Die Schwedenkiefer

Von Schuldirektor i. R.
Friedrich Mahn


eider steht sie heute nicht mehr, die „Schwedenkiefer zu Sehma“. Sie war aber bis in die siebziger Jahre des vorvorigen Jahrhunderts hinein das alte, weit und breit bekannte und berühmte Wahrzeichen unserer Heimat.   "Sie war ein schönes und vertrautes Andenken an vergangene schwere Zeiten, um das es ewig schade ist."   So sagte zu mir erst neulich ein bejahrter Einwohner unseres Ortes. Als Kind war er mit seinem Vater ein manches Mal an diesem merkwürdigen Baume vorübergegangen. Der Weg, an dem die Schwedenkiefer stand, wurde in früheren Zeiten viel benutzt. Es war der „ Cranzahler Kirchsteig “. Auf dem pilgerten zu der Zeit, in der sie noch keine eigene Kirche hatten, die Einwohner unseres südlichen Nachbarortes, Sehmaer Fluren überschreitend, zur Schlettauer Mutterkirche. Das war vor 1536. Damals stand natürlich die Schwedenkiefer noch nicht. Aber 100 Jahre später reckte sie vielleicht schon ihre jungen Äste in die Lüfte, und bis zum heutigen Tage, an dem sie den Todesstreich erhielt, war sie ein gar stattlicher Baum geworden. Manche, die sie noch gesehen haben, schätzten ihren Durchmesser auf ¾ - 1 Meter. Und geheimnisvolle Dinge wußte man sich von ihr zu erzählen. Lassen wir es uns wieder von jenem alten Sehmaer berichten: "Mein Vater führte mich einst zur Schwedenkiefer und sagte: Siehst du, Junge, unter diesem alten Baume liegen Schweden begraben. Ein Schwede wurde sogar an dieser Kiefer gehenkt. Hier siehst du noch, tief ins Holz hineingewachsen, ein Stück Eisen, wie von einem Haken herrührend! Darum ist es hier an dieser Stelle auch „ nicht richtig “.

nheimlich ist es mir immer, wenn ich zu später Nachtstunde noch an diesem Baume vorüber muß, besonders dann, wenn die Windsbraut den hohen Wipfel der Kiefer beugt und dunkle Wolken gespenstisch am Himmel hinziehen. Da erscheinen die Geister der toten Schweden und treiben ihr Unwesen. Wie manches Geschirr haben sie hier schon aufgehalten, daß es nicht mehr von der Stelle konnte."

Und so, wie es der alte Sehmaer von seinem Vater erfahren hat, so war es tatsachlich bis in die letzten Tage der Schwedenkiefer. Halb scheu, halb ehrfürchtig gingen unsere Einwohner an diesem geheimnisvollen Baume vorüber, der einsam und allein auf weiter Flur stand. Ebenso ging es zahlreichen fremden Besuchern, die manchmal von fern herkamen, um den seltsamen Baum zu sehen, der an die Schwedenzeit erinnerte.

chwedenzeit! Da steht vor uns auf der Gedanke an den gräßlichen, grausamen Krieg vor 300 Jahren. Hatten die Dörfer und die Städte unseres Erzgebirges bis etwa zum Jahre 1630 Ruhe vor dem Feinde gehabt, so sollten sie jetzt die Kriegsschrecken um so schlimmer fühlen. Unsere Heimat kam von jetzt ab nicht mehr zur Besinnung, und besonders der Cranzahler Kirchsteig wurde ein Schauplatz kriegerischen Lebens. Er sah zuerst den gefürchteten Reitergeneral Holck mit seinen wilden Scharen heranziehen. Was der brachte, war nichts als Verwüstung, und was er zuruckließ, nichts als Schutt und Asche. Drei Bauernhöfe gingen damals in Flammen auf. Sie waren von den entmenschten Horden bloß angezündet worden, damit sie im Dunkel der Nacht sehen konnten. Und ein Bauer, der den Holckischen nicht gleich willfährig war, wurde k u r z e r h a n d niedergeknallt. "Wie es da mit Plündern, Schinden, R ä d e l n , M o r d e n zugegangen ist, ist mit der Feder nicht genugsam zu beschreiben." So klagt der Chronist.

