Die Begräbnisgesellschaft
„Brüderschaft”
Sehma-Cunersdorf


       
Bilder und Bildtexte sind dem Erzgebirgisches Sonntags-Blatt
dem Tageblatt Annaberger Wochenblatt
N° 26 / 125. Jargang vom 26. Juni 1932 entnommen.


Quellen:
Originalaufzeichnungen der Begräbnisgesellschaft „Brüderschaft”, die fast in Gänze seit ihrer Gründung im Jahre 1598 noch verhanden sind.

A  ls der große Pappkarton mit all seinen vielen uralten Kladden, einer Zigarrenkiste mit Schlüsseln für Totenhalle und Kirche und Stempeln, den vielen Kassenbüchern und einem Gründungsbuch der Begräbnisgesellschaft „Brüderschaft” vor mir lag, war es für mich kaum glaubhaft eine solche lückenlosen Dokumentation über mehr als 400 Jahre vorzufinden. Zu verdanken ist dies all den Vorsitzenden und Kassierern, die über Jahrhunderte hinweg ihre Arbeit dokumentierten, aber auch dem letzten Kassierer Erich Grunert und seinem Sohne, welche nach der Auflösung der Gesellschaft nicht daran dachten, den auf Papier stehenden über 400-Jahre lang dokumentierten Dienst am Menschen einfach wegzuwerfen.

D  iese gesichteten Unterlagen, bei denen sich auch ein Buch der Begräbnisgesellschaft „Sechziger” befand, wurde dem örtlichen Chronistenteam übergeben und wird so hoffentlich nicht mehr verloren gehen.

B  eim Zurückdenken an meine Kindheit, an meinen Großvater, der an manchen Tagen im einem schwarzen Anzug, ich glaube in einem Gehrock sehr geschäftig das Haus verließ, an die Blasmusikanten die vor Häusern des Abends bliesen, bevor der riesige, aufwendig geputzte und mit prächtigen schwarzen Pferden bespannte Leichenwagen vorfuhr, um einen Verstorbenen auf dem letzten Wege die Ehre zu erweisen, wird mir nun bewußt welch wichtige Aufgaben er begleitete.

Der historische Umtrunk vor Beginn des Quartals am 05.06.1932 bei geöffneter Lade: Die beiden Vorsitzenden Emil Hunger und Arthur Bauer, der Zeremonienmeister Emil Schmiedgen als Mundschenk


Artikel zu beiden Bildern im TAW vom 26. Juni 1932

Die alte Lade wird aus dem Hause des Ladenvaters Bernhard Schreiber getragen


W  as aber war eine Begräbnisgesellschaft, wozu war sie gegründet worden?
Alt-Orts-Chronist Mahn bezieht die Notwendigkeit der Gründung zur Beerdigung der Pesttoten, was glaubhaft erscheint, da aus Christian Lehmanns Landchronik bekannt ist, daß in Annaberg 1568 das große Peststerben zu verzeichnen war, Tannenberg war von 1599 bis etwa 1637 davon betroffen, in Sehma waren 1640 schon 74 Einwohner an der Pest verstorben.

A  ndere halten es für wahrscheinlicher, daß die Bergbrüderschaften des oberen Erzgebirges das Leitbild für die Gründung der Begräbnisgesellschaften, Schneeberg 1479, Ehrenfriedersdorf 1614, Thum 1616, Jöhstadt 1655 und Frohnau, gewesen sein könnten, die sich nicht nur der arbeitsbedingten Belange annahmen, sondern sich auch der Bestattung ihrer Mitglieder und deren Angehörigen kümmerten.

W  ie dem auch sei. Es lag somit nahe eine Gemeinschaft der gegenseitigen Hilfe zu gründen, denn zur Kirche nach Schlettau war es weit, die Gefahr des Sterbens war nah, wie die Pest im nahen Annaberg verdeutlichte, um die Beschwernisse der Bestattungen zu schultern. Die Begräbnisgesellschaft kümmerte sich um die Bestattung ihrer Mitglieder, die, so zeigen es die Kassenbücher auf, gegen einen kleinen Beitrag, anfangs gab jeder was er konnte, ihre Tätigkeiten verichteten.

