V or dem Erbgericht gab es ein so genanntes walzendes Gericht der niederen Gerichtsbarkeit. Über die Schock- Steuerlisten des Jahres 1562 und die Kaufverträgeinitial mit den Nummern 87, 195 und 206 des Gerichtsbuches des Amtes Grünhain lassen sich die damaligen Erbrichter zu Sehma namhaft machen. Der Richter war erster Mann im Dorfe. Ersterwähnter Richter zu Sehma war Simon Flohrer. Er amtierte von 1562-1593. Ihm folgte Wolff Claußnitzer, der im Amtserbbuch von 1593 als Richter zu Sehma erwähnt ist, nach.
I m 30jährigen Kriege (genauer: im Jahre 1640) brannte des Anwesen ab. Die beiden damaligen Richter Christoph Kluge und Michael Beyer werden wohl ihr Amt in einem anderen Gebäude ausgeübt haben. Denn aus den Einträgen des Kaufbuches folgt, dass unter dem 21. Martij 1654 dem Hanß Feig das Erbgericht zugeschlagen worden ist. Der Erbrichter Hanß Feig (1654-1685) verdient auch deswegen besondere Erwähnung, weil er den Bau unserer alten Kirche mit all den schwierigen Verhandlungen mit der Mutterkirche Schlettau sehr vorangetrieben hat. Er stellte auch den Bauplatz für die Kirche und den Friedhof zur Verfügung.
D as Erbgerichtsgasthaus hieß in früheren Zeiten Kretscham . Darauf geht auch der Name Kretscham-Rothensehma, ein Ort ganz in der Nähe, zurück. Zur Gasthofsgerechtigkeit gehörten "Gästesetzen, Bier- und Branntweinschank, Beherbergung von Reisenden, Ausspann und Einstellen von Pferden und sonstigem Vieh, Krippensetzen für Fuhrwerkspferde, Ein- und Verkauf von Hafer und Heu". Zwischen dem Erbrichter Hanß Feig und der letzten Erbrichterfamilie Bretschneider amtierten 9 Erbrichter in Sehma.B eim Erbrichter Christopf Burkert (um 1780) wurde außerdem ein Zollhaus erwähnt. Auf einer Zeichnung der Dorfmitte von Wilhelm Muth von 1855 ist das Zollhaus etwas südlich der Erbgerichtsscheune zu sehen. Es brannte 1893 ab. Die Erbgerichtsscheune riss man 1959 ab und baute an ihrer Stelle ein Buswartehaus mit einem Zeitungsladen und einem Telefon. Die Fleischbank (Fleischerei) wurde meist von Pächtern betrieben. Aus dieser Fleischbank ist die Fleischerei Eduard Oelmann hervorgegangen. Das heutige Café Geißler in diesem Gebäude betreibt sein Urenkel. Z um Erbgericht gehörte auch die Erbgerichtsschmiede. Sie war an die Fleischbank angebaut. Heute wird dort ein Autozubehörhandel betrieben. Der letzte Schmied hieß Langer; er baute sich später eine eigene Schmiede schräg gegenüber dem Rathaus. Diese Schmiede wurde zuletzt von drei Generationen der Familie Schmiedel geführt. D as Erbgericht war auch eine Zeit lang Oberförsterei. Schon 1696 wurde ein Sehmaer Oberförster namens Johann Ernst Schuberth erwähnt. Die Oberförster Hugo Müller und Gottschalk wohnten im 19.Jahrhundert im Obergeschoss des Gutsgebäudes. Später wurde die Oberförsterei nach Cranzahl verlegt und von dort aus nach Neudorf. U nser Erbgericht war einst das Herz der Gemeinde. Alles wurde hier zur Sprache gebracht, was den Einzelnen und die Dorfbevölkerung anging. Es gab noch kein Rathaus. Dem Erbrichter war die niedere Gerichtsbarkeit unterstellt. Das hohe Gericht hatte seinen Sitz im Schloss Schlettau. Sehma hatte einen eigenen "Dingstuhl" - was nicht für jedes Dorf galt. Im Amtserbbuch von 1593 heißt es