Bäckerinnung 1552 -1927
Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis!
375 Jahre, eine Spanne Zeit, die man sich kaum vorstellen kann. Ach, wie gerne möchte man doch einmal etwas aus längst vergangenen Zeiten hören, wohl fast jede Person denkt so. Denn wie schnell vergeht die Zeit und mit ihr geraten geschehene Ereignisse in Vergessenheit. Heute ist ein Festtag in der Geschichte der Innung ! Und wie man an einem Festtage ausruht von des Tages Arbeit und Rückblick hält auf die verflossene Woche, so wollen auch wir einmal zurückschweifen in längst vergangene Zeiten!
Es gibt ein schönes Bild: Ein Wanderer sitzt an einem Abend auf einer Bank, Laubwald umgibt ihn, ein munteres Bächlein springt mit seinem Silberglanz von Stein zu Stein. Goldne Abendsonnenstrahlen durchleuchten die Lichtungen des Waldes. Blätter fallen leicht von den Bäumen, leiser Wind setzt ein, der Wald erzählt mit seiner Sprache. Der Wanderer sitzt mit geschlossenen Augen in Gedanken versunken und hört der Erzählung des Waldes zu. Vor seinen Augen ziehen Bilder vorüber, die er noch nie gesehen. So wollen auch wir es tun, wie jener Wanderer, einmal ausruhn und in Gedanken versunken zuhören, was uns die Bücher und Schriften der Innung erzählen.
Gründung der Innung zu Sankt Catharinenberg:
Vor 400 Jahren war es, wo die Anfänge der Innung einsetzen. Anders als heute sah Buchholz aus. Wir müssen uns das Städtchen auch etwas näher betrachten, um die Ereignisse besser verstehen zu können. Keine schöne Talstrasse, sowie Eisenbahn durchzog das stille Tal, nichts von Telephon- und Elektrischen Drähten war damals zu sehen.
Keine Brücke in dieser Grösse, wie sie heute steht, verband Ufer mit Ufer, nichts von Häuserreihen am Osthange der Sehma. Auf den Strassen wälzten sich nicht Krafträder und Kraftwagen. Aber Wagen, schwer bepackt, gezogen von vier Pferden, sah man oft, vor allem in den Höfen der beiden Mühlen.
Man schrieb des Jahr 1534. Die Bücher berichten: Viel Not bereitete den Richtern und Schöppen die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Versorgung der Stadt mit Brot und Fleisch.
Die Bäcker litten unter der Konkurrenz von Annaberg und anderen Orten der Umgebung, hauptsächlich aber unter dem Wettbewerb der eigenen Müller. Unter diesen Umständen ging das Handwerk immer mehr und mehr zurück. Und wurde so für die Stadt eine recht ernste Lage. Deshalb verordneten 1534 die Räte der Stadt, man soll sich in Allem nach den Handwerksgenossen in Annaberg richten, dann könnte es nicht den Anschein gewinnen, als ob man in Annaberg billiger und besser bedient würde. Die Bäcker, die den Bedürfnissen der Einwohner nicht genug entgegen kamen, sollen angehalten werden, dass sie auch Pfennig und 2er Pfennig Brote backen.
Trotzdem fanden 1535 die Kupfürstlichen Räte aufs Neue Unordnung mit Beziehung auf das Backen.
Ja es scheint, als wollte der Konkurrenz der Bäcker in Annaberg und der Müller im Orte halber sich überhaupt kein Bäcker in Buchholz niederlassen. Aus diesem Grunde suchte man nach 2 fremden Bäckern, welche sich in Buchholz ansiedeln sollten. Auch verbot man den Einwohnern, nirgendwoanders als in Buchholz ihr Brot zu kaufen. Die Müller selbst durften in ihrer eigenen Stadt keine Ware umsetzen.
Dieses Verbot wurde genau überwacht und bei hoher Strafe gesühnt.
Hieraus ersehen wir, welche Zustände geherrscht haben. Sollten diese Übelstände nicht zu beseitigen gehn? So sagt sich ein Meister mit Namen Guntlach. Er glaubte durch gegenseitiges Einvernehmen und Hand-in-Hand arbeiten mehr zu erreichen, als mit toten, auf Papier geschriebenen Bestimmungen. Er setzte seine Gedanken in die Tat um und versuchte ein Gemeinschaft der Bäcker herbeizuführen. Es gelang ihm auch, mit Ausnahme der Müller.