Ü  ber die Jahrhunderte vervollkommneten sich die Gesellschaften, beriefen Vorsitzende, Kassierer und Träger, führten die Tragepflicht ein, schafften Leichenwagen an, um den Transport der Toten zu erleichtern, richteten Mitgliederversammlungen aus, gaben Rechenschaft über ihr tun ab und konnten sogar Familienangehörige verstorbener unterstützen.

Der Leichenwagen der Brüderschaft Sehma-Cunersdorf

weitere Protokolle und das Siegel

       


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N  ach dem 2.Weltkriege, irgendwann in einem Referat eines Vorsitzenden, es trägt kein Datum und keinen Namen, wird ein anderes Gründungsdatum angeführt. Nicht 1598 sondern 1698. Die wider- sprüchliche Begründung liefert er gleich mit:

... Es ist eine Niederschrift von Juny 1765 gezeichnet M Benjamin Lerius, Pfarrer von Sehma und Cunersdorf. Obwohl diese Niederschrift erst später verfaßt ist, betrachten wir sie als Gründungsurkunde und erstes Statut. Ganz eindeutig ist darin das Gründungsjahr 1698 angegeben. ...


E  r zitiert daraus:

„Alß Anno 1698 auf des WohlEhrwürdigen Großachtbarn und wohl gelahrten Herrn Josepf Schmidens wohlverordneten Pfarres zu Seehma und Cunersdorf Gutachten eine Brüderschaft zu dem Ende möchte aufgerichtet werden damit bey Begräbnißen mehr Personen als zeithero geschehen mit zu Grabe gehen möchten indem es leider die Erfahrung gegeben daß öfters nicht ein mahl 10 Personen bey Leichen Ceremonen geweßen. Und den Damahls Mstr. Chriestoph Meyer Zimmermeister, Mstr. Chriestoph Amend des Schneider hant werchs und Chriestian Hunger sich gleich anfangs zusammen und darzu erfunden und nach aller möglichkeit dahin getrachtet wie wohl erwehnte Herrn Pfarrs billiger Vorschlag zum effect gebracht werden möge, so ist auch solches werch nächst göttlicher Verleihung von diesen drey Anhängern in weniger Zeit so vollbracht und aufgerichtet worden, daß unten gesetzten Dato bey dieser Chriestlichen Brüderschaft 45 Personen würchlichen Vorhanden geweßen. Nach dem aber noch Hoffnung gemachet wird und wegen der von Neu darzu kommenden Personen öfters Unordnung gemachet werden Will. Als hat man zu erhaltung Löblicher Ordnung mit genehm haltung der sämbtl, an jetzo Vorhandenen 45 Personen folgende Puncte aufzu richten Vor gut befunden.
Darnach sind so wohl die iezigen darbey seienden als Künftig noch darzu Kommenden genau Üguliren oder in unterbleibung diejenige bey jeden Punkt gesetzte Strafe un weigerlich erlegen sollen. Es ist auch der feste Schluß gemachet daß Wir in zukunft und zwar so bald als etwa der liebe Gott einige Mittel und Kräfte Verleihen möchte dieße Articul oder Punke von der Hohen Landes Obrikeit allergndß wollen Confikieren Laßen”.

O  b diese oben zitierte Zeilen die wirkliche Gründung der Brüderschaft waren, oder ob damit ein Wiederaufleben der schon zu Pestzeiten zusammenstehenden Brüderschaft, wie auch von Altchronist Mahn beschrieben wurde und naheliegender ist, und, oder ob der Pfarrer mangels Aufmerksamkei bei Begräbnissen mehr Anteilnahme wünschte, denn die anstrengende Arbeit der Bauern und Bediensteten ließ wenig Zeit dafür, oder ob das nun wieder normale Sterben, denn zum Leben gehört auch der Tod, der Menschen nach der Pestzeit und somit des Nachlassens des aktiven Tuns der Menschen in der Brüderschaft zu diesem Aufruf des Pfarres führte, kann von mir weder bejaht noch verneint werden.

W  ichtig erscheinen mir dabei die im Referat des Brüderschaftsvorsitzenden dort selbst aufgeführten Widersprüche, die da sind:
1698 war das große Peststerben schon fast 50 Jahre vorbei, also fast eine damalige Lebenserwartung, Sehma hatte nun selbst eine Kirche und einen Gottesacker, der Aufwand an Zeit und Kraft zur Mutterkirche nach Schlettau zu müssen, war nicht mehr gegeben, warum also sollte gerade jetzt die Notwendigkeit bestehen eine solche Brüderschaft zu gründen.