wörtlich: "Habenn einen Eignenn Dinkstuell, und sollen jährlich, so ferne es Von nöthen oder dem Ambt gelegen, des orths dray gerichtte gehalten werden". Einen "Dingstuhl" bedeutet, einen eigenen Galgen und einen Pranger zu haben. Nach den Aufzeichnungen des Ortschronistes Friedrich Mahn stand er auf dem Schulberg. Der liegt an der Bahnlinie Bärenstein, hinter dem Gemeindewald, an der alten Salzstraße in Richtung Rothensehma. Auch ein Ehe- und Hegegericht gehörten zum Erbgericht. Dem Erbrichter standen zur Unterstützung der vielseitigen Arbeit mehrere Gerichtsbeisitzer und so genannte Schöppen zur Verfügung. Als Gerichtsschreiber amtierte der Schullehrer des Dorfes. Der Amtmann von Grünhain war der Vorgesetzte. S eit dem Inkrafttreten der Landgemeindeordnung von 1838 war der Erbrichter kein Gemeindeoberhaupt mehr. Seine Funktion war nun das Orts- und Friedensrichteramt. Es fand eine strenge Trennung zwischen Gerichtsbarkeit und Verwaltung statt. Die Dorfleitung übernahm der Gemeindevorstand im Gemeindeamt. Der Erbrichter Christian Gottlob Bretschneider und sein Sohn Carl Oskar Bretschneider, der letzte Erbrichter, waren keine Gemeindeoberhäupter mehr sondern nur noch als Richter im Amt. Der Sohn des letzten Erbrichters, Max Feodor Bretschneider, hat die Gastwirtschaft bis zu seinem Tode im Jahre 1933 geführt. Danach verpachtete seine Witwe Minna verw. Bretschneider die Gastwirtschaft an den Gastwirt Max Kaltofen aus Raschau. Er war Pächter von 1934 bis 1940. I n den Jahren 1940-1946 wurde das Gebäude als Kriegsgefangenenlager genutzt. Die Gefangenen kamen aus Frankreich (1940), aus Serbien (1941) und aus Russland (1943). Zu Zeiten der Wismut AG wurde der Saal für die Wismutarbeiterinnen genutzt. 1946 kaufte Johannes Alfred Möckel das Gasthofsgebäude und richtete eine Posamentenfabrik mit Handel ein, die nach der Gewerbeanmeldung vom 2.9.1948 als Möckel & Co. OHG firmierte. V om 1.3.1956 an wurde die Firma Möckel von der Tochter des Gründers, Johanna Schinz, als einzelkaufmännisches Unternehmen weitergeführt. Man beschäftigte sich mit der Herstellung von modischen Weißwaren und Posamenten. Ab 1958 wurde das Unternehmen mit staatlicher Beteiligung unter der Leitung von Kurt Heinrich Schinz weitergeführt. A m 10.4.1972 wurde der Betrieb zum VEB Kinderbekleidung umgewandelt. Betriebsdirektor blieb Heinrich Schinz. Eigentümer des Gebäudes wurde der Staat. 1990 übernahm die Treuhand das Unternehmen. Es folgte die Umwandlung in die Bekleidungs-GmbH Sehma, die ab 1991 S&W Moden Bekleidungs- und Vertriebs-GmbH hieß. Eigentümer waren Hans-Jügen Wiendlocha und Dr. Peter Schinz bis 1995. Im September 1996 wurde die Firma geschlossen und später das Grundstück versteigert.
Nach Jahren des Verfalls begann im Dezember 2000 der Abriss durch die neue Eigentümerin, eine Supermarktkette.
D as Wirtschaftsgebäude wurde später von der Erbengemeinschaft Bretschneider an ein Industrieunternehmen verkauft und zu industriellen Zwecken umgebaut. Von dem einstigen historischen Kern (Gewölbedecken mit Schmuck- elementen) blieb nichts mehr übrig. M it dem Abriss des Erbgerichtsgebäudes ist in Sehma wieder ein Kapitel historischer Ortsgeschichte zu Ende gegangen. |
bearbeitet von pks |