Ja, man kam so weit, dass man sich einen Stempel und eine Lade anschaffte. Der Stempel ist noch vorhanden und trägt die Jahreszahl 1540. Aber es schien wie mit einer jungen Pflanze zu sein, welche im Winde hin und her schwankt und immer umzuknicken droht.
Nach 12 Jahren erst, war es möglich, festen Grund zu finden und eine Innung zu gründen, in welcher alle Bäcker und Müller sich zusammenfanden. Man strebte darnach, dem Pfuschhandwerk entgegenzutreten, indem ordnete Lehrverhältnisse schaffen zu wollen, umso das Handwerk zu heben und zu jenem gesegneten für die Stadt und die ganze Einwohnerschaft zu machen.
Das Werk war begonnen, nun baten sie: „Kröne mit Segen, oh Höchster das Werk!“
Die Innung im Laufe der Jahrhunderte:
Die Zunft war geschaffen, nun hiess es auszubauen und immer zu verbessern, wo man konnte. Eigentlich recht sonderbare Umstände sollten dazu beitragen, bestimmte Formen und Gebräuche aufzunehmen. Der Silberbergbau war es, der angesehene Bürger der Stadt Nürnberg nach hier brachte. Durch sie erfuhr man, von dem Zunftwesen der bayrischen Stadt. Sie waren es, welche die Gebräuche und strengen Sitten auch nach hier verpflanzten. Ihre Erzählungen fanden Anklang, man fand Wohlgefallen an Allem und nahm schliesslich die Formen auch hier auf. Die Innung, welche aus den Meistern:
Franz Rudel, Joachim Guntlach, Barthel Bach, Hermann Nickel (Müller), Hans Beck (Müller), Oskar Rossel,
bestand, wählte zunächst ein Oberhaupt und dessen Stellvertreter Nickel (Müller), sowie Hans Beck (Müller) und nannte sie Vormeister.
Die schriftlichen Arbeiten erledigte Joachim Guntlach. Er wurde Herr oder Handwerksschreiber genannt. Als Lehrgeld zahlte der Lehrling 3 Gulden und lernte 1 Jahr. Man sah jedoch, dass die Lehrzeit viel zu gering war, um tüchtige Handwerker zu erziehen. So berichten die Bücher später von einer 5 jährigen Lehrzeit. Diese hohe Zahl wurde dann um ein Jahr verkürzt und heute lernt man gesetzlich nur noch 3 Jahre. Nicht jeder konnte und durfte das Handwerk erlernen, er musste nachweisen können, dass er ehrlich geboren. Alles was beschlossen, alles was geschah, ob Lehrlingsaufnahme oder Losspruch, geschah im Beisein eines Kurfürstlichen Senators, oder einer Amtsperson.
Das grösste Heiligtum war, so wie heute noch, die Innungslade, welche erst geöffnet sein musste, ehe man Aufnahmen oder Beschlüsse fassen konnte. Als grösste und heiligste Pflicht galt es, die Lehrlinge und Gesellen immer zum wahren Glauben und Gottvertrauen anzuhalten; so trat nun euch nach einigen Jahren eine merkliche Besserung in der Brotversorgung der Stadt ein.
Jahre um Jahre vergingen, man lebte zufrieden und glücklich. Doch schon der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts stand unter dem Drucke nahenden Kriegsunheils. Noch konnte man 1670 in Frieden das Reformationsfest feiern.
Nun aber brach 1618 in Böhmen ein unglückliche Krieg aus, der mit seinem Wellenschlag das Erzgebirge, St. Katharinenberg und auch die noch junge Innung traf. Viele Jahre kam man wahrscheinlich nur heimlich zusammen und schrieb auch von allem nichts auf. Um Einzelheiten über diese Zeit zu erlangen, müssen wir zu alten Stadtchroniken greifen
1631 kamen Truppen und man musste für Verpflegung sorgen. 1632 war es kaum noch möglich, zu reisen, oder Nahrungsmittel aus den Niederlanden herbeizuschaffen, wegen der umher schweifenden Soldaten. Ungeheure Kriegslasten mussten bezahlt werden, so musste z.B. Annaberg für eine Nacht an Wachtmeister Günterot vom Kluppsehen Reiterregiment, 1000 Gulden bezahlen. Doch noch schlimmer sollte es kommen. Am 20. August, an einem Montag, wo der gefährliche General Holk mit seinen Truppen in Annaberg einzog! Sein Kommen verriet der Qualm der westwärts gelegenen Orte.