en Scharen Holcks auf dem Fuße folgten die Kroaten. Unsere Bauern kannten sie und fürchteten sie, diese wilden Gesellen mit dem schwarzen, straffen Haar, den hohen Umschlagstiefeln und dem bunten Wams, die sporenklirrenden Reiter mit dem breiten, federgeschmückten Hute. „ Kravaten “ wurden sie hier im Gebirge genannt, und dieser Name ist mit blutigen Schriftzeichen in die Geschichte unserer Heimat eingegraben. Der Gipfelpunkt aller Leiden wurde aber erst erreicht, als mit dem Jahre 1639 das „ schwedische Elend “ über unser armes Gebirge hereinbrach. Mit Weib und Kind und Vieh flüchteten die Sehmaer Bauern hinaus in die Wälder, derweil die Schweden auf den westlichen Anhöhen lagerten, wo heute der „ Einschnitt “ zu friedlichem Spaziergange einladet. Schauerlich leuchteten in der Nacht die schwedischen Wachtfeuer in den ruhelosen Ort herein.

in besonders trauriges Jahr war für unsere Heimat das Jahr 1645. Da hauste in unserer Gegend „ Torstenson “, der kranke Schwedenführer. Von seinen rohen Horden wurde am 20. Januar unser Erbgericht samt Scheunen und Ställen eingeäschert. Doch damit nicht genug des schrecklichen Unglücks. Am nächsten Tage wurde auch der Obermühle der rote Hahn aufs Dach gesetzt. Sie brannte bis auf den Grund nieder. Wer wagte da, noch daheim zu bleiben. Wer nicht schon in den Wäldern draußen Zuflucht gesucht hatte, der eilte nach Cranzahl, was seine schlimmste Zeit schon hinter sich hatte. So war unsere gute Heimat von Jahr zu Jahr friedloser geworden. Auch das nächste Jahr brachte feindliche Scharen in Massen. Beim Durchzug des schwedischen Generals Wrangel waren hier Artillerie und Gepäckmannschaften einquartiert. Als der Feind dann nach Schlettau weiterzog, da geschah etwas Seltsames. Einen Soldaten, einen "dicken, mürrischen Kerl mit schwarzem Haar", ereilte sein Schicksal, er wurde an einem Baume aufgeknüpft. Ob's unsere Schwedenkiefer ist?

it einigen anderen Raubgesellen hatte der Soldat an einem Teiche der Fische wegen den Damm abgegraben, und die nachkommenden Kanonen blieben   i n f o l g e d e s s e n   im Schlamme stecken. Später vorüberziehende Bayern sahen den Leichnam des Schweden an dem Baume. Sie hoben ihn herunter und ließen ihn liegen. Da kamen in der Nacht Bauern und schnitten dem Toten beide Daumen ab und in der nächsten Nacht noch sämtliche Finger. Nach dem Glauben der damaligen Zeit waren sie nun vor aller Zauberei und vor menschlicher Tücke gesichert. Dies merkwürdige Ereignis war eins der letzten in unserer Gegend während des großen Krieges.

chwer, ach schwer hatte die Faust des Feindes auf unserer armen Heimat gelegen. Ihre Felder und Wiesen ringsum glichen einer Wüste, und die wenigen Einwohner, die ihr nacktes Leben in die Friedenszeit hinüber gerettet hatten, dachten noch lange mit Schmerz und Trauer an die hinter ihnen liegenden Schreckensjahre. Auch in den nächsten Jahren noch wurden unsere Einwohner an die mannigfaltigen Kriegsvölker erinnert, die unsere Heimat unsicher gemacht hatten. Manch einer von den ehemaligen Feinden mag nicht in seine Heimat zurückgekehrt sein. So wissen wir von zwei schwedischen Offizieren, die hier verwundet, hier geblieben und später auch hier gestorben sind. Sie wurden sogar der Ehre teilhaftig, in unserem ersten Gotteshaus bestattet zu werden, das zwei Jahrzehnte nach dem großen Kriege erbaut wurde. Als dann diese Kirche, nach über 200 jährigem Bestehen alt und baufällig geworden, im Sommer 1898 abgetragen wurde, fand man noch Reste von den Leichen der beiden schwedischen Offiziere. Sie wurden alsdann im Innern der neuen Kirche wieder dem Schoße der Erde übergeben.

on der Schwedenzeit zeugen aber auch noch andere wichtige Funde. Im Jahre 1889 wurde die zweite Bahnlinie, die unsern Ort berührt, vollendet, die Linie Schwarzenberg-Annaberg. Da wurde draußen im heutigen "Einschnitt", wo schwieriges Gelände zu bewältigen war, der Boden durchwühlt und das Unterste zu oberst gekehrt. Hierbei wurde eine große Menge schwedischer Hufeisen zu tage gefördert. Ein solches Hufeisen fand auch mancher unserer Landwirte bei seiner schweren Feldarbeit, und wenn er Sinn für geschichtliche Dinge hatte, bekam es irgendwo in der Wohnstube einen Ehrenplatz. Noch mehr Aufsehen erregten in unserem Orte Funde von Pferdegerippen, von Säbeln, die beim Bau von Wohnhäusern ans Tageslicht gezogen wurden. Sie sind nichts anderes als Überbleibsel aus der Schwedenzeit des Dreißigjährigen Krieges. Unsere Heimat weiß aber auch noch von einer anderen Schwedenzeit und von einer neuen Schwedenangst.

