

Viele Tausend Bergarbeiter und Bergarbeiterinnen kamen ins Erzgebirge und wurden als Untermieter einquartiert.  Dies besorgte in jedem Ort ein Quartiermeister.  Außer den Flüchtlingen mußten in den Wohnungen auch noch die Bergarbeiter untergebracht werden. Deshalb wurden auch die Wohnungen besichtigt und es herrschte große Wohnungsnot, woraus sich viele,  viele Schwierigkeiten ergaben.  Die Zwangseinquartierungen haben sich nicht überall friedlich ausgewirkt,  manche Bergarbeiter benahmen sich oftmals sehr herrisch.

Es waren aber nicht alle Bergarbeiter so,  sondern es waren auch gute Menschen dabei, die ihren Quartiergebern ab und zu etwas Brot abgaben und auf diese Weise segensreich wirkten.  Es gab also in den Hungerjahren auch eine Anzahl Menschen,  die auf diese Weise von den „Brosamen lebten,  die von des Herrn Tische fielen”.

Die Bergbauzeit hat sich aber auch sittlich und moralisch ausgewirkt.  Unter Bergarbeitern waren auch solche Menschen,  die ihren guten Verdienst verpraßt,  versoffen oder verhurt haben.  Mancher von diesen hat hungernde Frauen und Mädchen mit Geld und Lebensmitteln für sich gefügig gemacht.  Viele Ehen waren gefährdet und so manche ist zerstört worden.  Dabei die Ehen der Bergarbeiter selbst,  die ihren in der Heimat verbliebenen Ehefrauen nicht treu blieben.  Nach ca. 5 Jahren normalisierte sich dieses Leben und Treiben allmählich wieder.

Seit ungefähr 1956 ist in unserer Gegend der Bergbau stark zurückgegangen und ist z. Zt. nur noch bei Schneeberg,  Niederschlema und in der Gegend von Ronneburg i. Thüringen. In Sehma selbst bestand nur kurze Zeit ein Schacht,  die einquartierten Bergarbeiter waren in Nachbarorten beschäftigt.

Die Einwohnerzahl von Sehma betrug nach der Volkszählung von 1910 3160 Personen und stieg bis zum 2. Weltkriege (1936-1939) auf ca. 3800.  Nach dem Kriege 1945-1950 stieg die Zahl auf ca. 4500-5000,  mit Bergarbeitern vorübergehend ca. 6000. Gegenwärtig, seit ungefähr 1958 schätzt man die Einwohnerzahl auf reichlich 4000 Personen.

Dieser Text befindet sich in der Turmkugel unserer Paulus-Kirche seit November 1962 und ist ein wörtlicher Auszug des vom gesamten Kirchenvorstand unterschriebenen Berichtes über die Kirchturmreparatur gleichen Jahres.


bearbeitet von pks