In banger Todesangst zitterten die verzagten Einwohner. Wer fliehen konnte, floh! Während der Stadt Annaberg eine unerwartete Hilfe zugute kam, nämlich eine Frau Sidonie von Hassenstein, welche von Böhmen nach hier geflohen war und welcher der hartherzige General zur Dankbarkeit verpflichtet war, wegen Samariterdienste, die sie ihm früher geleistet hatte, sie bat um Schonung der Stadt, was auch geschah! Jedoch für Buchholz sollte es die schlimmste Zeit werden.
Die Plünderungen von Buchholz war freigegeben und wurde in rohester Weise ausgeführt. Das Getreide zertraten sie, das Vieh trieben sie fort. Häuser riss man ein und verbrannte das Holz zu Wachtfeuern. Brot, Eier und alle Bedürfnisse wurden durch Marketender weggeführt, sodass bald Brotmangel eintrat. Nach Wochen verliessen diese Unholde unsere Gegend. Aber immer und immer kamen Truppen hierdurch und forderten Verpflegung.
1643, Weihnachten stand vor der Tür. Keine schöne Weihnachtsfreude. Denn Schweden nahten, raubten und plünderten und nahmen alles Brot weg, insgesamt 50.000 Pfund und schleppten es mit 24 Fass Bier auf 60 Wagen nach Freiberg. Nach 5 Jahren erst, 1648, trat wieder Ruhe ein, nachdem das letzte Gefecht bei Thum stattgefunden hatte.
Heute noch heisst das Schlachtfeld „das Elend“. Ein Aufjauchzen ging durch die Bevölkerung als man von dem Friedensschlusses erfuhr. Der Stadtschreiber schreibt: „ Herr, Du hast Deinem Volke Hartes erzeuget, kehre nun wieder und sei Deinen Knechten gnädig! Erfreue uns wiederum, nachdem wir so lange Unglück litten. “ Und überall hörte man: „ Nun danket alle Gott “ aus dem Munde schallen.
Nach und nach hob sich auch durch grosse Arbeit das Elend, welches eingetreten, wieder! Auch unsere Innung, welche ganz am Boden lag, begann neu aufzubauen. Am 24. August 1663 fertigte man neue Artikel an, welche sich heute noch im Ratsarchiv befinden. Der wichtigste Inhalt ist folgender: Einheimische und Fremde mussten vor Erlangung des Meisterechtes zwei Jahre in Buchholz als Geselle arbeiten.
Söhnen und Schwiegersöhnen von Meistern stand die Wanderschaft Frei. Sie waren dazu nicht gezwungen. Hatte der Werbende seine ehrliche Geburt Nachgewiesen, so wurde er zum Meisterstück, welches aus dem Backen eines Schuss Brotes und Semmeln bestand, gebacken in einem fremden Ofen, zugelassen. Gegen Erlegung von 8 Gulden, 4 davon dem Handwerk und der Stadt zufliessend, und Aufrechterhaltung eines Meisteressens, wobei der Krug Bier dem Obermeister überreicht wurde, erlangte er das Meisterrecht. Selbiger Bierkrug wird heute noch aufbewahrt und ist überdies ein kunstvolles Stück Handarbeit.
Meistersöhnen war das Meisterstück erlassen. Der jüngste Meister hatte die Versammlung einzuladen, diese wurde nur 11 Uhr vormittags abgehalten. Wer nicht erschien, wurde bestraft. Wurde ein gelernter Bäckergeselle bei einem Pfuscher in Arbeit angetroffen, so musste er für die verbrachte Zeit 6 Groschen bezahlen. Der Lehrling hatte 10 Gulden an Lehrgeld zu entrichten. Die Gesellen hielten sich zur Meisterlade, sie hatten zu jedem Quartal 1 Groschen zu zahlen und erfreuten sich dafür des Handwerkschutzes, sowie eines ehrlich bestelltem Begräbnisses im Todesfalle. Dasselbe bezieht sich auch auf die Meister.