ie Schweden kommen wieder ins Land!
So hallten abermals Jammerrufe durch die sächsischen Gaue. Das war zur Zeit August des Starken. Als König von Polen war er in den Nordischen Krieg verwickelt worden, den Rußland, Polen und Dänemark gegen Karl XII. von Schweden führten. In raschem Siegeszuge warf der Schwedenkönig alle seine Gegner nieder, eroberte Polen, setzte August den Starken ab und drang nach Sachsen herein, besonders auch in unser Erzgebirge. Am 27. November 1706 marschierten Schweden von Marienberg her, Leute aus dem Regiment des Generalmajors Sparr. Armselig, zerrissen und zerlumpt gelangten sie in Buchholz an. Ein beträchtlicher Teil davon wurde nach Sehma verlegt. Ehe die Schweden aber hier ankamen, waren schon viele Sehmaer im Gedenken an die Greuel des Dreißigjährigen Krieges geflüchtet. Diesmal jedoch war die Angst unserer Einwohnerschaft unbegründet ; die Schweden hielten auf gute Manneszucht.    Trotzdem

rotzdem wurde unsere arme   H e i m a t   gar arg mitgenommen. Es ist kaum zu glauben, welche Mengen an Lebensrnitteln und Futtermitteln sowie an Geld unserer Bevölkerung abgezwungen worden sind. Darum war auch alles heilfroh, als am 23. August 1707 die schwedische Besatzung unseren Ort verließ und den Rückmarsch aus dem Erzgebirge antrat. Frisch, gesund, ausgefüttert und neu gekleidet zogen die ab, die 9 Monate vorher wie die Zigeuner angekommen waren. Wieder einmal hatte unsere Heimat schwere Opfer gebracht, Opfer für ein landfremdes Volk, für die Schweden.

nd unsere Schwedenkiefer! Wieder spielt sie eine Rolle, auch in dem Nordischen Kriege! Abermals mußte ein Schwede an diesem Baum sein Leben lassen. Er wurde von seinen eigenen Leuten gehenkt., weil er gegen Manneszucht gefehlt hatte. War's da ein Wunder, wenn die Schwedenkiefer in weitem Umkreise hohes Ansehen genoß. Sie war Zeuge schwerer Zeiten, die über unser Dorf dahingegangen sind. Und   d a r u m   ist es jammerschade, daß sich jemand gefunden hat, der die Axt an diesen durch die Geschichte geheiligten und geweihten Baume gelegt hat.

er Mann aber, der das fertig brachte, war in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Besitzer des Gutes, auf dessen Grund und Boden die Schwedenkiefer stand. "Traugott Meier" hieß er. Was war der Beweggrund zu seinem Handeln? Lockte ihn der klingende Gewinn, den er aus dem gesunden Holze des gewaltigen Baumes zu lösen hoffte? Oder war ihm dies lebendige Mal im Wege? Lange trug er sich mit dem Gedanken, ehe er zu unheiliger Tat schritt. Eines Tages aber war's geschehen. Im Verein mit Zwönitzer Waldleuten hatte er vom Morgen bis zum Nachmittag mit Axt und Säge saure Arbeit geleistet. Da war er denn krachend zu Boden gestürzt, der riesenhafte Baum. Aber im Fallen hatte ein Ast die Backe des Holzfällers gestreift. Seitdem kränkelte der Mann, und in wenigen Jahren fällte auch ihn der Tod.

s ist nicht verwunderlich, wenn sich auch die Sage dieser merkwürdigen Begebenheit bemächtigte. Sie weiß zu berichten: Nicht der fallende Baum war's, der den Holzfäller verletzte, nein, ein leibhaftiger Schwede, der dem Frevler eine regelrechte Ohrfeige verabreichte. Nicht umsonst hieß es, daß es bei der Schwedenkiefer "Nicht richtig" sei. Lange, lange lag die gefällte Schwedenkiefer im Hofe des Bauerngutes, und niemand wagte es, sich an ihr zu vergreifen. Erst als einmal eine Zeit der Holznot kam, war's um den wertvollen Stamm geschehen. Und draußen, wo   e i n s t   die Schwedenkiefer gestanden hatte, da war's so seltsam leer. Im Jahre 1912 setzten Geschichtsfreunde eine neue Schwedenkiefer. Sie ist verdorrt. Seitdem die Schwedenkiefer gefällt wurde, ist vollends noch aller Segen von diesem Fleckchen Erde gewichen.

Friedrich Mahn
4. Dezember 1929

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