I  ch überlasse es dem örtlichen Chronikzirkel, so er den möchte, Licht in das Dunkel des Gründungsjahres zu bringen und Recherchen zur zweiten Begräbnisgesellschaft den „Sechzigern” anzustellen.


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E  ben in dieser Nachkrigszeit, nachdem sich Not und Elend etwas veringerte, eine neue Diktatur sich gegründet hatte, begann man auch dieses Feld behördlich zu reglementieren. Auf die Begräbnisgesellschaften, die zwar nicht kirchlich gebunden, die aber gläubige Christen mit Leben erfüllten, wurden nun verstärkt staatlicher Druck ausgeübt und ihre Rechte mehr und mehr beschnitten.


I  m Juni 1952 begann das erzwungene Ende der Begräbnisgesellschaft Brüderschaft, indem ein Genosse vom Volkspolizeiposten Cranzahl beim Vorsitzenden erschien und im Auftrag des Volkspolizei-Kreisamtes die sofortige Auflösung der Gesellschaft und Übergabe des Inventars am nächsten Tage an die Kommune veranlasste.


D  er Vorstand wandte sich sofort schriftlich an die Landesregierung Sachsens und den Landtagspräsidenten Buchwitz und legte den sozialen Charakter der Gesellschaft dar. Mehrmals auch nahm man Verbindung mit der Volkskammerabgeordneten Prasse auf, die aus Sehma stammte. Das Ergebnis war: Die Begräbnisgesellschaft durfte zunächst weiter bestehen, aber keine neuen Mitglieder aufnehmen. Sie besaß zu diesem Zeitpunkt etwa 300 Mitglieder. Die Mitgliederzahl musste halbjährlich an das Volkspolizeikreisamt gemeldet werden.


D  a nie ein schriftliches gesetzlich begründetes Verbot der Neuaufnahme von Mitgliedern gegeben wurde, wandte sich der Vorstand 1959 an das Ministerium des Inneren der DDR mit dem Hinweis auf die Verfassung, die Vereine zuließ, wenn sie nicht mit Strafgesetzen in Konflikt kommen. Die Antwort war ernüchternd. Auf die Bestimmungen der Verfassung wurde nicht eingegangen, aber darauf hingewiesen, dass eine derartige Vereinigung wohl im Kapitalismus sinnvoll gewesen sei, aber im Sozialismus nicht mehr gebraucht werde, da sich die sozialen Verhältnisse geändert hätten.


I  m Schreiben der Brüderschaft, vom 29. Dezember 1962 an den Rat der Stadt Annaberg-Buchholz, Abt. Komunalwirtschaft geht eindeutig die Beschneidung der Rechte der Brüderschaften hervor, die ohne Gespräche mit Ihnen, auch ohne Schriftform an sie, einfach mittels Zeitungsmitteilung Sterbeangelegenheiten und Totentransporte weggenommen bekamen, so daß die Brüderschaften ihren schon über Jahrhunderte geleisteten Traditionen nicht mehr nachkommen konnten.


       

A  m 19.7.19970 beschloss die 270. Generalversammlung die Auflösung mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Auf der letzten Generalversammlung am 16.10.1971 im Sportheim Sehma würdigte Bruder Erich Grunert die lange Jahre währende Arbeit der Brüderschaft im Bestattungswesen von Sehma und Cunersdorf, dankte allen, die für die Begräbnisgesellschaft und damit für die Allgemeinheit tätig waren, und erklärte dann die Gesellschaft für aufgelöst.


Z  usammenfassend kann gesagt werden - und es ist mir nicht möglich das Gründungsbuch und andere ältere auch Kassebücher hier aufzuführen und auszuwerten, was nun den örtlichen Chronisten obliegt - dieser kleine Einblick in die Unterlagen der Begräbnisgesellschaft soll zeigen, wie diese private Vereinigung, und es gibt keine andere, welche rechtlich solange undverändert bestand, gewissenhaft ihren Dienst am Mitmenschen vertrat und die Bestattungen würdig und im Sinne der Angehörigen vollbrachte.


zusammengestellt und
bearbeitet von pks




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