Von vielen Todesfällen berichten die Akten, und zwar vom Jahre 1680, wo die Pest viele Menschen hinwegraffte. In jener Zeit scheint wohl die erste Begräbnisse errichtet worden zu sein, denn wir lesen oft von Witwenunterstützungen.
Fast 100 Jahre später, 1761, zog wieder Kriegsvolk hierdurch und musste verpflegt werden. Nachdem der Friede wieder eingezogen war, begannen schon wieder neu Leiden. Dunkle Wolken, Regen und immer wieder Regen, verursachten Misswuchs und immer näher kam ein furchtbares Gespenst, der Hunger!
1771 bis 1772 sind die grössten Hungerjahre, die unsere Innung mit erlebte. Von Haus zu Haus zogen ganze Scharen und baten um ein Stück Brot, jedoch erfolglos. Das unreine Vieh machte man sich zur Kost, die Folgen davon waren Krankheit und Tod. Kaum waren einige Jahre zurückgelegt, als schon wieder finstere Gewitterwolken am politischen Horizont auftauchten. Es entbrannten die Befreiungskriege, wo man wieder Truppen sah.
Nach Jahren kam nun auch ein segensreiches, das Jahr 1845, in welchem am Konstitutionsfeste, das seit 1832 gefeiert wurde, die erste Fahne, geschaffen aus eigenen Mitteln, nicht aus der Innungskasse, geweiht wurde. Nun war ein Symbol geschaffen, um das sich alle scharten und das uns fast 100 Jahre schon im Winde voran flattern sollte.
1852 ! Ein grosses Innungsfest sollte gefeiert werden, man hatte das 1 Quartalsbuch von 1552 gefunden und das 300 jährige Jubiläum wollte man nicht sang-und klanglos vorüber gehen lassen. Alles war in bester Ordnung. Die Ausschüsse hatten ihre Arbeit schon lange aufgenommen und standen bald am Ende. Das Fest konnte beginnen. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten und das Unglück schreitet schnell. Auch hier sollte sich das Sprichwort wieder bewahrheiten!
Ein heisser Sommertag, erdrückend war die Hitze, alles zog sich zurück, um im Schatten auszuruhen, selbst die Tiere. Vögel waren selbst kaum noch zu sehen, einige Hunde leckten aus den Brunnen, um den brennenden Durst zu löschen. Die vereinzelten Menschenschritte hallten auf dem Pflaster der Stadt, wie die schlafend und seltsam stumm vor uns lag.
Da plötzlich ein erschreckender Ruf! „Feuer“. Köpfe schauten aus den Fenstern, schon sah man mächtige Rauchwolken in der Nähe des Marktes emporsteigen. Menschenrufe, Hilferufe, Hundeheulen, das Rasseln der alten Feuerspritzen war zu vernehmen. Mit Leitern und Eimern sah man die Einwohner das furchtbare Element bekämpfen, doch sie waren alle zu schwach. Schon in kurzer Zeit standen 27 Häuser in Flammen. Darunter das Haus des Obermeister Louis Müller, in welchem sich auch alle Innungsgegenstände befanden.
Nur dem alten Meister, der selbst seine Frau und Kinder vergass, auch sein Hab und Gut stehen liess, um erst die Innungsgegenstände zu retten, ist es zu verdanken, dass sie sich heute noch in unserem Besitz befinden. Das Fest musste man verschieben und konnte es auch im Herbst, in welchem noch einmal grosse Not über die schwer heimgesuchte Stadt hereinbrach, verursacht durch grosse Wolkenbrüche, nicht abhalten. Erst 1855 wurde es auf folgende Weise ausgeführt.
Man stellte einen grossen Kuchen her, zu dem drei viertel Scheffel Mehl (das sind 96 Pfund) 30 Pfennig grosse Rosinen, 2 Pfund Mandeln, 20 Pfund Butter und 6 Pfund Zucker genommen wurden. Es war natürlich schon ein Fest, alle Meister an einen 6 Ellen langen und 3 Ellen breiten Kuchen arbeiten zu sehen. Um den Kuchen zu backen das in der Naumann Mühle geschah, musste man den Backofen aufreissen. Selbst verständlich fehlte auch das nötige Bier nicht, das für Stimmung sorgte.
Am folgenden Sonntag musste man den Festzug infolge Regens abbrechen, sonst wäre wohl der Kuchen zerweicht. Er wurde von Stadträten unter die Armen der Stadt verteilt. Es erhielt pro Person ein Stück, 3 Zoll lang, 3 Zoll breit, 5 Zoll hoch, im Gewicht von 22 Lot (circa ¾ Pfund). Der Handwerksschreiber bittet die Nachkommen, dass sie zur nächsten Jahrhundertfeier das Fest ebenso begehen.
1898 wurde die Innung eine Zwangsinnung, der sich noch die Dörfer Cunersdorf, Sehma und Cranzahl anschlossen. Man trat auch in den grossen deutschen Germania- und in den sächsischen Saxonia-Verband ein. Schöne Friedensjahre waren vergangen, als mit einem Male, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ein neues Weltenmorden begann.
31 Meister nahmen an diesem Ringen teil und 8 Bäckereien wurden geschlossen. Im ganzen Handwerk trat ein Umsturz ein, veranlasst durch die neue Bestimmung betreffs Brotbereitung. Denken Sie einmal an die Marken- und Streckwirtschaft. Jedoch einen grossen Segen hat uns der Krieg gebracht. Es hiess immer, das Bäckerhandwerk hat Gott gemacht, doch das Backen in der Nacht, das hat der Teufel erdacht. Nun war es Schluss mit der Nachtarbeit, was man nie für möglich hielt, wurde zur Wirklichkeit.
Nachdem der unglückliche Krieg sein Ende gefunden und man überall hörte: „In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiedersehn“ kehrten auch unsere Meister zurück. Aber nicht alle sollten die Heimat wiedersehen. 2 Kollegen aus Cranzahl war es nicht vergönnt, das Fest der Heimkehr mit ihren Lieben zu feiern. Ehre ihrem Andenken!
Eine neue Zeit begann! Die Inflation! Ich brauche wohl nicht zu berichten, sie steht noch schrecklich genug vor unsern Augen! Nur möchte ich an den letzten Brotpreis vor der Stabilisierung erinnern. Es kostete ein 4 Pfund Brot 560 Milliarden Mark. Sie liegt nun hinter uns, man hält es kaum für möglich, das wir es erlebt haben. In dieser Zeit half uns viel die 1918 gegründete Genossenschaft aus. Ein neues Wirtschaftsleben hat begonnen, nachdem die Zwangs- oder Angstwirtschaft, wie ein Protokollant schreibt, ihr Ende gefunden!
Und heute ist es uns vergönnt gewesen, eine neue Fahne zu weihen! Möge sie zeigen, dass wir immer weiter streben. Was die Alten einst erschaffen, das soll die Jugend neu Erraffen! Wir wollen es auch zeigen, dass das Alte nie vergehen soll! Nur durch Einigkeit aber, werden wir es vollbringen können. Deshalb rufe ich, angesichts unserer neuen Fahne aus: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen noch Gefahr“. Die Zukunft mit all ihren Gefahren liegt allerdings vor uns wie eine schwarze Nacht. Wir sollen aber und dürfen nicht verzagen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Und wie man vor einer Nacht immer eine stille Abendandacht hält, etwa wie ein Vater, der seinen Lieben das Evangelium vorliesst, so dankt für den verflossenen Tag und um Schutz für die lange Nacht bittet. So wollen auch wir stille Andacht halten und danken.
Für all das, was hinter uns liegt, aber auch bitten, Gott möge uns Zukunft vor allem Unheil behüten. Ich schliesse meine Erzählung mit den Worten, die jener Schreiber am Anfange des dritten Quartalbuches gesetzt hat und die ein wahres Evangelium enthalten:
„Omnia cum deo et nihil sine eo.“
„Alles mit Gott und nichts ohne ihn!“
Wir fangen nun wiederum ein neues Werk an und nehmen Gott dazu als unsern Vater an, der uns in aller Not um Nahrung helfen kann. Wir wollen Dich allhier als Stamm recht fest umfassen, Du wirst uns hier und dort aus Gnaden nicht verlassen!
Das walte Gott !
|